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Gestiegene Nachfrage
Die Türkei im Kinderbuch

Deutsch-türkische Themen sind Gegenstand vieler Kinder- und Jugendbücher. Die Stadt Istanbul, Tradition und Moderne in der Türkei, die Geschichte des Landes und seine Sprache. Die Verlage tun gut daran, den Bedarf zu erkennen und sich auch anderer Sprachen anzunehmen, die in den Schulen kaum gelehrt, in den Familien aber viel gesprochen werden.

Ein Feature von Maria Riederer | 31.01.2015
    Die deutsche und die türkische Flagge wehen am Dienstag (17.04.2007) auf der Hannover Messe Industrie nebeneinander im Wind.
    In den letzten Jahren hat sich das Bewusstsein für die Bedeutung des interkulturellen Dialogs verstärkt. (dpa / Peter Steffen)
    Zweisprachige Bücher in Deutsch und türkisch – sowie auch Bücher, die türkische Themen behandeln -, erobern erst in den letzten Jahren verstärkt den Markt. Seit rund 60 Jahren gehen deutsche und türkische Kinder gemeinsam zur Schule. Die Nachkommen der sogenannten Gastarbeiter sprechen längst besser Deutsch als Türkisch, und viele von ihnen kennen die Heimat ihrer Großeltern nur noch durch Urlaubsreisen. In den letzten Jahren hat sich das Bewusstsein für die Bedeutung des interkulturellen Dialogs verstärkt.
    Förderung der Muttersprache
    Man weiß mittlerweile, dass die Förderung der Muttersprache bei Kindern mit Migrationshintergrund die Integration fördert und nicht behindert. Es gibt bilinguale Schulen oder Klassen - und auch auf dem Kinderbuchmarkt findet man immer mehr zweisprachige Titel in Deutsch und Türkisch. Auch Deutsch-türkische Themen sind nun Gegenstand vieler Kinder- und Jugendbücher. Die Stadt Istanbul, Tradition und Moderne in der Türkei, die Geschichte des Landes und seine Sprache. Die Nachfrage nach solchen Büchern ist gestiegen – sagt Fikret Günes, der in Dortmund die deutsch-türkische Buchhandlung "Dost Kitabevi" betreibt.
    "Die Eltern sind auf jeden Fall aufmerksamer geworden, weil die natürlich hier zur Schule gegangen sind, und dann natürlich bildungsnäher sind als die Elterngeneration der ersten und wahrscheinlich auch der zweiten Generation. Daher legen sie jetzt auch immer mehr Wert darauf, dass ihre Kinder möglichst balancierte Mehrsprachigkeit haben. Deshalb - entweder Kinderbücher in beiden Sprachen, getrennt, oder wirklich, wenn es halt auf dem Markt gute zweisprachige Kinderbücher gibt, dann kaufen wir das. Von daher ist da schon ein großer Unterschied."
    Leitfaden für zweisprachige Kinderliteratur
    Junge Frau mit deutschem und türkischem Personalausweis
    Junge Frau mit deutschem und türkischem Personalausweis (dpa / picture alliance / Bernd Thissen)
    Fikret Güneş ist Leiter der deutsch-türkischen Buchmesse, die jedes Jahr in Essen stattfindet und von Lesungen in ganz Nordrhein-Westfalen umrahmt wird. Und - er hat einen Leitfaden für zweisprachige Kinderliteratur in Deutsch und Türkisch herausgegeben, um Eltern die Suche nach solchen Titeln zu erleichtern.
    "Die sind zum einen mehr geworden, definitiv, weil es auch wirklich mehr Verlage gibt... große deutsche Verlage oder Verlage im Deutschsprachigen Raum, die auch zweisprachige Kinderbücher gemacht haben, haben nicht unbedingt deutsch-türkisch gemacht, aber auch so langsam entdecken sie auch den Markt dafür und testen zumindest mit einzelnen Titeln, wie das so angenommen wird. Und wenn das läuft, wenn die entsprechende Nachfrage da ist, dann machen die auch mehr, deshalb ist es definitiv mehr geworden."
    Wo warten spannende Abenteuer?
    Wo gibt es Helden und Ungeheuer?
    Wo geht es rund, mal auf mal ab?
