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"Gespenster" von Sebastian Hartmann
Rache für die Sünden der Eltern

In den Kindern rächen sich die Sünden der Eltern: Das ist die zentrale These in Henrik Ibsen Theaterklassiker "Gespenster" von 1881. Sebastian Hartmann stellt nun am Deutschen Theater in Berlin eine Montage zur Diskussion, kombiniert "Der Vater" von August Strindberg und Heinrich Heines "Deutschland. Ein Wintermärchen".

Von Michael Laages | 25.02.2017
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    Linda Pöppel und Edgar Eckert in dem Stück "Gespenster" im Deutschen Theater Berlin (Premiere am 24.2.2017) Nach August Strindberg, Henrik Ibsen und Heinrich Heine. Regie und Bühne Sebastian Hartmannr (imago/Martin Müller)
    Von einem Best-of-Album, wie in Pop-, Rock- und Jazz-Musik üblich, ist dieser an sich sehr besondere Theaterabend nicht ganz leicht zu unterscheiden. Tatsächlich hat Sebastian Hartmann nur die szenischen Highlights der Vorlagen ins Visier genommen – hier, in "Gespenster", die finale Abrechnung des todkranken Sohnes mit der Mutter, deren Leben aus lauter Lügen bestand:
    - "Ich bin Deine Mutter, ich habe Dir das Leben geschenkt."
    - "Ich habe Dich nicht darum gebeten. Nimm es zurück. Ich will es nicht."
    - "Ich will es auch nicht ... Hilfe!"
    Osvald Alving steht da schon mit einem Bein im Wahnsinn beim letzten Dialog und bittet die Mutter um den letzten Dienst für den letzten Weg, also um ganz viel Morphium.
    August Strindbergs "Der Vater"
    Kurz zuvor haben "Der Vater", also Strindbergs Rittmeister, und Gattin Linda bis aufs Messer um die Zukunft der Tochter gestritten. Und die klügere Frau hat den schwächeren Mann an den Punkt getrieben, wo ihn die Ärzte in die Zwangsjacke stecken werden:
    - "Unsere Tochter kommt in 14 Zagen in die Stadt in Pension."
    - "Zu wem?"
    - "Zum Justizrat."
    - "Der Freidenker ..."
    - "Die religiöse Erziehung der Kinder erfolgt im Glauben des Vaters. Das ist die Rechtslage."
    - "Und die Mutter hat keinerlei Mitsprache?"
    - "Absolut nicht, nein."
    Alle Handlungen drum herum, alle dramaturgisch vernetzten Spuren in beiden Stücken, sind zwar auf der Strecke geblieben, werden aber nicht wirklich vermisst.
    Markwart Müller-Elmau, Gabriele Heinz, Almut Zilcher, Katrin Wichmann und Ben Hartmann, v.l., während der Fotoprobe für das Stück Gespenster im Deutschen Theater Berlin. Premiere ist am 24. Februar 2017. // Nach August Strindberg, Henrik Ibsen und Heinrich Heine. Regie und Bühne Sebastian Hartmann. Kostüme Adriana Braga Peretzki. Deutsches Theater Berlin Gespenster  Markwart Mueller Elmau Gabriele Heinz Almut Zilch Katrin Wichmann and Ben Hartmann V l during the Photo sample for the Piece Ghosts in German Theatre Berlin Premiere is at 24 February 2017 after August Strindberg Henrik Ibsen and Heinrich Heine Director and Stage Sebastian Hartmann
    Markwart Müller-Elmau, Gabriele Heinz, Almut Zilcher, Katrin Wichmann und Ben Hartmann, v.l., während der Fotoprobe für das Stück. (imago/Martin Müller)
    Und wo sich die verbliebenen Zimmerschlachten in den heiligen Familien des Bürgertums nicht umstandslos verzahnen lassen, kommen Heinrich Heine und "Deutschland. Ein Wintermärchen" ins Spiel, das neue Lied, das bessere Lied, das er dichten wollte, 30 Jahre vor den Familien-Aufstellungen der skandinavischen Theater-Psychologen.
    "Wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich errichten."
    Ob aber auch das noch nötig gewesen wäre? Außer, um Ben Hartmann und Philipp Thimm zu beschäftigen, die rockig-sphärischen Live-Musiker? Nicht wirklich ... Ibsen und Strindberg und das Gemetzel der Geschlechter und Generationen fügen sich an sich schon dramatisch dicht und massiv monströs zueinander.
    Hartmann entwickelt mit großer Fantasie
    Und zuweilen entdeckt nur, wer die Stücke recht gut kennt, den Klebstoff zwischen den Text-Passagen. Die besondere Kraft der Montage liegt aber nicht nur in diesem Neben-, Mit- und Durcheinander – Sebastian Hartmann hat es obendrein mit großer Fantasie für das Ensemble entwickelt.
    So beginnt der Abend nach dem Heine-Gesang mit dem Ibsen-Finale, aber die beiden ältesten auf der Bühne, Gabriele Heinz und Markwart Müller-Elmau, lösen den Text aus aller äußeren Logik, zum Beispiel des Alters:
    - "Jemand soll bei mir bleiben, jemand soll immer bei mir sein, mir helfen, wenn es nötig ist."
    - "Hier ist Deine Mutter, die hilft Dir."
    - "Du? Nein."
    Später wird dieser Kampf um Leben und Tod noch in einen inzestuösen Akt übersetzt, von dem auch das Ibsens Original verklausuliert spricht. Und Frau Heinz verlässt die Bühne danach mit der schönen Frage, warum sie sich das eigentlich antun müsse.
    Immer mal wieder übrigens fällt das Ensemble ins sehr Private. Strindbergs Streithähne, Katrin Wichmann und Felix Goeser, sind eigentlich zu jung fürs Stück; Linda Pöppel, die auch den Heine singt, muss darum noch jünger wirken als sie ist. Edgar Eckert, der "richtige" Sohn Osvald in den Armen der "richtigen" Mutter Almut Zilcher, wird schließlich mit Eimern von Erde zugeschüttet. Dann krabbelt er sich frei, alle klatschen sich die Sand-Reste von den Händen und gehen so in den Schluss-Applaus – der Abend ist voll von solch schönen Überraschungen.
    Und zwei Bilder bleiben. Hartmann ist ja auch - wie meistens - sein eigener Bühnenbildner. Hinter den Ibsen hat er eine Art wandhohes Wackelbildchen platziert, in dem sich die Figuren plötzlich zu bewegen beginnen. Später beflimmert eine Video-Animation von vielen kleinen Dorfhäusern die gesamte Bühne – und aus den Häusern wachsen Arme mit Pistolen dran, mit denen sich die Häuser ein Loch in den Dachfirst schießen.
    Worum also geht es schlussendlich, auch ohne Heine? Um eine Art bürgerlicher Apokalypse. So deutet Hartmanns Theater die Welt. Und hat viel Grund dazu.