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"Gesetzliche Krankenversicherung wurde über Jahre ausgetrocknet"

Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe hat davor gewarnt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient Schaden nehme, wenn Mediziner bestimmte Leistungen nicht mehr durchführen dürften. Es sei Aufgabe der Politik, einen klaren Katalog festzulegen, welche Leistungen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung noch zustünden.

Moderation: Jochen Fischer | 20.05.2008
    Jochen Fischer: In Ulm beginnt am Vormittag der 111. Deutsche Ärztetag. Die Mediziner wollen sich mit einem Konzept der Verbandsführung beschäftigen, das sich ganz unscheinbar "Ulmer Papier" nennt. Darin listen die Ärztevertreter alles auf, was ihrer Meinung nach im deutschen Gesundheitssystem schief läuft, und das wollen sie auch Bundesgesundheitsministerin Schmidt vorhalten.

    Am Telefon mitgehört hat Jörg-Dietrich Hoppe, der Präsident der Bundesärztekammer. Guten Morgen Herr Hoppe!

    Jörg-Dietrich Hoppe: Guten Morgen Herr Fischer.

    Fischer: Sie werden nun gleich den Ärztekongress eröffnen. Was werden Sie denn Bundesgesundheitsministerin Schmidt sagen, wenn sie nachher bei Ihnen auftritt? Sagen Sie 10 Prozent mehr Honorar für die Ärzte, das sind uns nicht genug?

    Hoppe: Sie wird vor uns sprechen und wird uns wahrscheinlich dieses Angebot unterbreiten. Das hätte sie aber besser gestern getan, nämlich da ist die Kassenärztliche Bundesvereinigung zusammengetreten und die ist der Verhandlungspartner der Krankenkassen in diesen Fragen. Bei uns geht es nicht so sehr um Geld, sondern um die anderen Fragen, die in Ihrem Beitrag von Frau Böckle geschildert worden sind, nämlich die Einengungen der Möglichkeiten, Patienten zu betreuen, die im gesetzlichen Krankenversicherungssystem Mitglieder sind, denn hier sind die Restriktionen doch sehr stark. Die Bürokratie ist enorm; die belastet, kostet viel Zeit und auch Geld. Wir haben dort nicht mehr die Möglichkeiten, die beispielsweise bei selbstzahlenden Patienten vorhanden sind, und deswegen ärgern wir uns darüber auch, dass dort Unterschiede sind. Das ist der wichtigere Teil in unserem Papier.

    Fischer: Sie beklagen ja, das Vertrauen zwischen den Ärzten und den Patienten sei geschädigt. Wodurch und wie kann es wieder hergestellt werden?

    Hoppe: Wir müssen den Patienten an höherer Stelle entschiedene Kürzungen in der Praxis oder am Krankenbett im Krankenhaus vermitteln. Wir sind also die Transporteure schlechter Nachrichten und das zerstört das Vertrauensverhältnis der Patienten, die zum Arzt oder zur Ärztin kommen. Sie betrachten diese Person als ihren Partner und auch ihren fürsorglich denkenden Partner und wenn der dann erst mal ankommen muss und sagen muss, das will ich zwar sein, aber in der, der und der Frage geht das nicht, weil das im System nicht vorgesehen ist, dann wird der Patient skeptisch und das ist eine schlechte Entwicklung. Man müsste diese Fragen dann vorher öffentlich diskutieren und den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung auf dem Wege vermitteln, dass das System nicht mehr alles bezahlen kann, was möglich ist in der heutigen Medizin, damit die Diskussion aus der individuellen Patient-Arzt-Beziehung herausgehalten wird.

    Fischer: Herr Hoppe, das habe ich nicht ganz begriffen. Wer, wenn nicht der Arzt, soll denn dem Patienten erklären, was er ihm anbieten kann und was nicht?

    Hoppe: Wenn vorher bekannt wäre, dass bestimmte Prozeduren im Gesundheitswesen für gesetzlich Krankenversicherte nicht mehr in Frage kommen, weil beispielsweise irgendwelche Kosten-Nutzen-Analysen oder so etwas ergeben haben, dass das im System nicht vorgehalten werden soll, dann müsste das an der Stelle bekannt gemacht werden, wo es auch entschieden worden ist, und zugänglich sein für alle Leute. Dass der Arzt dann in der individuellen Situation darauf verweisen kann, dass versteht der Patient dann sofort. Aber wenn der Arzt an der Front in der direkten Patient-Arzt-Auseinandersetzung die Figur spielen muss, die sozusagen die Behandlung nicht mehr anbieten kann, dann misstraut der Patient ihm, zumal dann auch manchmal zum Beispiel bei Bonus-Malus-Systemen die Frage aufkommt, hat der Arzt etwa andere Gedanken im Hinterkopf, die sein Honorar betreffen oder so etwas, wenn er mir eine Leistung jetzt nicht mehr angedeihen lassen will, von der man an sich meint, dass ich sie brauche und dass sie auch für meinen Fall notwendig ist.

