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Geschichtsunterricht
Große Wissenslücken bei Honecker und Co.

Eine gute Geschichtsbildung ist nach Auffassung der Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Sylvia Löhrmann, die Grundlage für Demokratiebildung und Menschenrechtserziehung. Doch angesichts enger Lehrpläne fällt ausgerechnet die jüngere Geschichte an deutschen Schulen oft unter den Tisch. Das soll sich laut KMK künftig ändern.

Von Christiane Habermalz | 14.03.2014
    Wer heute deutsche Jugendliche nach ihrem Geschichtsunterricht befragt, kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Man kann in Deutschland durchaus zwölf Jahre zur Schule gehen, ohne einmal dem Thema DDR zu begegnen. An vielen Schulen ist in Geschichte nach 1945 Schluss, was danach kam – zwei deutsche Staaten, der Kalte Krieg, die Stasi und die friedliche Revolution in Ostdeutschland - wird nicht mehr behandelt. Die Bundesstiftung Aufarbeitung der DDR-Diktatur hat in mehreren bundesweiten Studien seit 2004 genau diese Entwicklung bestätigt.
    "Die Tendenz in all diesen Umfragen ist immer gleich: Das heißt, die Schülerinnen und Schüler, und das sind ja diejenigen, die nach 1990 geboren sind und die also keine eigenen Erfahrungen mehr haben mit deutscher Teilung, dass sie ganz wenig Fakten wissen. Sie kennen auch wenig Personen, die für ältere Menschen ganz selbstverständlich sind, Willy Brandt zum Beispiel oder Erich Honecker. Jüngere Leute haben große Probleme zu verstehen, warum die so wichtig waren in der Zeitgeschichte",
    sagt Jens Hüttmann, Leiter des Arbeitsbereiches Schulische Bildung in der Bundesstiftung Aufarbeitung. Und noch etwas werde in den Umfragen deutlich, ergänzte er: Die meisten Schülerinnen und Schüler gaben an, gerne mehr über diese Zeit wissen zu wollen. Doch gerade die Zeitgeschichte falle bei den enggestrickten Lehrplänen oft unter den Tisch – auch eine Folge der Schulzeitverkürzung auf zwölf Jahre, sagt Hüttmann:
    "Das ist ein großes Problem, denke ich - auch aus Sicht der Zeitgeschichte. Denn Geschichte ist im Vergleich zu anderen Fächern nicht das allerwichtigste Fach, jedenfalls aus Sicht derjenigen, die darüber zu bestimmen haben, und mit der Zeitgeschichte ist eben das Problem, dass sie immer weiter fortläuft, insofern hat G8 dieses Problem eigentlich verschärft."
    DDR-Geschichte nicht prüfungsrelevant?
    Die DDR-Geschichte werde vor allem an westdeutschen Schulen leider oft als Regionalgeschichte für die ostdeutschen Länder angesehen, beklagte Hüttmann. Und viele jüngere Lehrer hätten selber große Wissenslücken bei dem Thema.
    Die Auseinandersetzung von Schülern mit der jüngeren deutschen Geschichte ist in diesem an Gedenktagen reichen Jahr ein Schwerpunktthema der KMK. Neben der Bundesstiftung Aufarbeitung waren auch die Bundeszentrale für politische Bildung, der Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen und der Verein "Gegen Vergessen - Für Demokratie" zum Gedankenaustausch geladen.
    Hüttmann brachte konkrete Vorschläge mit: So könnte die DDR-Geschichte beispielsweise über das Zentralabitur zum prüfungsrelevanten Thema werden. Und, um "Erinnerungskonkurrenz" zum Nationalsozialismus zu vermeiden, sollten für den Unterricht sogenannte Schwerpunktthemen zu Menschenrechten und Diktatur eingerichtet werden. Bei den Kultusministern trafen die Ideen der Bildungseinrichtungen durchaus auf offene Ohren – beim Thema Zentralabitur allerdings auch auf die harte Realität des deutschen Bildungsföderalismus.
    "Da ist die Situation in den Ländern offensichtlich sehr unterschiedlich: Ist es Pflichtbestandteil sowohl der mittleren Prüfungen als auch der zentralen Prüfungen, das müssen aber die Länder entscheiden, weil wir Aufgabenpools fürs Zentralabitur für Deutsch, Mathe und Englisch erarbeiten, und nicht für viele andere Fächer, die werden landesweit zentral erarbeitet. Aber da werden sicher alle Länder nach der heutigen Diskussion schauen: Wie sieht es bei ihnen aus."
    Die grüne nordrhein-westfälische Bildungsministerin Sylvia Löhrmann ist in diesem Jahr Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Erinnerungskultur hat sie zu einem persönlichen Schwerpunkt ihrer Amtszeit gemacht. Kenntnisse über die jüngste Vergangenheit schärften das Bewusstsein für die Probleme der Gegenwart, betonte sie. Jetzt wollen die Kultusminister eine Arbeitsgruppe bilden, mit dem Ziel, bis Jahresende Empfehlungen zu verabschieden, wie die Zeitgeschichte in den Lehrplänen der Schulen besser verankert werden könnte.
    Die Anregung der Stiftung Aufarbeitung, auch den Wissensstand der Lehrer zur jüngeren deutschen Geschichte auf den Prüfstand zu stellen, lehnten die Länder dagegen ab. Es solle keinen PISA-Test für Lehrer in historischer Bildung geben, sagte Löhrmann.