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Gesetzentwurf erlaubt Präimplantationsdiagnostik in Einzelfällen

FDP-Fraktionsvize Ulrike Flach legt heute einen überparteilichen Gesetzentwurf zur sogenannten PID vor: Er verbietet die PID - lässt aber Ausnahmen zu. Über diese soll eine Ethikkommission befinden.

Ulrike Flach im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 21.12.2010
    Tobias Armbrüster: Dürfen Mediziner künftig Embryonen im Reagenzglas auf Erbkrankheiten untersuchen? Soll es in Zukunft möglich sein, dass ein Arzt den Eltern rät, diesen Embryonen würde ich in die Gebärmutter einpflanzen, diesen aber nicht? Und wenn das möglich sein soll, wer soll darüber entscheiden, welche Erbkrankheiten erlaubt sind und welche nicht? – Das alles sind Fragen, die seit einigen Monaten im Rahmen der Debatte um die sogenannte Präimplantationsdiagnostik diskutiert werden. Die Mitglieder des Deutschen Bundestages wollen dazu im Laufe der nächsten Monate ein Gesetz beschließen, denn die derzeitige Rechtslage ist alles andere als eindeutig.
    Soll die PID also erlaubt oder verboten werden? – Heute stellt eine Gruppe von Parlamentariern im Bundestag einen Gesetzentwurf vor, mit dem die PID künftig erlaubt wäre. Mit dabei sind Abgeordnete aller Parteien. Ausgearbeitet hat diesen Vorschlag Ulrike Flach, die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion. Schönen guten Morgen, Frau Flach.

    Ulrike Flach: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Frau Flach, warum wollen Sie die PID in Zukunft erlauben?

    Flach: Wir haben ja im Juli dieses Jahres ein Urteil des Bundesgerichtshofes gehabt, in dem sehr klar dargelegt wurde, dass die PID in Deutschland möglich ist, aber es fehlen uns die, sagen wir mal, stringenten gesetzlichen Begleitumstände, die es erlauben, dass man es auch unter streng kontrollierten Umständen machen kann, dass es transparent ist und damit sozusagen kein Wildwuchs entsteht. Das ist der Grund, warum nicht ich alleine, sondern mit meinen Kollegen mich auf den Weg begeben habe, und so haben wir dann diesen Gesetzentwurf jetzt heute, den wir heute vorstellen wollen.

    Armbrüster: Unter welchen Bedingungen soll die PID denn Ihrer Meinung nach erlaubt sein?

    Flach: Erst mal wird sie grundsätzlich verboten. Das entspricht ungefähr dem § 218, also dem Abtreibungsgesetz, was wir in Deutschland seit vielen Jahren haben. Und dann wird danebengesetzt eine Ausnahmeregelung und die Ausnahmeregelung sagt, wenn es in der Familie schwere Erbschäden gibt, oder die Gefahr einer Tod- oder Fehlgeburt besteht, dann dürfen wir die sogenannte PID einsetzen.

    Armbrüster: Das sind ja nun sehr relative Begriffe, schwere Erbschäden zum Beispiel. Wer definiert das?

    Flach: Wir haben ja in den uns umgebenden Ländern, europäischen Ländern, ähnliche Gesetze. Auch dort wird es genau festgelegt, was ist. Manche haben eine Liste im Hintergrund, manche haben keine. Wir wollen auf jeden Fall, dass keine Liste den Menschen vorschreibt, nur diese Krankheit darf es sein, weil wir ja sagen, die Krankheit bewegt sich ja auch weiter, es gibt immer wieder neue Krankheiten, es gibt aber auch Krankheiten, die plötzlich geheilt werden können, weil neue Erkenntnisse da sind.

    Armbrüster: Müssen dann die Abgeordneten des Bundestages künftig regelmäßig entscheiden, was eine schwere Erbkrankheit ist?

    Flach: Nein, nein! Genau das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, dass Politik entscheidet, deswegen ja auch keine Liste, sondern wir wollen, dass eine Ethik-Kommission individuell entscheidet. Das haben wir im Nachbarland Frankreich genauso. Der Gedanke, der dahinter steht, ist, dass sich mit jedem Fall einzeln auseinandergesetzt werden soll. Wir wollen also nicht als Gesetzgeber sagen, du darfst und du darfst nicht, sondern die Ethik-Kommission ist die entscheidende Instanz in diesen Verfahren.

    Armbrüster: Aber schon so eine Ethik-Kommission ist ja eine politische Entscheidung, wer kommt da rein und wer nicht.

