Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Geschichten von einem leeren Zoo

Katrin Stangls Drucke fordern den Betrachter dazu auf, sich selbst eine Geschichte auszudenken. Ihre Kinderbücher sind untypisch: Sie enthalten grafische Elemente und auch Ironie. Die Ideen dafür stammen meist von ihr selbst, wie das Buch "Willkommen im Zoo von Kabul".

Von Maria Riederer | 18.08.2012
    Wer in Köln-Nippes mit offenen Augen durch die Simon-Meister-Straße geht, bleibt vielleicht manchmal an einem großen Fenster stehen, hinter dem man eine oder auch zwei Frauen arbeiten sieht. Vorne im Fenster stehen ein paar gerahmte Bilder und kunstvoll illustrierte Bücher. Leuchtende Farben packen die Augen von vorbeilaufenden Erwachsenen und Kindern. Hinter dem Fenster ist eine Illustratorenwerkstatt, in der auch Katrin Stangl ihren Arbeitsplatz hat.

    "Das ist ganz lustig, weil man ziemlich hören kann, auch was draußen gesprochen wird. Also diese Kommentare: Das ist aber doch jetzt nix für Kinder! - die kriegen wir auch alle mit oder Kinder, die sich halt freuen, das ist ganz schön. Wir haben auch das Schaufenster normalerweise mit einem Streifen zugehangen, dass so die direkte Blickhöhe von Erwachsenen zugehangen ist, dass also uns nur Kinder sehen, die dann unten durch gucken, aber sonst ist das gut, weil ab und zu doch jemand ins Atelier kommt und sich so umgucken möchte - und ab und zu was kauft."

    Auch an den Wänden im Atelier hängen Bilder: Zeichnungen in schwarz-weiß und Farbe, und immer wieder holzschnittartige Drucke in leuchtendem Orange, blau, grün und rot. Einiges könnte auch in einem Kinderzimmer hängen: Das Bild vom Mädchen, das einen Bären hochstemmt, oder vom Igel mit der Trommel. Anderes wird eher Erwachsene zum Nachdenken anregen – so wie der ernst blickende Frauenkopf, den drei schwarze Kreise umschweben.

    "Also, hier gibt es Druckgrafiken, das ist ja sozusagen neben den Büchern mein zweites Steckenpferd würde ich mal sagen."

    Die Drucke, die Katrin Stangl aus einem Karton zieht, illustrieren nicht eine Geschichte, sondern fordern den Betrachter eher dazu auf, sich selbst eine auszudenken. Was erzählt die zart gelb gekleidete Frau ihrer Katze? Wer hat die beiden pechschwarzen Affen auf dem Linolschnitt so erschreckt, dass sie wie gebannt auf den Betrachter starren?

    "Hier in der Werkstatt kann ich Hochdruck drucken, ich hab hier eine Andruckpresse stehen für Bleisatz und Holzschnitt und Linolschnitt - habe ich mir kurz nach der Geburt des ersten Kindes gekauft und alle so: "Was machst du hier eigentlich, kaufst die so ein Monster?" das mit Hubwagen und Hebebühne hier reinkommen musste - aber es hat sich schon rentiert. Und es hält wahrscheinlich auch ewig. Anders als ein Computer."

    Katrin Stangl, heute 35 Jahre alt und Mutter von zwei Töchtern, hat viele Techniken gelernt. Und selbstverständlich steht auf ihrem Schreibtisch auch ein Laptop. Aber die verschiedenen Möglichkeiten des Druckes liegen ihr besonders. Darauf hat sie schon bei der Auswahl des Studienortes Wert gelegt.

    "Dann hab ich mir die Leipziger Hochschule angeguckt, war total begeistert und hab mich auf die Illustration gestürzt. Ich fand, dass "Buchkunst" viel toller klingt als Kommunikationsdesign, wollte auch Buch machen, also Illustration mit Schwerpunkt Buch und fand auch diese technische Ausrichtung in Leipzig, die Werkstätten, das hat mir alles gefallen. Es ist ja 'ne alte Buchstadt, es hat eben auch die handwerkliche Tradition, die die Schule noch weiter hochgehalten hat. Es gab alle Drucktechniken, also Hochdruck mit Holzschnitt, Linolschnitt und auch Bleisatz, dann gab es Lithografie, Steindruck, Siebdruck, voll ausgestattete Werkstatt."

