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Geschichten von Feuer und Eis

Das Potter-Fieber hat Großbritannien nicht erst mit Jane Rowlands kleinem Zauberlehrling Harry erfaßt. 1978 erregte die damals zweiundvierzigjährige Literaturdozentin Antonia Susan Byatt mit ihrem ersten Frederica-Potter-Roman die Gemüter der britischen Romanleserinnen. Die sogenannten Frederica-Bücher, "Die Jungfrau im Garten", Stilleben" und "Babel tower" erfreuen sich dort größter Beliebtheit und begründeten Byatts Ruhm. Sie erzählen - very british - von Figuren, die, in den Kostümen der fünfziger und sechziger Jahre steckend, eine robuste empirische Vernunft, exzentrisches Temperament und metaphysische Begabung zu transzendentaler Emphase mit sich führen.

Beatrix Langner | 10.03.2003
    Nachdem Byatt 1990 auch in Deutschland mit dem literarhistorischen Detektivroman "Besessen" bekannt wurde, schickte der Insel Verlag auch die Frederica-Bücher hinterher, mit eher mäßiger Resonanz bei der Kritik. Die literarische Tradition der gothic novel, geheimnisumwehter Abenteuergeschichten an einsamen Orten, ist bei uns im neunzehnten Jahrhundert versickert. Nicht bei Byatt, ihr ist die ganze Kulturgeschichte der Neuzeit, aber besonders das achtzehnte und neunzehnte Jahrhundert, der Nährboden ihrer Imagination. Und er ist unerschöpflich wie ihre sprachlichen Fertigkeiten, Imagination in narrative Formen umzusetzen. Von der englischen Königin 1999 zur Dame Commander of the british empire geadelt, gebietet sie über den wahrscheinlich reichsten Wortschatz britischer Gegenwartsautoren. Ihr Werk umfaßt Romane, Novellen, Erzählungen von Malern und Gemälden, Biografen und Biografien der Geistesgeschichte, Märchen, Fabeln von Insekten, Engeln und Dschinns.

    Ihr neuester Band mit "Geschichten von Feuer und Eis" ist in dieser Hinsicht wie ein Blick in Aladins Höhle, ein Gefunkel und Leuchten von visualisierenden Wörtern, von Licht-und Farbspielen, von Arrangements aus Anspielungen auf berühmte Gemälde, von Geschmacksbeschreibungen und Sinnesreizen, von eidetischen Satzkaskaden, die an barocke Literaturmoden erinnern, die unter dem Gesetz des Horaz standen: Ut pictura poesis, die Poesie sei wie die Malerei. Und damit ist auch schon das wichtigste gesagt. Antonia Byatt ist eine malende Erzählerin, ihre Stories sind mehr oder weniger gut camouflierte gedankliche Thesenabrisse, die mit bewundernswertem sprachlichem Einfallsreichtum und melodischem Timbre vorgetragen, goutiert werden sollten wie junger Wein, rasch und durstig, in einem Zug.

    In der umfangreichsten Geschichte dieses Bandes verliert eine Dame ihren Ehemann bei einem Galeriebesuch. Sie wirft einen flüchtigen Blick auf den Hingestreckten, fährt heim, um einen Koffer zu packen und eilt unverzüglich zum Bahnhof. Erst im französischen Nimes verläßt sie den Zug, besichtigt einige Monate die Sehenswürdigkeiten der Stadt, lernt einen einsamen Norweger kennen und reist schließlich mit Gewissensbissen zurück nach London. Aber was für eine Stadt ist das hochsommerliche Nimes, betrachtet mit den Augen einer reichen, sinnesverzückten Londoner Lady! Ein Gedicht wie von Lautreamont, ein Bild wie von Cezanne, die verführerische Synthese von Luxus und üppiger Sinnlichkeit, in deren innerstem Kern lautere Verzweiflung und Leere brütet. Mager dagegen die Handlungselemente, der plot ein Kind des puren Zufalls. Das Erzählen wird zu seinem eigenen Vorwand und einzigen Inhalt. Ähnlich pitturesk ist die märchenhafte Geschichte eines Malers, der sich in seinen Swimmingpool verliebt und eines Morgens darin eine grüne Schlange findet, die sich als verwunschene Frau zu erkennen gibt, die dringend einen Ehemann sucht. Die Beschreibung des Wassers, aus dem das Licht alle Farben des Planeten hervorzaubert, läßt sich schnell als organisierende Idee des Textes ermitteln.

    Wo es Byatt gelingt, ihr ästhetisches Prinzip der eidetischen Beschreibung in eine kohärente Fabel zu zwingen, zeigt sich ihre Erzählkunst von der besten Seite. Das Märchen von der Eisprinzessin, deren Lebenselement die Kälte ist und die sich ausgerechnet in einen Wüstenprinz aus Nordafrika verliebt, stellt die klassische Temperamentenlehre auf den Kopf und liefert eine so tiefgründige wie anmutige Studie über die Dialektik menschlicher Gegensätze und wie sie zu überwinden sind. Byatts Stärke ist die Darstellung von spiegelnden Oberflächen, oder besser gesagt, die Darstellung des uralten Problems der Kunst, wie sich die Beschreibung von Oberflächen, denn mehr sehen wir nicht von der Welt als ihre äußere Gestalt, zur inneren Gestalt der Welt und des Menschen verhält. Dies ist der metaphysische Kern ihres Erzählens.

    Auch wenn ihre Figuren heutig sind, eine amerikanische Hausfrau, für die eine mall zur tödlichen Falle wird, eine Werbefilmerin, die in den Rhythmen des Alten Testaments ihre eigene Kindheit wiederfindet, eine mexikanische Köchin, - sie leben in Formen, die älter sind als sie, die vorgeprägt sind in Texten, Bildern, alten Legenden, in denen die Oberfläche der Dinge zugleich ihr Inneres ausdrückt, ihren Wert. Kurz: Es sind heilige Formen, die Antonia Byatts Erzählungen beim Leser evozieren. Und so ist auch die letzte Erzählung eine biblische Paraphrase der christlichen Leibwerdung des Geistes am Küchenherd zwischen Zwiebeln, Fisch und Knoblauchknollen. Antonia Byatt ist eine rückwärtsgewandte Prophetin. Im ästhetischen Formenkreis von Religion und Kunst findet sie ihre Themen und die tiefe Befriedigung ihres Erzählens. Es ist eine Tiefe ohne tieferen Grund, die reine Epiphanie des Schönen. Man darf trotzdem gespannt sein, was ihr als nächstes dazu einfällt.