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Geschichtsunterricht im Laufschritt

Am Wochenende findet in Berlin die körperlich anspruchsvollste Form des Mauer-Gedenkens statt. Mehr als einhundert Läufer werden knapp 161 Kilometer zurücklegen - und zwar entlang der einstigen Mauergrenze.

Von Ronny Blaschke | 16.08.2011
    Im vergangenen Jahr gab Michael Cramer das Startsignal für den ersten Mauerweg-Lauf. Auf einen Startschuss verzichtete er bewusst, zu oft war während der deutsch-deutschen Teilung an der Grenze geschossen worden. 2010 bestand der Lauf aus drei Etappen, in diesem Jahr wird die Strecke am Stück zurückgelegt. Michael Cramer ist als Unterstützer wieder mit von der Partie. Mit seinem Engagement hatte der Europa-Abgeordnete der Grünen den Ausbau und die Ausschilderung des Mauerweges erst möglich gemacht.

    "Ich persönlich bin ja den Mauerradweg 1989 im Sommer auf der Westseite auf dem Zollweg abgeradelt, man konnte sich nicht verfahren, immer an der Wand lang. Aber dann 1990 im Frühjahr habe ich es auf dem Kolonnenweg gemacht, zwischen Vorder- und Hinterlandmauer. Mit einem ganz komischen Gefühl, weil ich dachte, halbes Jahr vorher wäre es nicht möglich gewesen oder ich wäre erschossen worden. Und dieses Feeling, das bringen sie mit, auch die Läufer. Und das finde ich gut. Und wie dann der eine sagt: ich war hier Grenzsoldat, jetzt laufe ich hier her, ohne Maschinengewehr. Ich war nie bei der Bundeswehr, das kann man ja kaum nachvollziehen."

    Die Mauerweg-Teilnehmer laufen für eine gute Streckenzeit, doch sie laufen auch gegen das Vergessen an. Vorbild für die Organisatoren sind die traditionsreichen 100-Meilen-Läufe in den USA, aber auch der Comrades-Marathon in Südafrika, der an die Opfer des Ersten Weltkrieges erinnert und jedes Jahr tausende Teilnehmer anlockt. Der 100-Meilen-Lauf in Berlin kann damit noch nicht mithalten. Die 2009 gegründete Langstreckenlauf-Gemeinschaft Mauerweg ist auf ehrenamtliche Partner und prominente Unterstützung angewiesen. Das Startsignal am Samstag wird Rainer Eppelmann geben, ehemaliger DDR-Bürgerrechtler und jetziger Chef der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

    "Also da wird ein Stück deutscher Geschichte, die wesentlich für auch unser Leben heute und morgen ist, wird Menschen nahe gebracht, die möglicherweise ansonsten sich mit Geschichte nicht befassen würden. Und das ist das für mich wertvolle dabei. Wir Deutschen sollten aus unserer Geschichte gelernt haben: nie wieder Diktatur!"

    "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten."

    "Mr Gorbatchov, tear down this wall!"

    Entlang der Grenze wurde Geschichte geschrieben – welche der Episoden den Mauerweg-Läufern wohl durch den Kopf gehen wird? Immer wieder entzündet sich Streit um das Gedenken der Mauer. Die einstigen Zeugnisse der Trennung sind fast ausnahmslos verschwunden, von den ursprünglich 303 Wachtürmen sind zum Beispiel nur noch fünf erhalten. Der Politiker Michael Cramer will sich weiter für eine zeitgemäße Form der Erinnerung einsetzen, auch mit Hilfe des Sports.