    Auf Türkisch nennt man es "kitap"
    "Sinan und Felix" mehrfach ausgezeichnet
    "Kitap" ist türkisch und heißt Buch. Der kleine Ausschnitt ist eines von 8 Gedichten, die Aygen-Sibel Celik an das Ende ihres Kinderbuches "Sinan und Felix" gestellt hat. Sie hat ein Bilderbuch geschaffen, das für deutsche und türkische Kinder gleichermaßen unterhaltend und lehrreich sein kann. Sinan ist türkischer Abstammung, Felix Deutscher. Die Geschichte erzählt vom Leben in zwei Sprachen und wie schwierig es für Felix ist, wenn sein Freund sich plötzlich mit einem Dritten auf Türkisch unterhält.
    "Selam, Hülya!" rief Murat
    Wie bitte, dachte Felix. Er kam sich richtig doof vor.
    Er schaute zu Sinan.
    "Selam!", sagte Sinan und hob die Hand. "Ich heiße Sinan".
    Ach so! Jetzt hatte Felix verstanden. "Selam, ich bin der Felix."
    In Deutschland groß geworden
    Das mehrfach ausgezeichnete Buch erzählt eine Geschichte über die Freundschaft und vermittelt deutschen Lesern spielend leicht einen Grundstock an türkischen Vokabeln und Redewendungen – mit Hinweisen zur richtigen Aussprache. Aygen-Sibel Celik gehört zu der Generation von türkischen Autoren und Autorinnen, die in Deutschland groß geworden sind. Zu ihnen gehört auch Arzu Gürz-Abay. Sie hat einen Teil ihrer Kindheit in Deutschland und einen anderen Teil in der Türkei verbracht. Heute lebt sie in Köln und schreibt zweisprachige Kinderbücher in Deutsch und Türkisch. Dazu gehört auch "Omas Teekanne in Kreta", erschienen im Anadolu Verlag, der Schulbücher und mehrsprachige Kinderbücher herausgibt.
    "Es ist Mitte Mai. Genau die richtige Zeit, um junge Zucchinipflänzchen in die Erde zu setzen, findet Leylas Oma Nermin. Von ihr hat Layla gelernt, dass sich das genügsame Gemüse in jeder Ecke des Gartens wohlfühlt. "Wir Menschen blühen nicht so schnell auf, wenn man uns verpflanzt", sagt Oma. Leyla weiß, dass sie dann an Kreta denken muss, ihre alte Heimat. Dort lebte Oma, bevor sie in die Türkei zog."
    "Omas Teekanne in Kreta" hat Bilderbuchformat und ist großflächig illustriert. Die Autorin erzählt darin die Geschichte einer Großmutter, die ihrem Enkelkind einen letzten Wunsch hinterlässt.
    "Leyla, du musst nach Kreta reisen. Dort musst du die griechische Familie besuchen, die heute in meinem alten Haus wohnt." Leyla weiß, dass Omas Familie einige Sachen zurücklassen musste, als sie von Kreta in die Türkei zog. "Ich habe zum Abschied alle umarmt und sie gebeten, das feine Porzellan für mich aufzuheben. Das konnte ich nicht mitnehmen. Du musst nach der Teekanne fragen. Sie soll dir gehören, mein Kind."
    "Das Thema ist Freundschaft, es ist die Wichtigkeit, ein Versprechen zu halten und es ist die Wichtigkeit der Wurzeln, dass man weiß, wo man herkommt, was passiert ist, dass junge Kinder sich auch mit Geschehnissen auseinandersetzen, die so bisschen in der Vergangenheit liegen, und die dennoch die Familie in einer Weise auch beeinflussen, dass die wirklich mitgetragen werden, diese Ereignisse, und darum geht das."
    Freundschaft und Versprechungen
    Die Autorin spricht hier von der schwierigen Geschichte der Umsiedelung vieler Menschen nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches – z. B. zwischen Griechenland und der Türkei. Als die Großmutter stirbt, will Leyla die Teekanne aus Kreta holen und segelt mit ihrem Vater von Izmir auf die griechische Insel. Dort findet sie - im ehemaligen Haus ihrer Großmutter - Frau Chatzikosmidis, die Leyla in die politischen Hintergründe der Umsiedelungsaktionen der 1920er Jahre einweiht.