    Aber nicht nur auf der Hochschule lernte sie, sondern auch auf Reisen. Zum Beispiel in Madagaskar, wo als Werbung leuchtende Bilder mit klaren Botschaften an die Wand gemalt werden. Oder bei einem Holzschneider in Brasilien, der kleine Hefte mit Bilddruck und gereimtem Text hergestellte, um den Menschen ärmerer Regionen so etwas wie billige "Illustrierte" zu bieten. Vieles davon floss in Katrin Stangls Arbeit ein: Auch sie druckt, mit einigen Kollegen, kleine Heftchen, die sie dann in Eigenregie verkauft. Der von ihr bevorzugte, flächige Stil auf dem rauen Papier transportiert eine Einfachheit, die nie flach wirkt, sondern klar. Und ein wenig altmodisch.

    "Es ist natürlich schon wahr, dass ich mir alte Sachen auch angucke und dass die mich faszinieren, weil die grafischer funktionieren und flächiger und einfacher zum Teil."

    Heute macht Katrin Stangl Kinderbücher und Illustrationen für Erwachsene. Sie will sich nicht auf eine Zielgruppe festlegen sondern schätzt gerade den Wechsel.

    "Ich hab jetzt ein Kinderbuch gemacht, zusammen mit Beltz und Gelberg, und arbeite im Moment an einem Beitrag fürs Spring-Magazin, das ist ein Comic-Kunst Illustrationsmagazin von Künstlerinnen selbst herausgegeben, also ganz unterschiedliche Dinge."

    Zunächst war es für Katrin Stangl einfacher, in Frankreich Bücher herauszubringen als in Deutschland.

    "Weil meine Bücher nicht so klar, dem Kinderbuchbereich zuzuordnen sind, die sind relativ grafisch, vielleicht manchmal auch bisschen ironisch, was bei uns nicht so eindeutig für den Kinderbuchmarkt taugt manchmal. Und die Franzosen sind da ein bisschen offener auch diesem Zwischenbereich Kinder-Erwachsenen-Bilderbuch gegenüber."

    Die Ideen, um die es in ihren Kinderbüchern geht, kommen meistens von ihr selbst und gehen manchmal ein paar Umwege. So ist in den Éditions Sabarcane 2009 ein ungewöhnliches Buch erschienen: "Bienvenu au zoo de Kaboul", "Willkommen im Zoo von Kabul".

    "Über ein Video im Internet, das über den Zoo in Kabul erzählt hat, hab ich ein eigenes Buch gemacht, in Steindruck auch selbst gedruckt hier in Köln, und hab das dann zufällig auf einer Buchmesse dabei gehabt und einem Kinderbuchverlag gezeigt, obwohl ich gedacht hab, naja, so ein Zoo in einem Land, wo eigentlich keine Tiere mehr sind wegen Krieg, das ist nicht gerade das Kinderbuchthema, aber die fanden das dann so spannend, dass sie gesagt haben: Ja, wir wollen irgendwie was damit machen, wir setzen einen Autor dran, der soll einen Kinderbuchtext schreiben und dann müssen halt neue Bilder gemacht werden."

    Die Urfassung, die Katrin Stangl selbst hergestellt hat, besteht aus ihren eigenen sprödem Texten und schwarz-weißen Lithografien.

    "Der Zoo von Kabul ist eine der wenigen Attraktionen der Stadt. An Freitagen ist er brechend voll. Tiere gibt es im Zoo kaum. Zwei Bären leben noch. Das ist alles. Jeder hier kennt den Löwen Marjan. Aber der Löwe ist tot. 2002 ist er gestorben."

    Auf Wunsch des Verlages hat Katrin Stangl die Kinderbuchfassung farbig illustriert.

    "Die Grundidee ist sozusagen verwertet, aber die Geschichte ist eine andere - klar, es gibt diesen leeren Zoo, wo einfach keine Tiere mehr sind aus verschiedenen Gründen und der aber trotzdem am Freitag irgendwie als Erholungsort benutzt wird, die Leute gehen dahin, auch ohne Tiere, es gibt so einen mechanischen Rodeostier. Hier in der Geschichte mit den beiden Kindern, die denken sich Geschichten aus, was mit den Tieren sein könnte jetzt, wo die sind oder, also es ist nicht so ganz eine rosafarbene Geschichte, das gelingt ihnen auch nicht so direkt, sich in der Fantasie Tiere vorzustellen, aber so zusammen kriegen sie's dann hin, dass es doch ein ganz guter Tag im Zoo wird."

    Es gab verschiedene Anläufe, das Buch auch in Deutschland herauszubringen, aber bisher vergeblich. Katrin Stangl vermutet, dass vielleicht einige Zeichnungen in Deutschland nicht so gut ankommen würden.

