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J. S. Foer: Wir sind das Klima
Der Verstand ist willig, der Magen schwach

Mitten in der Klimadebatte meldet sich der amerikanische Romanautor Jonathan Safran Foer zu Wort. In seinem Buch “Wir sind das Klima” macht er den Fleischkonsum als Hauptursache aus für den erhöhten CO2-Ausstoß. Doch der größte Feind des Klimas sei unsere Bequemlichkeit.

Von Johannes Kaiser | 25.09.2019
Schriftsteller Jonathan Safran Foer
Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer (imago stock&people/ ZUMA Press)
In wohl keinem anderen Land der Welt gibt es so viele Klimaleugner wie in den USA. Von der Erdölindustrie und konservativen Politikern bezahlte Think Tanks verbreiten Fake News, und der Präsident verpasst den staatlichen Klimaforschern Maulkörbe. Eine Fridays for Future Bewegung gibt es noch nicht, Foer erwähnt sie nicht einmal, ein deutlicher Schwachpunkt des Buches, das sich vor allem auf die USA bezieht.
Doch es sind nicht nur die konservativen Medien und Politiker, die den menschverursachten Klimawandel leugnen, auch wir selbst, so der Schriftsteller, verschließen vor den Tatsachen, der realen Bedrohung die Augen. Seine Argumentation: Der Verstand begreift die Gefahr, allein es fehlt der Glaube, tatkräftig zu handeln. Man will es einfach nicht wahrhaben und eben diese Begriffsstutzigkeit belegt Foer mit zahlreichen Beispielen aus der Geschichte und dem eigenen Leben.
"Ich will, dass mir die Krise unseres Planeten wichtig ist. Ich sehe mich als jemanden, dem solche Dinge wichtig sind, und möchte so gesehen werden. In Wahrheit ist die Krise unseres Planeten mir überhaupt nicht wichtig – nicht auf der Ebene des Glaubens. Ich bemühe mich, meine emotionalen Grenzen zu überschreiten. Ich lese Berichte, sehe mir Dokus an, gehe zu Demos. Aber meine Grenzen bleiben. Die Wahrheit ist so roh wie offensichtlich: Es ist uns egal."
Ein Kind im Fluss, das ist eindeutig
Er zieht hier immer wieder Beispiele aus der Vergangenheit heran, um die psychologischen Widerstände des Nicht-Glauben-Wollens zu erklären. Dazu gehört auch die eigene Familiengeschichte. Seine Großmutter und sein Großvater, polnische Juden, haben die Nazizeit nur überlebt, weil sie rechtzeitig erkannt haben, was droht und geflohen sind. Ihre Verwandten sind von den Nazis ermordet worden. Sie haben es nicht glauben können oder wollen.
Dahinter steht ein grundsätzliches Problem, das Foer anspricht: Wenn ein Kind in den Fluss fällt, ein Teenager in einem Unfallauto feststeckt, dann helfen wir oftmals spontan. Die Situation ist eindeutig. Ein Ereignis in der Zukunft zu antizipieren, so dramatisch es auch sein wird, fällt uns viel schwerer.
"Bei der Recherche zu diesem Buch war ich häufig schockiert von dem, was ich erfuhr. Emotional berührt war ich nur selten. Und wenn doch, dann nur vorübergehend und niemals lange oder stark genug, um mein Verhalten dauerhaft zu ändern. Es ist entsetzlich schwer, über die Krise unseres Planeten so zu sprechen, dass man es glauben kann."
Unsere Lust kennt keine Prinzipien
Foers Buch ist also der Versuch, uns emotional anzusprechen und zum Handeln zu bringen. Herausgekommen ist dabei eine Mischung als Sachbuch, persönlicher Erzählung, historischen Geschichten, Statistiken, Reportagen, Autobiografie und auch ein Selbstgespräch, in dem er noch einmal sämtliche Argumente auflistet, die einen Fleischverzicht begründen. Dabei ist er selber keineswegs konsequent, gibt zu, mehrmals gesündigt, Fleischburger gegessen und gegen seine eigenen Regeln verstoßen zu haben:
"Meiner eigenen Scheinheiligkeit ins Angesicht zu sehen, erinnert mich daran, wie schwer allein schon der Versuch ist, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen. Ich kann mir keine Zukunft vorstellen, in der ich wieder Fleischesser werde, aber ich kann mir auch keine vorstellen, in der ich nicht gerne Fleisch äße. Man kann seine Gelüste nicht einfach aufgrund von Prinzipien abstellen."
Und genau dies wird eine Umstellung der Ernährung für seine Landsleute so schwer machen. Das liegt auch an der Tatsache, dass jeder Amerikaner jedes Jahr 19,8 Tonnen CO2 verursacht – weltweit eine Spitzenposition. Ein Bangladeshi verursacht 0,29 Tonnen, über 60mal weniger. Wenn wir alle so wie die Amerikaner lebten, bräuchten wir vier Erden. Foers Gegenrechnung:

"Um das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen, darf die individuelle CO2-Bilanz pro Jahr bis 2050 nicht höher liegen als 2,1 Tonnen. Keine tierischen Produkte zum Frühstück und Mittagsessen zu konsumieren, spart jährlich 1,3 Tonnen."
Kein Fleisch zum Frühstück
Blieben immer noch über 17 Tonnen CO2 für jeden Amerikaner. Und hier schweigt Foers Buch. Bei seiner Fixierung auf den Fleischkonsum, so wichtig dessen Rolle beim Klimawandel auch ist, gehen alle anderen Maßnahmen unter. Ausstieg aus der Kohle, Ausbau erneuerbarer Energien, neue Verkehrssysteme, die kein CO2 mehr ausstoßen – für Foer sind das alles nur Randthemen. Dabei lässt sich durch Gesetze und Verordnungen auf diesen Gebieten durchaus eine Menge erreichen. Individuelles Verhalten zu ändern, ist dagegen viel schwerer und langwieriger. Jonathan Safran Foers Buch ist ein fast schon verzweifelter Appell an uns alle, gemeinsam zu handeln:

"Was für eine Zukunft würden Sie einer Zivilisation prophezeien, die ihre Kräfte bündelt, um ihr Zuhause zu retten? Diese Entscheidung würde viel über uns aussagen und uns verändern. Indem wir den nötigen Sprung machen, nicht im Glauben, sondern im Handeln, würden wir mehr tun, als unseren Planeten zu retten. Wir würden uns einer Rettung auch als würdig erweisen."
Dem kann man nur zustimmen. Bleibt die Frage, wie viele durch Foers Buch aufgerüttelt werden und handeln. Es mag sicherlich die persönlichste und literarischste Warnung vor dem Klimawandel sein, die derzeit auf dem Buchmarkt existiert. Aber an gut geschriebenen Sachbüchern zum Thema herrscht kein Mangel. Was bleibt, ist ein zwiespältiges Gefühl. Dennoch eine empfehlenswerte Lektüre für alle diejenigen, die sich mit dem Klimawandel bislang wenig auseinandergesetzt haben.
Jonathan Safran Foer: "Wir sind das Klima - Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können"
Aus dem Amerikanischen von Stefanie Jacobs und Jan Schönherr
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln. 328 Seiten, 22 Euro.