    "Weißt du, damals im Osmanischen Reich, lebten viele Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft friedlich als Nachbarn zusammen. Aber als aus dem Land mehrere eigenständige Länder wurden, mussten viele Menschen ihren Geburtsort verlassen und in das Land ziehen, zu dem sie fortan gehörten. So sind wir griechisch-orthodoxen Bewohner aus Izmir und anderen türkischen Städten nach Griechenland gekommen. Die muslimischen Einwohner Griechenlands, auch die auf Kreta, mussten in die Türkei ziehen."
    Hier wird ein ziemlich großes Thema für vier- bis fünfjährige Kinder auf einer halben Seite abgehandelt. Ein gewagtes Unternehmen. Um dem Thema die Schwere zu nehmen, erzählt die Autorin die Geschichte von Leyla, ihrer Großmutter und Frau Chatzikosmidis, in deren Haus die gesuchte Teekanne tatsächlich aufbewahrt wurde. Ob ein Vorschulkind die Zusammenhänge vom Zerfall eines Reiches und von der Umsiedelung und Entwurzelung ganzer Bevölkerungsgruppen erfassen kann, ist mehr als fraglich.
    Vom Verlieren und Wiederfinden
    Die Protagonisten, die sich auf den Bildern in einer farbenfrohen, fast kitschig mediterranen Umgebung bewegen, und ihre Geschichte vom Verlieren und Wiederfinden werden die Kinder aber sicherlich verstehen und auch mögen. Aber Arzu Gürz-Abay will nicht einfach nur schöne Geschichten erzählen, sondern sie möchte den türkischstämmigen Kindern in Deutschland die Geschichte der Türkei nahebringen.
    "Es ist ja anders, wenn Türken in der Türkei diese Bücher lesen, die haben ja schon Berührungspunkte gehabt, mit vielen der Themen. Aber hier ist man wirklich so bisschen abgekapselt, und deswegen ist es so ein Versuch, mit der Sprache, die möglichst einfach zu halten, dass die Eltern keine Schwierigkeiten damit haben, dass sie auch das erklären können und dass die Kinder von ihrer Seite auch der Geschichte folgen können."
    Patriotisches Buch: "Früchte der Freundschaft"
    Fast gleichzeitig mit "Omas Teekanne in Kreta" erschien von Arzu Gürz-Abay, ebenfalls im Anadolu-Verlag, der Titel "Früchte der Freundschaft". "Früchte der Freundschaft" ist ein – im weitesten Sinne - patriotisches Buch. Es erzählt vom friedlichen Miteinander der Kulturen unter dem Sultan, vom Zusammenbruch des Osmanischen Reiches nach dessen Tod und von der Gründung der Türkei. Statt eines kindlichen Protagonisten führt hier ein Handelsgut durch die Geschichte: Die Früchte.
    "Jedes Mal, wenn der Sultan Appetit auf frische Trauben, Feigen oder Granatäpfel hatte, sorgte eine kleine internationale Mannschaft dafür, dass er sie schnellstmöglich bekam. Ali Aga gab die Früchte dem Italiener. Der brachte sie zum Schiff des Niederländers. Der Armenier versichert die Ladung. Der Grieche setzt den Vertrag mit den Lieferbedingungen auf. So arbeiteten alle freundschaftlich zusammen.
    Problematisiert wird hier nichts: Nicht die Trennung der Kulturen nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, nicht die Minderheiten und Randgruppen in der Türkei oder die zwangsweise Einführung einer neuen Schrift und Sprache für alle.
    "Es ist kein Geschichtsbuch. Sicher nicht. Ich denke, dass der Geschichtsunterricht später das kompensiert. / Ich schau in die Geschichte, und dann bearbeite ich das in einer Weise, in der ich den Kindern eine positive Grundbotschaft gebe, dass man zusammenleben kann, dass man tolerant sein soll, und dass man möglichst Konflikte vermeiden sollte, dass das möglich ist."
    Ob "Früchte der Freundschaft" diese Botschaft übermittelt, hängt wohl von den Erwachsenen ab, die den Kindern die Geschichte – über das Buch hinaus - nahebringen. Das Buch lebt vor allem von den wunderschönen Illustrationen von Buket Topakoğlu, Die Farben sind satt und erdig, alle Figuren tragen die Mode ihrer Zeit, und auf jeder Seite finden sich liebevolle Details.
