Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Gesetz zu illegalen Autorennen
Gesetzesverschärfungen "präventiv überhaupt nicht wirksam"

Die Juristin Sabiha Gül Pinar vom Deutschen Anwaltverein hält den verabschiedeten Gesetzentwurf zu illegalen Autorennen für überflüssig. Der Paragraf 315c decke bereits konkrete Gefährdung auf deutschen Straßen ab, sagte sie im Dlf. Zudem werde mit dem Gesetz gefährliches Verhalten per se betraft - und nicht die Rechtsgefährdung.

Sabiha Gül Pinar im Gespräch mit Reinhard Bieck | 29.06.2017
    Ein Kreuz steht am Auenweg in Köln (Nordrhein-Westfalen) am Straßenrand an der Unfallstelle eines tödlichen Unfalls bei einem illegalen Autorennen.
    Es kann auch Unbeteiligte treffen: Der Tod einer Radfahrerin bei einem illegalen Autorennen in Köln beschäftigte den Bundesgerichtshof (BGH). (dpa / Oliver Berger)
    Reinhard Bieck: Ich wage jetzt mal ungeschützt die These, dass 99,9 Prozent aller Bürger dafür sind, durchgeknallten Möchtegern-Rennfahrern das Handwerk zu legen. Die restlichen 0,1 Prozent, das dürften A die Szene selbst sein und die 66.000 im Deutschen Anwaltverein organisierten Juristen, die das neue Gesetz nämlich in Bausch und Bogen ablehnen. Die schon im März verbreitete Stellungnahme hat Gül Pinar, Mitglied im Strafrechtsausschuss des Anwaltvereins, verfasst. Guten Abend nach Hamburg.
    Sabiha Gül Pinar: Guten Abend.
    "Wir brauchen nicht noch weitere Strafvorschriften"
    Bieck: Frau Pinar, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Sie diese Raserei ohne Rücksicht auf Verluste gutheißen. Oder etwa doch?
    Pinar: Die Frage ist nicht, die Raserei ohne Rücksicht auf Verluste gutzuheißen oder nicht. Jeder der ein Auto fährt, muss sich auch überlegen, ob es nicht schon einmal einen Tag gegeben hat, wo man dann doch etwas zu schnell gefahren ist. Die Frage ist, wo man die Grenze zieht. Es ist natürlich so, dass es ein Gefährdungspotenzial gibt von Kraftfahrzeugrennen, und wenn man sie dann genau begründen könnte und genau die Linie ziehen könnte, was ist ein Kraftfahrzeugrennen und was ist ein Rasen auf den Straßen, dann könnte man dieses Gefährdungspotenzial auch tatsächlich nehmen und in das bestehende Gesetz einbauen. Dafür brauchen wir nicht noch weitere Strafvorschriften.
    Anwaltsverein: Keine "konkrete Gefährdung"
    Bieck: Aber was ist denn daran so schwer festzustellen? Wir haben die Fälle in Köln, wir haben den Fall in Berlin, er ist gerade angesprochen worden. Da sind Leute Rennen gefahren, da gibt es überhaupt keine Zweifel dran.
    Pinar: Sie können feststellen, welches Rennen illegal gewesen ist oder nicht. Es wird natürlich in einem Strafprozess auch Beweisprobleme geben. Aber das ist nicht das, was wir als Deutscher Anwaltverein auch kritisiert haben. Es ist kritisiert worden, dass es ein abstraktes Gefährdungsdelikt sein soll, was in Gesetzesform gegossen werden soll, und nicht eine konkrete Gefährdung. In den Fällen, die Sie aufführen, Berlin und so weiter, und Mönchengladbach war vor Kurzem, ist das eben keine abstrakte Gefährdung, sondern eine konkrete Gefährdung tatsächlich auch eingetreten, und die konkrete Gefährdung auf deutschen Straßen ist bereits im Paragrafen 315c aufgeführt und darin könnte man das tatsächlich auch nehmen als eine konkrete Gefährdung, im Grunde genommen zu sagen, ja, es ist ein Gefährdungspotenzial. Und das, was wir beweisen können als konkrete Gefahr, muss natürlich irgendwie strafbar werden. Ich kann die Argumentation auch verstehen und das ist aber auch nicht das, was wir ankreiden, dass es nicht nur eine Ordnungswidrigkeit sein soll, wenn eine erhebliche Gefahr davon ausgeht. Aber diese Gefahr muss man doch tatsächlich benennen können.
    "Gefährliches Handels per se wird bestraft"
    Bieck: Wenn ich das richtig verstehe: Sie stören sich daran, dass hier allein der Aufruf oder die Organisation eines solchen illegalen Autorennens, noch bevor es überhaupt stattgefunden hat, unter Strafe gestellt wird. Aber so schlecht kann das ja auch nicht sein, sozusagen den Anfängen zu wehren?
    Pinar: Ich störe mich nicht nur daran, dass man zeigen muss, was ein illegales Kraftrennen ist oder nicht, sondern ich störe mich daran, dass ein gefährliches Handeln bereits dadurch strafbar sein soll, dass es ein gefährliches Handeln ist, ohne eine konkrete Rechtsgefährdung. Das ist im Grunde genommen das Problem, dass immer wieder im Strafrechtsbereich Strafvorschriften eingeführt werden, die ein gefährliches Handeln per se bestrafen, ohne zu benennen, was hat da eigentlich konkret an Rechtsgefährdung vorgelegen. Wenn dann im Gesetz aufgenommen wird illegale Kraftfahrzeugrennen, damit sind ganz, ganz viele Möglichkeiten gemeint. Sie werden mir recht geben, dass der Kavaliersstart auf unseren Straßen ja täglich ist. Das würde auch darunter fallen letztendlich, ohne dass irgendetwas damit gefährdet worden wäre.
