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Geschichten vom tödlichen Machtkampf

Die Dramen von William Shakespeare sind blutig und gewaltig. Immer geht es um den blutigen Moment des Sterbens, um den Mord und immer wieder um den Tod des Königs. Am Deutschen Theater Berlin inszenierte Dimiter Gotscheff seine "Rosenkriege".

Von Eberhard Spreng | 24.11.2012
    Schwere automatisierte Scheinwerfer hängen wie schwarze Monster tief und bedrohlich über einer leeren Bühne. Es fehlt nicht viel und sie müssen die clownesken Gestalten vertrieben haben, die da in skurrilen Posen Geschichten vom tödlichen Machtkampf vorführen. Katrin Bracks Bühnenbild ist diesmal keines: Nicht einmal mehr eine einzige stückumfassende Metapher wird hier wie sonst aufgeboten, sondern eine weiße Leere, die am hinteren Rund allenfalls eine Begleitband beherbergt, die grelle Sounds und einmal auch einen Free-Jazz beisteuert, der im chaotischen Auseinaderlaufen der Musiker endet. In diesem leeren Raum ist auch von Shakespeare und seinen Figuren nichts mehr geblieben als die letzten komödiantischen Zuckungen kurz vor dem Exitus. Seien es Hamlet, Richard III., Othello, Julius Cäsar oder Titus Andronicus, immer geht es nur um den blutigen Moment des Sterbens, um den Mord und immer wieder um den Tod des Königs.

    "Lasst uns von Gräbern sprechen, Würmern, Grabinschriften.
    Was bleibt uns mehr, als unsern abgesetzten Körper
    dem offnen Riss der Erde hinzugeben?
    Nichts als der Tod ist unser Eigenes."

    Margit Bendokat hat sich mit einem alten roten Umhang und Pappkrone an die Vorderbühne gestellt und das Publikum wie eine verschmitzt bösartige Märchentante angegrinst. Dann nimmt sie die Pappkrone ab und enthüllt damit eine zweite kleinere Krone, die sie aufbehält. Um die andere, um die aus Pappe, werden sich jetzt allerdings acht andere Akteure heftig streiten und viele Male den Tod vorführen, den der Streit um die Macht mit sich bringt. Als Gruppenbild mit ausgestreckten Händen erscheinen sie zunächst, dann bekommt jeder aus dem bunten, grellen Ensemble sein Solo: Samuel Finzi etwa, wenn er als Julius Cäsar, sein Ende vor Augen, den Gang in den Senat scheut und wie eine Memme gern zuhause bliebe, dann aber sich aufplustert und sein Schicksal annimmt, jeden der Messerstiche mit pantomimischem Leiden einsteckt, das Herausspritzen des Blutes, die Zuckungen der Agonie. Oder Ole Lagerpusch, der zu kreischenden Gitarrensounds einen Text aus Heiner Müllers Hamletmaschine herausschreit, oder Wolfram Koch, der in stehgreifschnellem Wechsel zugleich Jago und Othello verkörpert. Auch Peter Jordan, der hier die treue Schar von Gotscheff-Akteuren verstärkt, gelingt ein lustiges Solo: Mit Politikerlächeln und herrlich verwaschenem Englisch redet er zum Publikum und erklärt in sprachlich-mimischem Minimalcode die Spielregeln: "Ihr liebt mich und zahlt Geld an mich, wenn ihr mich nicht liebt, töte ich euch." Und dann haspelt er debil-verworren seine Vorfahren herunter, um seine Legitimität zu belegen:

    "Meine Mutter, Mutter!
    War mit Richard, dem Graf von Cambridge vermählt, und der, der Erste Sohn Edmund Langleys, und der war wiederum Sohn Edwards des Dritten, von ihr hab ich mein Thronrecht; sie war Erbin
    Denn sie war die legitime Erbin von dem Roger, Earl of ... Earl, dem Duke of Shearl ... Äh ... Leicest... shearl ... duke."

    Zur burlesken Abfolge von Schauspielereinzelleistungen steuert Ruth Rosenfeld mit brillantem Sopran strahlende Arien bei. Manche von der Band eingestreuten Klangbilder verleihen dem Ganzen etwas unangenehm Kunstbeflissenes. In seinen besten Momenten ist dieser mit knapp drei Stunden deutlich zu lange Abend ein groteskes Shakespearekabarett, die ganze lange Zeit dazwischen Langeweile. Da es immer nur um den kurzen Moment geht, in dem die Gier der Menschen ins fatale Blutspiel umschlägt, entsteht nirgends eine dramatische Spannung. Der König ist tot, es sterbe der König! Wie gut, dass da auch ein Affe auf der Bühne ist, der sich am Todesspiel nicht beteiligt, der sich mal laust, mal den Oberkörper auf seinen langen Armen hin und herschaukeln lässt, mal gelangweilt dem Gebrüll der Menschen lauscht, mal an die Seitenbühne verschwindet. Täuschend lebensecht spielt Tänzerin Bettina Tornau das haarige Tier, das durch seine stumme Anwesenheit dem Blick auf die Blutclowns einen Vergleichsrahmen hinzufügt: Es gibt Seinszustände außerhalb des Mordens, jenseits von William Shakespeare und Heiner Müller. Am Ende ist von den Menschen keiner mehr übrig, nur der Affe sitzt da, schaut in den nahen Scheinwerfer, da ein besseres Himmelslicht nicht zu haben ist, dann fällt der Vorhang, aber die Bendokat ist in ihrem albernen Königsmantel noch mal auf die Vorderbühne gekommen. Hier überlebt kein Mensch und schon gar nicht als König, aber die Erzählung, die sie als allegorische Gestalt darstellt, hat die Krone aufbehalten.

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    Deutsches Theater Berlin