    "Der fliegende Dienstag" von Müge Iplikçi
    Neben den Verlagen, die zweisprachige Bücher in Türkisch und Deutsch herausbringen und so – neben den Inhalten – auch die Sprache vermitteln möchten, gibt es andere, in denen türkische Titel in deutscher Übersetzung erscheinen. So z.B. "Der fliegende Dienstag" von Müge Iplikçi, erschienen im Baobab-Verlag.
    "Auf dem Marktplatz herrschte dichtes Gedränge. Die verschiedenen Stände mit Obst, Gemüse und Kleidung ließen sich schwer auseinanderhalten. Vom Käseverkäufer bis zum Pullover-Verkäufer, vom Händler mit dem eingelegten Gemüse bis zum Schuhverkäufer – alle erdenklichen Verkäufer waren vertreten."
    Sibel träumt vom Fliegen, und die Autorin erfüllt dem Mädchen ihren Traum. Eine Geschichte zwischen Wirklichkeit und Fantasie entführt die Leser nach Istanbul auf den Dienstagsmarkt.
    "Es ging gegen Mittag und Sibel musste an knusprige Sesamkringel denken. Da hörte sie schon den Verkäufer rufen: "Heeeeiiiisseeee Simiiiiiit" Es gab einen Händler, der Petersilie und Minze verkaufte. Ein Tomatenverkäufer hatte seine Auslage über die Länge von fünf oder sechs Ständen ausgebreitet. Dazwischen gab es einen Zitronenhändler und ein Stückchen weiter vorne einen Lahmacun-Verkäufer."
    Für die Leser ist dieses Buch wie eine fantastische Reise in einen quicklebendigen Teil von Istanbul. Die Zeichnungen von Mustafa Delioğlu sind modern und eigenwillig, die Figuren oft eine Mischung aus fantastischen oder historischen und realen Gestalten, über die der Leser ganz nebenbei, meistens in kurzen Fußnoten, etwas lernen kann.
    Geschichte über soziale und kulturelle Unterschiede
    "Der fliegende Dienstag" ist aber auch eine Geschichte über soziale und kulturelle Unterschiede, die von der Autorin geschickt und ohne erhobenen Zeigefinger in die Geschichte einflochten werden. Erst im Nachwort werden einige ihrer Absichten aufgedeckt. Zum Beispiel die Namensgebung von Sibels Geschwistern Zara und Mehmed
    "Mehmet ist ein Name türkischer Herkunft, Zara einer kurdischer Abstammung. Dass sie in diesem Buch Geschwister, ja, sogar Zwillinge sind, ist von mir absichtlich so gewählt. Die Beziehung zwischen den Kurden und Türken ist im wirklichen Leben nicht so einfach. Ich wollte zeigen, dass es schöner wäre, wenn wir wie Geschwister friedlich zusammenleben würden."
    Dass die Autorin sich zu einem Nachwort mit wertvollen Hinweisen entschlossen hat, befreit die Geschichte selbst von pädagogischem Ballast. So gelingt es, dass Sibel mit aller Leichtigkeit über den Markt und die Stadt fliegt und aus der Vogelperspektive ihren Weg nachhause findet.
    "Sie sah die fadendünnen Straßen, den quadratischen Umriss der Moschee. Die Gräber des alten Friedhofes, die wie Streichholzschachteln aussahen. Und dann ihr kleines Haus, das im Abendlicht rosa leuchtete."
    Bücher, die in türkischer Sprache geschrieben wurden und – einsprachig – in deutscher Übersetzung erscheinen, sind noch eine Seltenheit auf dem deutschsprachigen Buchmarkt.
    "Da ist es nicht so stark, weil in der Türkei natürlich auch der Markt allgemein sich jetzt erst entwickelt - und es gibt natürlich durch die mündliche Überlieferung aus der Vergangenheit Märchen, berühmte Märchenfiguren wie halt Keloğlan, Nasrettin Hodscha, orale Geschichtserzählung ist schon immer da gewesen, aber jetzt in gedruckter Form, und das entwickelt sich eigentlich erst jetzt. Deshalb ist da ein großer Nachholbedarf, wenn man es mit den europäischen Ländern vergleicht."
