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Geschichten aus dem Pott

Geschichten von "Oppa" mit seinem Selterbüdchen beim VfL Bochum um die Ecke und von anderen "Ruhries": Frank Goosens "Radio Heimat" ist ein gewitzter Versuch, das Image des Ruhrpotts durch kräftigen Humor aufzupäppeln.

Von Florian Felix Weyh | 05.02.2010
    "Kär glaubsse, bei mir hammse letzte Nacht schon widda inne Laube eingebrochen! Datt dritte Ma in diesem Jahr! Die hamm ein Tisch zu Klump gehauen und mir den ganzen Ma-riacron weggesoffen. Datt geht doch so nicht weiter!"

    Nein, so geht das wirklich nicht weiter. Nicht, wenn die Einbrecher das Pech haben, auf einen waschechten "Ruhrie" zu treffen, einen Eingeborenen jener Region, die sich von Moers bis Unna, von Marl bis Hattingen erstreckt und die Bezeichnung Ruhrgebiet trägt. In dessen Mitte liegt Bochum, wo ein Schrebergärtner ohne Namen, aber mit ziemlich exakter Charakterisierung als "Laberfürst" nur darauf wartet, den Übeltätern eins überzubrennen:

    "'Ich leech mich da getz nachts auffen Sofa, bis ich die Sauhunde gepackt krich, und dann zieh ich denen den Aasch auf links, datt kannze mir glauben!' 'Weißt du', wechselte er ins ruhrgefärbte Hochdeutsch, wie wir es immer dann tun, wenn wir etwas Wichtiges, Offizielles verkünden wollen, 'weißt du, dass ich diese Subjekte ohne Weiteres über den Haufen schießen könnte, ohne vom Arm des Gesetzes belangt zu werden? Ich verteidige meinen Grund und Boden, mein Hab und Gut! Das erfüllt von Rechts wegen den Tatbestand der Notwehr. Und von Links wegen auch, datt datt ma klar is!'"

    Der "Ruhrie" ist nicht zimperlich im täglichen Lebensvollzug, und auch das Alter bremst ihn nur wenig. Das berichtet zumindest Frank Goosen in den halb realistischen, halb satirischen Geschichten seiner Kindheit. Onkel Joseph und Tante Henni zum Beispiel waren solcherart robuste "Ruhries", betrieben sie doch eine "Selterbude" - hübsch antialkoholischer Euphemismus - in der Nähe des Ruhrstadions und bekamen es schon mal mit den Anhängern des VfL Bochum zu tun:

    "Knallevoll kamen die Fans vom Stadion zurück und einige randalierten. 'Ich weiß gar nich, ob wir gewonnen hatten oder verlorn, is auch egal', erinnerte sich Tante Henni, 'jedenfalls kommen da die vier Seger an und pöbeln, watt ich so doof gucken würde aus mei'm Fenster, und ich denk, sach ma besser nix, dann gehen die weiter, datt sind vier, die werden sich nich anne alte Frau vergreifen, abba da kommt der eine an, bestimmt einsneunzich, und sacht, wieso ich nich antworten würde. Und ich sach: Auf sonne bescheuerten Fragen gibbet keine Antwort, abba datt war dann auch nich richtich. Jedenfalls fängt der an von wegen alte Schachtel. Er hat watt anderes gesagt, aber du wirss nich erleben, datt ich datt in den Mund nehm, Junge! Und dann holt der aus mit seine Bierpulle und kippt mir datt Bier ins Gesicht. Der Josef sitzt hinten und hört mich schreien, und auf einmal schießt der nach vorne und ausse Tür raus und nimmt sich die vier vor. Zack, beim Ersten gleich mitten rein ins Vergnügen, der fällt um und hält sich die Nase. Dem Zweiten eine aufs Ohr und dem Dritten in den Arsch getreten, da schrie der Vierte schon nach seine Mama.' Onkel Josef hörte die Geschichte nicht ohne Stolz. Immerhin war er zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung schon Mitte siebzig. 'So etwas kann man sich nicht gefallen lassen', sagte er, wenn auch nicht mit diesen Worten. Eher mit diesen: 'Wer meine Olle anpackt, kricht auffe Fresse. Altes Gesetz.'"

    Und wer nicht auf Anhieb jedes Wort verstanden hat, gehe auf die Webseite ruhrgebietssprache.de und finde heraus, dass mit "Seger" eine flegelhafte Person gemeint ist. Doch nicht nur die Worte, auch deren Verschleifungen miteinander unterscheiden das Deutsche vom Ruhrdeutschen:

    Bestimmte und unbestimmte Artikel - der, die, das, dem, den, ein, einen und so weiter - werden grundsätzlich an vorausgehende Verhältniswörter (Präpositionen) und Bindewörter (Konjunktionen) angehängt, und zwar in möglichst knapper Gestalt.

    "Wer meine Olle anpackt, kricht auffe Fresse."