    Flach: Also ich werde es nicht bestimmen. Das Ganze wird ja angehängt im Endeffekt an eine Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums und wir haben auch Etliche Ethik-Kommissionen auch jetzt schon im Lande, also das ist kein ungewöhnliches Verfahren in Deutschland. Und wenn Sie sich das Gendiagnostikgesetz anschauen, das schreibt zum Beispiel auch vor, wie es zusammengesetzt werden soll. Also da sind Ärzte drin, da sind Psychologen drin, da sind Ethiker drin. Das alles ist ein Verfahren, das ist gängig in diesem ethisch hoch sensiblen Bereich, und das wollen wir hier an dieser Stelle dann genauso ansetzen.

    Armbrüster: Jetzt sagen die Gegner der PID, wenn wir einmal damit anfangen, Embryonen mit schweren Krankheiten auszusortieren, dann sind wir schnell auch dabei, Embryonen auch nach ganz anderen Gesichtspunkten auszuwählen, weniger schwere Krankheiten etwa, oder auch Augenfarbe oder Geschlecht. Wie wollen Sie sicherstellen, dass diese Art der Diagnostik nicht früher oder später ausgeweitet wird?

    Flach: Indem wir das in unserem Gesetz ausschließen. Also es wird nicht möglich sein, blonde Locken auszusuchen oder blaue Augen. Das ist in asiatischen Ländern möglich, bei uns wird das nicht möglich sein.

    Armbrüster: Aber ist das nicht sehr blauäugig? Besteht nicht die Tendenz, dass man solche Tore, wenn sie denn mal weit offen sind, in den Gesetzen früher oder später – das muss ja gar nicht nächstes Jahr sein; das kann auch innerhalb der nächsten 5 oder 10 Jahre sein – dann wirklich ausweitet?

    Flach: Nein, das sehe ich nicht, denn ich glaube, dass wir uns ja hier in die Hände von Fachleuten begeben, die sehr wohl wissen, dass das Gesetz ja hinter ihnen steht und sie beobachtet. Wir wollen alle zwei Jahre einen Bericht, einen Sachstandsbericht, damit wir immer wieder erkennen können, läuft was schief, müssen wir nachsteuern. Herr Armbrüster, das Entscheidende für uns ist ja, dass nach der jetzigen Gesetzeslage oder dem, was unsere Gegner im Parlament gerne wollen, wir die Frauen in eine Abtreibung treiben. Das wollen wir nicht! Nach den jetzigen Gesetzesgrundlagen, die wir haben, müssen sie erst einmal schwanger werden, dann machen sie eine sogenannte PND, dann erkennen sie, dass sie ein schwer krankes Kind bekommen, und dann haben sie für die Frau die wirklich hoch dramatische Entscheidung, trage ich das Kind aus, oder treibe ich es ab. In diese Situation wird keine Frau mehr kommen, wenn die PID im Rahmen der künstlichen Befruchtung möglich ist.

    Armbrüster: Aber Sie setzen hier an einem völlig anderen Punkt an. Bei der Schwangerschaft ist das Embryo bereits im Mutterleib, hier sind Sie sozusagen bei der Urform des Lebens und da wählen Sie aus. Da wählen Sie sozusagen aus einer Reihe von Embryonen aus und sagen, dieses ja, dieses hier nicht. Ist das nicht unethisch?

    Flach: Nein. Ich würde sogar sagen, das ist hoch ethisch, denn erstens: das Zellgebilde, welches es zu dem Zeitpunkt gibt, wird ohne die Einpflanzung in den Mutterleib nicht zu einem Menschen werden. Es ist also zwingend erforderlich, deswegen auch unsere Entscheidung, dass wir an dieser stelle auswählen können. Zweitens: Es sind wirklich hochrangige Ziele, die dort gesetzt werden. Nur wenn sie diese Voraussetzungen erfüllen, also Erbkrankheit oder Tod- und Fehlgeburt, nur dann werden sie es können. Und sie ersparen doch den Familien und den Frauen unendliches Leid. Das ist etwas, was in den uns umgebenden europäischen Ländern seit 20 Jahren passiert. Und ich glaube, dass wir den deutschen Familien nicht zumuten sollten, weiter nach Belgien oder nach Frankreich zu fahren, wenn sie in diesen schweren Situationen sind, sondern dass wir das hier in geordneten, hoch verantwortlichen Situationen dann in Deutschland auch machen sollten.

    Armbrüster: Eine Folge wäre, dass Eltern von Kindern mit Behinderungen schnell stigmatisiert werden. Die müssten sich anschließend immer sagen lassen, selber Schuld, ihr wusstet ja, dass ihr dieses Kind habt, oder ihr hättet es wissen können, wenn ihr mitgemacht hättet bei der PID.