    Märchenähnliche Erzählungen
    Die Geschichten, mit denen viele türkische Kinder bis heute groß werden, sind märchenähnliche Erzählungen, in denen eine Lebensweisheit vermittelt wird. Meist sind die Protagonisten gewitzte und weise Figuren, wie der Geistliche Nasrettin Hodsha, das Schattenspiel-Duo Karagöz und Hacivat oder der Junge Keloğlan. Immer wieder werden diese Geschichten auch im deutschsprachigen Raum, oft in zweisprachigen Versionen herausgegeben. Doch erst seit Kurzem findet man zeitgemäß illustrierte Ausgaben in hochwertiger Qualität. Auch hier ist wieder der Anadolu-Verlag Vorreiter mit einer in Türkisch und Deutsch erschienenen Eulenspiegelei des Jungen Keloğlan, nacherzählt von Melike Günyüz mit Bildern von Buket Topakoğlu.
    "Vor langer Zeit lebte in einem Land, in dem Berge und Täler in sattem Grün erstrahlten, ein Junge namens Keloğlan. Er wohnte zusammen mit seiner Mutter in einem winzigen Haus. Eines Abends rief die Mutter Keloğlan zu sich: "Hör zu, mein Sohn. Dieses Buch ist das einzige, was dein verstorbener Vater dir hinterlassen hat. Du bist nun alt genug, es gehört dir.""
    Keloğlan findet in dem Buch eine Landkarte mit Anweisungen des Vaters, auf Reisen zu gehen. So wandert er mit seiner Ziege Schneeflocke durchs Land und entdeckt eine Stadt, in der die Menschen wie leblos vor sich hin dämmern und keine Regungen mehr zeigen. Die Steuerlast, die ihnen der strenge Sultan auferlegt hat, drückt sie zu Boden. Erst Keloğlan findet mithilfe seiner Landkarte die Lösung für das betäubte Volk.
    "Ich hab mich schon immer gefragt, warum es wirklich keine gute zweisprachige Nasrettin-Bücher und Keloglan-Bücher gibt, und das ist in der Türkei erschienen, und die haben hier sofort die Rechte gekauft und haben das dann hier zweisprachig gemacht und wirklich nach Jahren ist eines der besten Bücher, den ich jetzt in diesem Bereich gesehen habe - deswegen ist das für mich ein sehr wichtiger Schritt gewesen."
    Überlieferung aus der Vergangenheit
    Immer häufiger finden sich auf dem deutschen Kinderbuchmarkt auch Titel türkischstämmiger Autoren, die in dritter Generation in Deutschland leben und selbst von deutschen Kinder- und Jugendbüchern geprägt sind. So eroberte beispielsweise das Buch "Zimtküsse", ein Roman für 11- bis 13Jährige, den Kinderbuchmarkt. Die Autorin heißt Deniz Selek und erzählt in dem Buch von Sahra, deren Vater aus der Türkei stammt und deren deutsche Mutter gerade die Familie verlässt. Sahra flüchtet sich in die Türkei zu ihrer Großmutter und wird dort mit dem Leben in Istanbul und den kulturellen Unterschieden zwischen Deutschen und Türken konfrontiert. Mädchenfreundschaften, die Erinnerungen der Großmutter, ein bisschen Orient und ein bisschen Romantik – das alles ist rund und spannend erzählt, und überzeugt seit Erscheinen Jugendliche mit oder ohne türkische Wurzeln.
    "Das ist eine parallele Entwicklung zu der Literatur für Erwachsene halt, ich meine, da gibt es ja auch viele Namen, was Erwachsenenliteratur betrifft, türkeistämmige Autoren, Autorinnen, wie Feridun Zaimoğlu oder Emine Sevgi Özdamar, das waren natürlich auch alle Autoren, die hier leben und dann auch wirklich direkt auf Deutsch schreiben, und dieser Trend fehlte bei den Kinderbüchern. Und das hat jetzt - so seit drei, vier Jahren glaub ich, hat das jetzt auch angefangen."
