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Geschrumpftes Deuterium
Rätsel der Kernphysik auf der Spur

Wir alle bestehen zu einem erheblichen Teil aus Protonen, den Kernen von Wasserstoffatomen. Doch seit einigen Jahren stellen die Winzlinge die Fachwelt vor ein Rätsel. Physiker wissen schlicht nicht, wie groß das Proton genau ist - verschiedene Messverfahren spucken teils widersprüchliche Ergebnisse aus. Nun präsentiert ein internationales Forscherteam ein neues Experiment zum Protonenradius.

Von Frank Grotelüschen | 12.08.2016
    Die Grafik zeigt einmal das reine Wasserstoff-Isotop und einmal Deuterium, also schweren Wasserstoff
    Die Grafik zeigt einmal das reine Wasserstoff-Isotop und einmal Deuterium, also schweren Wasserstoff (Wissen Media Verlag / dpa picture alliance)
    Wie misst man die Größe eines Protons, eines Wasserstoffkerns? Das ist alles andere als einfach. Deshalb hat sich ein Forscherteam um Aldo Antognini vom Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz vor einigen Jahren ein raffiniertes Verfahren einfallen lassen - eine Methode, basierend auf einer höchst exotischen Sorte von Wasserstoff:
    "Normaler Wasserstoff besteht aus einem Elektron, das um ein Proton herumschwirrt. Wir haben das Elektron durch ein anderes Teilchen ersetzt, ein sogenanntes Myon. Das benimmt sich eigentlich genauso wie ein Elektron, ist aber rund 200 Mal schwerer. Deshalb umkreist es das Proton deutlich enger - und kann dadurch dessen Ausdehnung förmlich spüren."
    Allerdings ist die Herstellung dieser exotischen Atome kompliziert: Die Myonen müssen künstlich erzeugt werden, durch einen Spezialbeschleuniger am Paul-Scherrer-Institut. Diese Myonen lenken die Forscher auf Wasserstoff. Ab und zu dann schnappt sich eines der Protonen im Wasserstoff ein Myon und bildet mit ihm ein Atom.
    Unterschiedliche Messverfahren liefern widersprüchliche Ergebnisse zur Größe des Protons
    Das Problem: Myonen leben kaum länger als eine Mikrosekunde, dann zerfallen sie. Doch diese Mikrosekunde genügt, um das Exotenatom mit Lasern zu untersuchen und auszumessen. Das Resultat präsentierten die Experten vor einigen Jahren - und sorgten damit für eine Überraschung:
    "Unser Wert ist deutlich genauer als die Ergebnisse von anderen Messverfahren - aber er widerspricht diesen Ergebnissen. Irgendwo gibt es also ein Problem."
    Demnach misst der Radius des Protons nur noch 0,84 Femtometer, billionstel Millimeter. Das ist vier Prozent kleiner als das, was alte Verfahren gemessen hatten. Seitdem spricht die Fachwelt von einem Rätsel - dem Protonenradius-Rätsel. Doch ist der Messwert aus der Schweiz korrekt, hatten die Forscher womöglich Fehler gemacht? Um das zu prüfen, initiierten Antognini und seine Leute eine Nagelprobe - und wandten ihre Methode auf eine andere Wasserstoffsorte an, auf Deuterium, also schweren Wasserstoff:
    "Deuterium besitzt einen größeren Atomkern als Wasserstoff. Neben dem Proton enthält er ein Neutron. Indem wir die Größe des Deuteriumkerns gemessen haben, konnten wir prüfen, was es mit dem Rätsel um den Protonenradius auf sich hat."
    Auch der Deuteriumkern ist kleiner als erwartet
    Das Resultat überraschte das Forscherteam nicht wirklich:
    "Unser Wert für die Größe des Deuteriumkerns ist ebenfalls kleiner als erwartet. Und kombiniert mit einer anderen Messung konnten wir auch auf den Durchmesser des Protons schließen. Und diese Kombination hat unseren kleinen Wert bestätigt."
    Was die Physiker höchst zuversichtlich stimmt, dass ihr Wert korrekt ist und nicht das Ergebnis eines anderen Verfahrens, bei dem man gewöhnlichen Wasserstoff mit Präzisionslasern beleuchtet, um daraus den Protonenradius zu ermitteln. Von den Vertretern dieser Methode soll es bald neue Ergebnisse geben, auf die die Fachwelt gespannt wartet.
    Sind bislang unbekannte Elementarteilchen Ursache der kleineren Messergebnisse?
    Manche Theoretiker jedenfalls spekulieren schon munter drauflos, was hinter dem geschrumpften Proton stecken könnte. Eine der Theorien: Es sind neue, bislang unbekannte Elementarteilchen, die in die Messungen hineinfunken und das Proton sozusagen kleiner erscheinen lassen. Experimentalphysiker Antognini hält sich zurück:
    "Man könnte das zwar durchaus mit neuer Physik erklären, etwa mit der Existenz eines neuen Teilchens. Aber da müssen wir vorsichtig sein: Dieses neue Teilchen müsste sich dann auch in ganz anderen Experimenten bemerkbar machen, und dafür gibt es im Moment noch keine Anzeichen."
    Antognini und seine Kollegen jedenfalls wollen fleißig weitermessen. Bei ihnen steht nun ein weiterer Sonderling auf der Agenda - eine exotische Form von Helium.