    Flach: Nein. Erstens kann jemand eine PID nur dann machen, wenn er eine künstliche Befruchtung gemacht hat. Also nicht jeder in Deutschland kann in Zukunft eine PID machen. Das ist also schon eine sehr begrenzte Gruppe.

    Armbrüster: Aber die, die es machen, die müssen sich hinterher immer sagen lassen, ihr wusstet es ja.

    Flach: Ja, liebe Güte, aber das wäre doch viel schlimmer, wenn ich eine Liste von Krankheiten machte. Dann würde ich stigmatisieren. So haben wir das Gespräch mit der Familie, sie kann sich entscheiden, und ich bin wirklich zutiefst davon überzeugt, dass es hoch ethisch ist, den Frauen es zu ersparen, in die Schwangerschaft zu gehen, wenn ich es vorher verhindern kann und vorher wirklich verantwortlich damit umgehen kann und zu einer Entscheidung kommen kann.

    Armbrüster: Frau Flach, wie hoch rechnen Sie sich die Chancen aus, dass Sie diesen Gesetzesvorschlag im kommenden Jahr durchbringen?

    Flach: Ich gehe davon aus, dass wir nicht zu einem Verbot der PID kommen werden, wie es ja einige Kollegen gerne wollen. Ich glaube, die Mehrheit des Parlamentes sieht es mehr so wie wir. Welche Form des Gesetzes dann im Endeffekt kommen wird, eine noch stringentere, als wir das wollen, oder unsere, das werden die Mehrheiten im Parlament zeigen.

    Armbrüster: Dann würde ich zum Schluss gerne noch mal Sie fragen als stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion: Wie viel Rückhalt hat Ihr Parteivorsitzender Guido Westerwelle noch unter den Abgeordneten der FDP?

    Flach: Also Guido Westerwelle hat, wie Sie klar erkennen können, nach wie vor Rückhalt in der Fraktion, denn sonst käme ja aus der Fraktion eine Forderung. Die gibt es nicht. Wir werden sehen, wie die kommenden Monate sich für die FDP entwickeln, und dann gehen wir gelassen in den Bundesparteitag und schauen, was dann kommt.

    Armbrüster: Glauben Sie, das werden stürmische Monate für die FDP-Fraktion?

    Flach: Ach wissen Sie, Herr Armbrüster, ich bin 30 Jahre in der Politik, habe die verschiedensten Sachen erlebt. Bei der FDP ist es immer stürmisch. Aber wir wollen ja auch alle zusammen was Gutes. Ich denke, wir werden da schon gut durchkommen, aber es wird nicht einfach.

    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Ulrike Flach. Vielen Dank, Frau Flach, für das Interview.

    Flach: Gerne geschehen, Herr Armbrüster.

    Zum BGH-Urteil zur Präimplantationsdiagnostik (PID):

    Oktober 2010: Deutscher Ethikrat fordert klare Regelung zu Embryonenschutz

    Juli 2010: Bundesgerichtshof billigt Präimplantationsdiagnostik

    Juli 2010: Nach dem Leipziger Urteil zur Präimplantationsdiagnostik

    Juli 2010: "Da wird jetzt eine neue Debatte in Gang kommen" - Zum Urteil des BGH zur Präimplantationsdiagnostik

    Für die PID:

    November 2010: "Ein Akt für Menschlichkeit" - CDU-Politikerin Heinen plädiert für Zulassung der Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen

    November 2010: CDU-Chefin in Brandenburg befürwortet Präimplantationsdiagnostik

    Juli 2010: Präimplantationsdiagnostik in den USA Alltag

    Oktober 2010: Neuer Gentest erfolgreich bei künstlichen Befruchtungen eingesetzt

    Juni 2004: Umfrage belegt Befürwortung der Präimplantationsdiagnostik


    Contra die PID:

    Dezember 2010: "Die Erfahrung zeigt, man kann es begrenzen" - Ethikratvorsitzender über die Präimplantationsdiagnostik

    November 2010: CDU votiert gegen Gentests an Embryonen

    Oktober 2010: "Eigentlich bräuchte man kein Gesetz" - Präimplantationsdiagnostik erneut in der Kritik

    Oktober 2010: "Dann kann man nicht sagen: Den sortiere ich jetzt aus" - Behindertenbeauftragter kritisiert Präimplantationsdiagnostik

    Juli 2010: "Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich Ärzte für so was hergeben"

    Januar 2007: "Wir wollen ein nicht behindertes Kind!" - Präimplantationsdiagnostik-Tourismus nach Belgien