    "Yakamoz" von Aygen-Sibel Çelik
    Aygen-Sibel Çelik, die als Kind von der Türkei nach Deutschland gezogen ist und eine Reihe von Büchern mit deutsch-türkischen Themen in deutscher Sprache geschrieben hat, brachte zuletzt ein Jugendbuch mit dem klingenden Titel "Yakamoz" heraus. Yakamoz ist türkisch und bedeutet: Das Leuchten des im Wasser gespiegelten Mondes. Aygen-Sibel Çelik überschreibt mit dem Wort die Liebesgeschichte zwischen der Deutschtürkin Tuana und dem Istanbuler Noyan. Auf den ersten Blick ist "Yakamoz" eine von vielen Teenager-Liebesgeschichten mit Intrigen, Missverständnissen, Küssen und Herzklopfen. Sie spielt in Istanbul, der magischen Stadt, die eine perfekte Kulisse für romantische Jugendromane abgibt, weil sie ebenso modern wie orientalisch, mediterran wie sinnlich ist.
    Ein Stadtpanorama von Istanbul.
    Viele Geschichten spielen immer wieder in Istanbul, (Imago/Westend61)
    Die Stadt Istanbul ist eine beliebte Protagonistin in den Büchern deutschtürkischer Autoren und Autorinnen. "Der fliegende Dienstag", "Zimtküsse", "Yakamoz" – in keiner anderen Stadt könnten diese Geschichten erzählt werden. Tuana, die auf den Spuren des Geliebten nach Istanbul gereist ist, wird vom Muezzin geweckt, der Gebetsteppich im Wohnzimmer verrät, dass ihre türkische Großmutter eine fromme Muslima ist, die schon ihr Morgengebet verrichtet hat. Zum Frühstück gibt es statt Kaffee und Brötchen Tomaten, Oliven und Schafskäse. So beginnt Tuanas Tag. Auf der Suche nach ihrem Schwarm, der sie angeblich betrügt, lässt sie sich durch die Stadt tragen – mal in dichtem Verkehrschaos, mal entlang der Ufer des Bosporus.
    "Allein der Blick auf das Meer gab mir ein Gefühl der Freiheit. Die Möwen schwebten über den großen Fähren auf dem weiten Meer oder umkreisten die vielen Boote am Ufer. Auf einigen Booten wurden Fische gebraten und man bekam ein frisches Fischbrot mit Zwiebeln und Salat. Dieser Duft lud zum Verweilen ein, aber ich musste weiter."
    Kleine Highlights in "Yakamoz" sind die kurzen Zwischenkapitel, in denen Noyan versucht, ein Lied für seine Freundin zu schreiben. Er tut das fast in der Manier eines orientalischen Dichters, der seine Sehnsucht nach der – noch – unerreichbaren Liebe niederschreibt.
    "Wie der erste Regentropfen, der in den Himmel fiel
    Wie das Licht in Gottes Schöpfung
    Es begann mein Leben mit deinem Lächeln.
    Wie das Licht, das im Meer gezündet wird
    Es kann olivenschwarz mich blenden
    Wie deiner Augen Blicke, die mir zur Sonne wurden."
    Die Autorin Andrea Karimé hat weder türkische Eltern noch hat sie je in der Türkei gelebt. Ihr Vater stammt aus dem Libanon, ihre Mutter aus Deutschland. Durch ihre Zweisprachigkeit – deutsch und arabisch – hat die Autorin aber immer ein besonderes Ohr für fremde Sprachen gehabt.
    "Ich glaube daran, dass die Binationalen, die mit vielen Sprachen groß geworden sind - oder mit dem Klang vieler Sprachen -, dass die so einen Aufschappreflex haben. Und ich hab da also wirklich hier in Köln schon sehr viel aufgeschnappt, und ich habe mit Kindern gearbeitet als Lehrerin. Und da hatte ich natürlich auch Gelegenheit, Kinder kennenzulernen, die auch noch 'ne anderen Muttersprache hatten und die mir dann auch was beigebracht haben. Und da war türkisch natürlich auch dabei."
    Durch ihre Arbeit als Pädagogin und durch ein Schreibstipendium in Istanbul entwickelte die Autorin Spiele, in denen sie mit Kindern Klang und Bedeutung türkischer Wörter erkundet und mit ihnen kurze, poetische Texte schrieb. Diese Arbeit führte sie zu einem eigenen Buchtitel "Der Wörterhimmel des Fräulein Dill", erschienen im Schweizer Picus Verlag und illustriert von Annette von Bodecker-Büttner.
