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Geschichten eines Gerichtspsychiaters

Der forensische Gutachter Hans-Ludwig Kröber legt neun authentische Geschichten aus seinem beruflichen Erfahrungsschatz vor, in denen sich das Tragische mit dem Komischen überschneidet. Dabei erweist er sich als Wissenschaftler ersten Ranges und als realistischer Menschenkenner.

Von Ursula März | 04.02.2013
    Mit Sicherheit saßen sie sich in der Realität schon einmal gegenüber: Der Anwalt Ferdinand von Schirach und der forensische Gutachter Hans-Ludwig Kröber. Der Ort ihrer Begegnung dürfte ein Saal im größten Kriminalgericht Deutschlands, im imposanten wilhelminischen Justizgebäude in Berlin-Tegel gewesen sein. Beide, von Schirach wie Kröber, zählen zu den namhaften Erscheinungen der bundesrepublikanischen Justiz und sind in Berlin beheimatet. Beide sind spezialisiert auf Schwerverbrechen, der eine als Anwalt der Täter, der andere als psychiatrischer Begutachter der Menschen, die zu Tätern geworden sind und nun als Angeklagte vor Gericht stehen. Und beide, der Anwalt wie der Psychiater, haben sich aufs Feld der Literatur begeben.

    Schon mit seinem ersten Erzählband "Verbrechen" feierte Ferdinand von Schirach einen Bestsellererfolg, den er mit seinem zweiten Band "Schuld" wiederholen, ja überholen konnte. Nun legt auch Hans-Ludwig Kröber Geschichten aus der Wirklichkeit und aus seinem beruflichen Erfahrungsschatz vor. Geschichten, die eines gemeinsam haben: Ein Mensch bringt einen anderen Menschen zu Tode.

    Wer Hans-Ludwig Kröber je vor Gericht erlebt hat, wer je einen Gutachtervortrag aus seinem Mund hörte, weiß, worin die Besonderheit dieses Psychiaters besteht, die ihn zu einer regelrechten Berühmtheit und zu einem gefragten Interviewpartner machte: Kröber ist ein Wissenschaftler ersten Ranges, und Kröber ist darüber hinaus ein bodenständiger, realistischer Menschenkenner. Er analysiert die Feinheiten und Abgrenzungen pathologischer Symptome und er zieht auch all das in Betracht, was einen Angeklagten sozial und lebensweltlich prägt.

    Er findet eine Sprache, die auch dem Laien verständlich und anschaulich macht, was mit dem Angeklagten, salopp gesagt, los ist. Warum er wurde, was er ist, was an seiner Geschichte erklärbar ist und was an dieser Geschichte unerklärbar bleibt und immer bleiben wird. Denn der Wissenschaftler Kröber ist demütig genug, der Wirkung des Zufalls in Verbrechens- und Mordgeschichten Tribut zu zollen - und eben dies ist es, was ihn auch zum Erzähler prädestiniert.

    Im Blick dieses Gutachters auf Delinquenten gab es immer eine erzählende, gleichsam literarische Komponente, lange bevor Kröber nun tatsächlich zum literarischen Erzähler wurde.

    Neun Geschichten enthält sein Erzählband mit dem griffigen, ja wuchtigen Titel "Mord". Alle Geschichten sind authentisch, wenn auch Namen und biografische Details der Protagonisten so verändert sind, dass die Betroffenen nicht identifiziert werden können.

    Gerwin Moss ist der Name eines Mannes, der nicht weniger als zwei Jahre die Ermordung seiner Frau plante, und zwar so präzise, als tüftele er heimlich an einer technischen, patentfähigen Erfindung. Er wollte sie los werden, seine immerzu kränkliche, strapaziöse Gattin, von der Moss glasklar wusste, dass er sie nie hätte heiraten sollen, weil sie einfach die Falsche für ihn war. Der Mord sollte ihn gleichsam von dieser Fehlentscheidung befreien. Penibel täuschte Moss nun das Sexualdelikt eines Perversen vor, der er keineswegs war. Aber die ermordete Gattin sollte von der Polizei, die Moss nach der Tat selbst benachrichtigte, so vorgefunden werden, dass alle Indizien schon auf den ersten Blick als das Werk eines sexuell Gestörten erkennbar wären.

    "Der Polizei" schreibt Kröber, "bot sich im Schlafzimmer tatsächlich ein eigenartiges Bild. Petra Moss, 31 Jahre alt, lag mit kurzem Nachthemd im ehelichen Doppelbett und hatte in ihren Ohren ohropaxähnliche Tampons. Sie war mit einem aufgesetzten Nahschuss in den Hinterkopf getötet worden". In einer Scheide steckte eine zwanzig Zentimeter lange Mettwurst, über ihren Körper verteilt waren Tannenzweige mit Reißzwecken befestigt und auf eine Brust fanden sich Spuren eines Bisses.

    Für diesen Biss hatte der Mörder in sorgfältiger Bastelarbeit aus einer Zange und Bandeisen ein metallenes Gebiss geschaffen. Er saß viele Jahre im Gefängnis.

    Dass er in Freiheit entkam, verdankte er unter anderem seinem Gutachter Kröber, der keine Gefährdung für andere Menschen in Moss erkennen konnte. Dieser fand nach seiner Haftentlassung eine neue Frau, eine, die zu ihm passt und mit der der ältere Herr heute recht idyllisch zusammenlebt. Eine der vielen episodischen Wendungen in diesem Erzählband, in denen das Tragische sich überschneidet mit dem Komischen.

    Das gehört zum Sujet. Auch Ferdinand von Schirachs kaltmetallene Mordgeschichten sind alles andere als humorfrei. Aber sie zielen auf ein Menschen- und Gesellschaftsbild, über dem der Grauschleier des Fatalismus liegt. Von Schirachs Botschaft lautet: So ist es nun mal mit den Menschen, sie haben viel Böses in sich und viel gibt es da nicht zu reparieren. Und in eben dieser Botschaft unterscheiden sich die Erzählungen des Arztes Hans-Ludwig Kröber. Sie erschaffen das Bild eines Menschen, der Böses getan hat, aber im besten Fall doch noch zum Guten fähig ist - wenn man sich im geduldig widmet.

    Hans-Ludwig Kröber: Mord. Geschichten aus der Wirklichkeit
    Rowohlt Verlag 2012
    256 Seiten, 18,95 Euro