    Fischer: Aber die Ärzte werden doch immer nur das anbieten, was dem Patienten nützt. Ich höre da gerade ein gewisses Misstrauen heraus bei Ihnen.

    Hoppe: Nein, das meine ich so nicht. Ich meine das Notwendige ist das Anrecht, der Anspruch, den die Patienten haben, und das Sinnvolle auch noch. Wenn aber der Arzt nicht mehr dieses Arsenal zur Verfügung hat, dann muss er das dem Patienten erklären und dieser wird dabei leicht misstrauisch, weil er möglicherweise daran denkt, dass es an diesem Individuum Arzt liegt, was die schlechte Nachricht nicht nur überbringt, sondern auch selber verantworten muss. Das ist ja nicht der Fall. Die ganzen Restriktionsmaßnahmen und ich sage auch jetzt einfach mal heimlichen Rationierungsmaßnahmen haben ihre Ursache an höherer Stelle und das ist das eigentliche Problem.

    Fischer: Sie sagen, der Gesetzgeber sei nicht gewillt, die bedarfsgerechten Mittel zur Verfügung zu stellen. Heißt das im umlagefinanzierten System, mehr Mittel ins System zu spülen? Heißt das Beitragserhöhungen?

    Hoppe: Wie es finanziert wird ist eine Angelegenheit der Sozialpolitik. Auf jeden Fall ist es so, dass die gesetzliche Krankenversicherung über die Jahrzehnte in der Bundesrepublik Deutschland ausgetrocknet worden ist, denn wenn Sie das Gesamtvolumen des Gesundheitswesens nehmen, dann liegen wir zwar sehr hoch in der Welt, aber wenn Sie den Anteil, den die gesetzliche Krankenversicherung ausmacht, jetzt herausnehmen, dann ist das der Prozentsatz, der unterhalb von England, von Finnland, von Schweden und vergleichbaren Ländern liegt, die steuerfinanzierte Systeme haben. Und das ist eindeutig zu wenig, um die Qualität weiter vorzuhalten, die wir in Deutschland gewöhnt sind.

    Fischer: Ab dem kommenden Jahr wird es ja den Gesundheitsfonds geben, eine gesetzliche Krankenversicherung mit einheitlichem Beitragssatz für alle. Wird der Fonds Ihrer Einschätzung nach Entlastung im System bringen?

    Hoppe: Zunächst einmal ist es so, dass der Staat dann bestimmt, wie die Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung aussehen, und es rückt damit unser System etwas näher an die steuerfinanzierten Systeme heran. Dann hat er die Verantwortung dafür, dass die Finanzausstattung sich so darstellt, dass auch die Leistungen, die im gesetzlichen Krankenversicherungssystem gefordert werden, tatsächlich bezahlt werden.

    Fischer: Und das wäre Ihnen am liebsten?

    Hoppe: Da sind wir noch sehr skeptisch, weil das tatsächlich wohl bei der derzeitigen Konstruktion des Fonds noch Beiträgen abhängt, und da hat der Staat ja in der Vergangenheit immer Beitragssatzstabilität sozusagen als wichtigsten Punkt der Gesundheitspolitik betrachtet. Wenn er das weiter tut, dann kann man sich eigentlich von dem Fonds nichts erhoffen.

    Fischer: Wird es in Zukunft viel stärker noch eine ich sage mal Zwei-Klassen-Medizin geben, weil das gesetzliche System nicht mehr leistungsfähig sein kann?

    Hoppe: Der Ausdruck Zwei-Klassen-Medizin ist sehr stark, aber es wird so sein, dass im gesetzlichen Krankenversicherungssystem nicht alles zu haben ist, was eigentlich möglich wäre. Selbstzahler können sich das "kaufen". Wenn sie versichert sind, können sie es durch ihre Versicherung refinanzieren lassen. Das geht ja bei gesetzlich Krankenversicherten nur dann, wenn sie Zusatzversicherungen abschließen. Insofern werden sich Unterschiede ergeben.

    Fischer: Der Präsident der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch!

    Hoppe: Gerne meinerseits.