    Gesetzesverschärfungen "präventiv überhaupt nicht wirksam"
    Bieck: Ich finde, Sie kommen jetzt ein bisschen vom Hölzchen aufs Stöckchen. Es geht doch darum, eine wirklich gefährliche Szene in die Grenzen zu verweisen. Aus einem Kavaliersdelikt, also jetzt nicht dem Kavaliersstart, sondern aus einem Kavaliersdelikt, das ja übrigens meistens von sehr jungen Kavalieren verübt wird, da wird jetzt ein Verbrechen mit Aussicht auf Knast. Das kann doch zumindest ein paar Leute abschrecken?
    Pinar: Gesetzesverschärfungen haben wissenschaftlich nachgewiesen noch nie zu einer Abschreckung geführt. Man hat dann Angst vorm erwischt werden und es ist präventiv überhaupt nicht wirksam. Das mal vorausgeschickt.
    Wir haben aber ein konkretes Gefährdungsdelikt, nämlich den Paragrafen 315c in unserem Strafgesetzbuch, und darin das aufzunehmen, dass illegale Kraftfahrzeugrennen in die Todsünde des Paragrafen 315c gehören, da haben wir überhaupt nichts einzuwenden, wenn dann konkret irgendetwas gefährdet ist. Aber wenn sich zwei Leute verabreden, illegal 100 Meter auf einer Strecke, wo eigentlich nichts ist, illegal Autorennen zu veranstalten, ist daran erst mal als gefährliche Handlung nichts Strafbares, sondern das würde tatsächlich in den Ordnungswidrigkeitenbereich fallen.
    "Illegale Kraftfahrzeugrennen sind älter als die Szene"
    Bieck: Sie haben eben gesagt, das neue Gesetz, das wird keine Besserung im Sinne von Abschreckung bringen. Die bisherige Rechtslage hat diese illegale Rennszene aber doch erst möglich gemacht. Ich kann das nur so zusammenfassen, dass Sie der Auffassung sind, der Staat kann überhaupt nichts gegen diese Szene machen?
    Pinar: Die bisherige Gesetzeslage kann überhaupt nichts für die illegalen Kraftfahrzeugrennen. Ich erinnere einfach nur mal an den Film, "Denn sie wissen nicht, was sie tun". Illegale Kraftfahrzeugrennen sind noch älter als die Szene, von der Sie sprechen. Die hat es schon immer gegeben. Und nur weil jetzt ein Fokus darauf ist, weil zwei spektakuläre Fälle gewesen sind, spricht man dann darüber, dass das Gesetz das nur möglich gemacht hat.
    Bieck: Eine der heute beschlossenen Sanktionen ist ja, den Rasern ihr Auto – da war eben von ihrem Spielzeug die Rede -, dass man ihnen ihr Spielzeug abnehmen kann. Könnte das denn Wirkung zeigen?
    Pinar: Ja, das ist ganz toll, dass jetzt darüber gesprochen wird, dass man den Rasern ihr Spielzeug wegnehmen könnte. Nur im Paragrafen 315f, wenn Sie das noch mal nachschauen würden, steht es bereits, dass man das darf. Das war bislang schon auch möglich. Wir wehren uns ja dagegen, wenn spektakuläre Fälle an der Tagesordnung sind, dass man dann gleich wieder kommt mit irgendwelchen Paragrafen aus den Schubladen, die vollkommen überflüssig sind, weil es sie bereits gibt.
    "Man muss benennen, was ist eigentlich das Rasen"
    Bieck: Frau Pinar, mit 160 durch die Innenstadt brettern, das ist irgendwie tatsächlich kriminell. Aber sagen wir mal, 60 in einer Tempo-30-Zone, das ist ja auch nicht ohne. Was halten Sie von diesem Schweizer Modell, dass man sagt, wer eine bestimmte Geschwindigkeit überschreitet, der ist per se ein Raser, egal ob er das nun wollte, ob er die Absicht hatte, ein Rennen durchzuführen.
    Pinar: Das ist tatsächlich etwas. Das Schweizer Modell mit den konkreten Benennungen von Geschwindigkeiten, die man nicht überschreiten darf, ist ein Modell, worüber man tatsächlich nachdenken muss, weil es ja dann wirklich auch genau erklärt ist, was man darf und was man nicht darf, und es gibt natürlich auch Untersuchungen, dass die häufigste Unfallursache auch das zu schnelle Fahren ist. Da würde ich tatsächlich auch anders drüber nachdenken als zu sagen, ein abstraktes Gefährdungsdelikt Kraftfahrzeugrennen, oder abstrakt das Rasen per se, weil man ja tatsächlich auch benennen muss, was ist eigentlich das Rasen. Wenn wir aber da in die Gedanken einsteigen, müssen wir tatsächlich auch überlegen, was ist mit dem Familienvater, der irgendwie schnell nach Hause kommen muss, weil er die Babysitterin ablösen muss und dann einmal in seinem Leben doch 20 km/h zu schnell fährt. Das würde natürlich auch darunter fallen, das ist in der Schweiz auch so. Das muss die Gesellschaft überlegen, ob wir das tatsächlich so wollen.
    Bieck: Der Bundestag beschließt mit der schwarz-roten Mehrheit ein Gesetz gegen illegale Autorennen. Für den Deutschen Anwaltverein ist der Entwurf nicht überzeugend. Das haben wir gerade gehört von der Hamburger Rechtsanwältin Gül Pinar. Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.