    Manchmal nimmt man ein Buch zur Hand, bei dem verlangsamt sich die Lektüre passagenweise, weil das Druckbild orthografische Konventionen missachtet. Frank Goosens Ruhrpottglossen unter dem Titel "Radio Heimat" gehören zwingend in diese Kategorie hinein, denn das gesprochene Idiom verwandelt sich vor den Augen des "Nicht-Ruhries" in eine lautschriftliche Notation. Ein Glück also, dass gleichzeitig zum Buch die Doppel-CD erschien, auf der der Autor authentisch sein eigenes Werk interpretiert. Selbstredend umfasst das auch Passagen in normalem Hochdeutsch, in denen durchaus Heikles verhandelt wird, die Nähe der heimatlichen Wohnung zum Rotlichtbezirk etwa, vom Volksmund treffend "Eierberg" getauft:

    "Nicht so lustig war es, als ein Nachbarsjunge und ich einmal an einem sonnigen Nachmittag von fünf Männern angesprochen wurden, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren. Sie zeigten uns ein Blatt Papier mit einem Loch in der Mitte, durch das sie immer wieder mit einem Kugelschreiber hindurchstießen. Dazu sagten sie die beiden einzigen deutschen Wörter, die sie kannten, nämlich "Scheide" und "Haus". Das war uns dann doch ein bisschen unheimlich, und da wir mit unseren sieben oder acht Jahren nicht wussten, was wir darauf sagen sollten, gingen wir einfach weiter."

    Wo der Klang des Milieus fehlt, merkt man rasch, dass sich Goosen in seinen Kindheitserinnerungen der 60er- bis 80er-Jahre nicht sehr von seinen Altersgenossen unterscheidet. Auch in Bochum war Bundesrepublik pur angesagt, zwischen "Disco" mit Ilja Richter im Fernsehen und "Disco-Stehblues" in der Kellerbar des Nachbarn. Alles irgendwie schon mal gelesen, freilich nicht in der robusten "Ruhrie"-Variante, in der man - nur im Buch, nicht auf CD - das Rezept für ein besonders grässliches Alkoholvergiftungserlebnis mit Wodka-Wick-Blau erhält und die Verschrobenheit des "Oppas" goutiert, nur mit Bochumer Autos und Bochumer Benzin durch die Welt zu reisen, sprich: Kadett zu fahren und Aral tanken. Manchmal lacht man laut schallend auf, manchmal nur leise bestätigend, denn darin besteht ja seit jeher die Kunst des Kabaretts: Alle ins nickende Einverständnis einzubinden. Etwa bei den "Top-Ten-Sätzen der Handwerkerei":

    "1.) "Geht nich!" (Erste Reaktion des Handwerkers, der eines Problems ansichtig wird.)

    2.) "Ja nun mal langsam!" (Zweiter Satz des Handwerkers, nachdem man die Nummer des Mitbewerbers gewählt hat.)

    3.) "Billich wird datt nicht!" (Dritter und vorletzter Satz des Handwerkers, der so tut, als ginge es beim Anschluss einer Steckdose um die Reparatur eines Warp-Antriebs.)

    4.) "Brauchen Sie unbedingt eine Rechnung?" (Vierter und letzter Satz des Vorgenannten.)

    5.) "Ich säg das Ding mal ab, wird schon kein Gasrohr sein!" (Vermutung des in Handwerksdingen vorgeblich bewanderten Studienkollegen, den man nur angerufen hat, weil man sich den Handwerker legal nicht leisten konnte und illegal nicht leisten wollte.)

    6.) "Ups!"(Reaktion des Studienkollegen ein paar Sekunden später.)

    7.) "Billig wird das nicht!" (Ausruf des Feuerwehrmannes nach der vorsorglichen Evakuierung der Straße während der Instandsetzung der angesägten Gasleitung.)

    8.) "Ich hab doch gesacht, datt geht nich!" (Fachmännisches Urteil des Handwerkers, den man dann doch wieder angerufen hat.)

    9.) "Getz habbich abba erssma eine andere Baustelle."

    10.) "Abba eins sach ich Ihnen gleich: Billich wird datt nich!""

    Frank Goosens "Radio Heimat" - bis auf Zwischentitel, die bekannte WDR-Sendungen aufgreifen, hat das Buch mit Radio nichts zu tun - ist ein gewitzter Versuch, das Image des Ruhrpotts durch kräftigen Humor aufzupäppeln. Ob das Unterfangen deutschlandweit gelingen kann, zweifelt der Autor indes selbst ein bisschen an, kennt er doch diesen Blick zu genau, der ihn trifft, wann immer er seine Herkunft bekennt: Ein Blick, der zu sagen scheint: "Ach, das tut uns aber leid, dass du nicht mit uns schwimmen gehen kannst, weil du einen künstlichen Darmausgang hast!"

    Diese Passage fehlt verdächtigerweise auf der CD. Trotzdem sollte man im Zweifel Goosen lieber hören als lesen - es sei denn, man möchte Ruhrpottdeutsch lernen und liest sich alles selbst laut vor. Aber dann hat man ja gar keine Zeit mehr zum Lachen.

    Frank Goosen: Radio Heimat - Geschichten von zuhause
    Eichborn Verlag, 166 Seiten, 14,95 Euro
    Hörbuch bei Roof Music, zwei CDs, circa 150 Minuten