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Gesetzentwurf zu Sexualstraftätern
Türkische Regierung könnte einlenken

Eigentlich wollte das türkische Parlament heute ein umstrittenes Gesetz verabschieden. Es sieht vor, Sexualstraftätern ihre Haft zu erlassen, wenn sie ihr minderjähriges Opfer heiraten. Nach Protesten am Wochenende ist die Regierung offenbar zu Änderungen bereit.

Von Christian Buttkereit | 22.11.2016
    Demonstrantinnen rufen am 19.11.2016 in Istanbul Slogans gegen den geplanten Gesetzentwurf der türkischen Regierung zum Sexualstrafrecht und halten Transparente mit der Aufschrift "Vergewaltigung kann nicht legalisiert werden".
    Proteste gegen den Gesetzentwurf zum Sexualstrafrecht der türkischen Regierung. (picture alliance / EPA / Sedat Suna)
    "Vergewaltigung kann man nicht legalisieren" und "Kindesmissbrauch ist eine Straftat". So protestierten Tausende am vergangen Wochenende gegen den Gesetzentwurf der Regierungspartei AKP. Der sieht vor, dass Sexualstraftäter ihren Haftantritt aufschieben können, sofern sie ihr minderjähriges Opfer heiraten. Vorausgesetzt, es sei beim Sex keine Gewalt im Spiel gewesen und die Tat habe sich vor dem 16.11.2016 ereignet.
    Die Regierung war von einem Gericht auf das Thema gebracht worden. Es hatte bemängelt, dass die Mindeststrafe von drei Jahren Haft auch für Minderjährige verpflichtend sei, die untereinander einvernehmlichen Sex gehabt hätten. Um Schande von der Familie abzuwenden, heiraten sie dann oftmals vor einem Iman. Das wolle die Regierung nun anerkennen, sagt Regierungschef Binali Yildirim:
    "Wir haben diese Fälle, wo Minderjährige heiraten. Sie kennen das Gesetz nicht, sie bekommen Kinder und der Vater muss ins Gefängnis. Die Kinder sind dann mit ihrer Mutter allein. Es gibt 3.000 dieser Familien. Wir wollen deren Diskriminierung dieses einzige Mal aufheben."
    Frauenverbände befürchten Amnestie für Sexualstraftäter
    Frauenverbände bezeichnen den Gesetzentwurf der Regierung als Amnestie für Sexualstraftäter. Sie kritisieren, das neue Gesetz würde auch bereits erwachsene Täter schützen, die Sex mit Minderjährigen hatten. Aydeniz Alisbah Tuskan von der Vereinigung der Istanbuler Anwaltskammern fordert die Regierung auf, das Gesetzesvorhaben zu korrigieren:
    "Dadurch würden Hochzeiten mit Minderjährigen legal. Das ist durch nichts zu rechtfertigen. Der Staat hat die Aufgabe, die Kinder zu schützen. Den Vergewaltigern zu vergeben, ist genau das Gegenteil."
    Die Anwältin befürchtet, dass aufgrund des Gesetzes minderjährige Mädchen von ihren Familien bedrängt werden könnten, einen Mann zu heiraten, der ihre Jugend und Unerfahrenheit ausgenutzt hat – sei es, weil die Familie um ihre Ehre fürchtet oder weil sie sich Geld erhofft. Viele Türken teilen diese Bedenken:
    "Jemanden auch nur zu berühren ohne Einverständnis ist ein Verbrechen. Mehr kann ich dazu nicht sagen, das macht mich krank." - "Ich denke, wenn das Gesetz durchkommt, wird es auf Widerstand aus allen Teilen der Gesellschaft stoßen. Denn die meisten Leute sind der Meinung, Sexualstraftäter ließen sich nicht rehabilitieren. Ich glaube auch das diese Leute wieder gewalttätig werden und dann doch im Gefängnis landen."
    Proteste zeigen Wirkung
    Nach den Protesten am Wochenende und einer Online-Petition mit fast 800.000 Unterschriften hatte Ministerpräsident Yilidirm gestern der Opposition angeboten, noch einmal über das Gesetz zu reden.