    "Es gibt einen leeren Käfig auf der linken Seite und rechts gibt's zwei Frauen, eine mit Kopftuch und eine komplett mit Burka und Verschleierung - würde man im deutschen Kinderbuch nicht finden."

    Vor allem deshalb nicht, weil das Gestänge des Käfigs sich deutlich im Sichtgitter der Burka wiederfindet. Der Käfig ist leer, und auch hinter der Burka sieht man kein Gesicht.

    "Ich hab jetzt weder als politisch unkorrekt noch irgendwie - ich habe es einfach so gezeichnet, weil man's eben dort so sieht."

    Eines ihrer ersten deutschen Kinderbücher ist "Stark wie ein Bär". Hier sieht man deutlich die Liebe der Illustratorin zur Buch-Kunst. Es entstand im Rahmen des Troisdorfer Bilderbuchstipendiums im Jahr 2010 und ist 2011 Carlsen erschienen.

    "Das ist ganz lustig wie das entstanden ist, ich hab zuerst zwei Siebdrucke gemacht und zwar einmal ein Kind, das mit einem Fuchs am Boden sitzt und spielt, so ein Würfelsteckspiel macht, und drunter steht: Schlau wie ein Fuchs - und auf dem anderen Bild sieht man ein Mädchen und einen Bär, die am Tisch sitzen und Arm drücken und da drunter steht: Stark wie ein Bär - die hab ich eigentlich für meine Tochter gemacht, dann hingen die so im Kinderzimmer, und immer wieder kam jemand und hat gesagt: Ach ja, da gibt's ja auch noch: Hungrig wie ein Wolf - Langsam wie ne Schnecke und so weiter und als dann dieses Bilderbuchstipendium ausgeschrieben wurde, hab ich mir gedacht, dann reich ich das mal ein - auch wenn es keine wirkliche Geschichte ist, es ist jetzt so ne Sammlung an mehr oder weniger sprichwörtlichen Tiervergleichen geworden."

    Die Entstehung eines solchen Buches im Druckverfahren verlangt auch vom Verlag ein wenig Mut zum Risiko. Denn Katrin Stangl konnte nicht – wie bei einer Zeichnung oder einem gemalten Bild – die endgültigen Farben präsentieren.

    "Die wussten bis zum Ende nicht, wie sieht das Orange dann im Druck aus? Aber das wusste ich auch nicht, und ich hab immer gesagt: Das wird schon klappen. Ich hab davor bei Stuart und Jacoby so ein kleines Büchlein in der gleichen Technik gemacht mit nur zwei Farben, das hab ich denen denn auch mal gezeigt und gesagt: So funktioniert das."

    "Denkt euch nur, der Frosch ist krank", erschienen bei Jacoby Stuart, ist ein Buch im Kleinformat. So groß und strahlend wie die Bilder in "Stark wie ein Bär" den Betrachter anleuchten, so zurückhaltend zweifarbig sind die Drucke zu den von Katrin Stangl ausgesuchten Tiergedichten.

    "Fuchs du hast die Gans gestohlen - Bim Bam Baier, die Katz mag keine Eier - also wirklich so eine kleine Sammlung, weil ich das gerne vorgelesen hab und meine Tochter es auch gerne mochte, aber es oft so große Gedichtsammlungen gibt, wo man gar nicht weiß, wo fang ich an, wo hör ich auf, und Kinder mögen glaub ich - zumindest kleine Kinder - wenn man einfach ein Buch ganz durchliest. Jetzt im Herbst erscheint bei Beltz und Gelberg ein neues Kinderbuch zu einem Lied auch - die Räuber von Toulouse, also so ein Kindergarten-Mitsing-Lied - das ist jetzt das letzte Kinderbuchprojekt."

    Die Bilder zu den Räubern im Wald von Toulouse hat Katrin Stangl gemalt und das – wie es sich für Räuber gehört – in wilden, erdigen Farben. Die Kinderbücher, die Katrin Stangl in Deutschland veröffentlicht hat, richten sich bisher vor allem an kleine Kinder. Ihr klarer Stil und die kraftvollen Farben sind für junge Betrachter besonders ansprechend. Es wäre allerdings zu wünschen, dass auch ältere Kinder und Jugendliche einmal in den Genuss kommen, ein Buch mit den Illustrationen von Katrin Stangl in Händen zu halten. Denn diese Illustratorin lässt Bilder im besten Sinne sprechen. Und das in einer deutlichen Sprache, die dennoch Raum gibt für die Ebene hinter der Druckfläche.