    "Ich war unheimlich froh, dass ich das Wort Dill gefunden habe – das ein Kraut ist für uns, ein Salatkraut, und das auf Türkisch eben "Sprache" heißt. Ich hatte dadurch ein Bild gefunden für die Sprache. Also ein Gewächs, die Sprache als Gewächs, und so ein tolles, filigranes Gewächs. Und dann hab ich eigentlich sehr schnell erkannt, dass das auch ein guter Name ist – Fräulein Dill."
    Der Junge Dennis und die alte Dame begegnen sich im Gemeinschaftsgarten hinter dem Haus. Die Dame ist Türkin, Dennis Deutscher. Er kennt ihren Namen nicht, nennt sie aber für sich "Fräulein Dill", weil sie, in gebrochenem Deutsch, ständig etwas von einem Dil-Problem vor sich hin murmelt. Einem Sprach-Problem. Und auch Dennis bekommt einen Namen von Fräulein Dill:
    "Merhaba Deniz, mein kleiner Meeresjunge", sagt die Frau und schlägt Dennis ihm leicht auf den Kopf.
    - Warum Meeresjunge?
    - Weißt du, mein Kleiner, in meiner Sprache bedeutet Deniz Meer. Ist das nicht schön?
    Dennis muss nicken. Er heißt MEER. Das hat er gar nicht gewusst. Und er sieht sich gleich selbst als blauer Dennismeeresjunge mit Wellen als Kleider und Schaum als Haare und Fischen im Bauch."
    "Dennis ist halt so ein sprachliebender kleiner Kerl, er macht gern Quatsch mit Sprache, erfindet gerne neue Wörter und Namen für Personen, und er trifft nun auf Frl. Dill. Frl Dill ist 'ne alte Dame, die Dichterin war. Die liebt auch die Wörter. Hat aber das Problem, dass sie natürlich älter und älter wird, und ihr gehen die Wörter verloren, und auf dieser Ebene - der Dennis findet neue Wörter, in seinen Augen Quatschwörter - treffen die sich, sie entdeckt nämlich die Poesie darin."
    Dennis sitzt mit Fräulein Dill auf einer Bank. Frau Fischbein, ihre Tochter, ruft ihr etwas Strenges aus dem Fenster zu.
    "Bana-ne!" – antwortet Frl. Dill.
    Dennis kichert. Banane!
    "Sana-ne!" sagt Frau Fischbein.
    Sehr lustig!
    "Banane, Sanane!" sagt Denis, "Sahnebanane"
    "Bana ne - ist der Ausdruck: Ist mir doch egal! Sana ne heißt dann "das geht dich nichts an" - bana ne, sana ne, entsteht dann plötzlich Sahnebanane."
    Andrea Karimé: "Den Wert spiegeln"
    Andrea Karimé erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft mit viel Poesie und Sprachwitz. Das Jonglieren mit türkischen und deutschen Wörtern durchzieht die ganze Erzählung: über Dennis und Fräulein Dill, über Dennis' Mutter, die in Istanbul Türkisch lernt und den Jungen schließlich zu sich lockt, weil er solche Sehnsucht nach ihr hat. Andrea Karimé hat als Leser besonders die Kinder im Blick, die mit zwei Sprachen groß werden.
    "Es geht mir auch darum, dass, wenn Kinder mehrsprachig sind, dass ich ihnen den Wert spiegeln möchte. Indem ich so eine Liebe dazu ausdrücke und eine Begeisterung, spüren sie, dass das was ganz besonderes ist, was sie da können. Und die Dinge zu vermischen, das ist ja im Schulbetrieb und im Kindergarten-Betrieb nicht so gewünscht, aber in der Poesie, find ich, ist das durchaus inspirierend und toll."
    Sechzig Jahre nach dem großen Zuzug türkischer Arbeiter nach Deutschland ist es höchste Zeit, dass Kinder, die mit Deutsch und Türkisch groß werden, passende, gute Bücher in die Hand bekommen. Die bisher noch langsam wachsende Anzahl Türkischer-Deutscher Bücher öffnet für Kinder beider Sprachen und Kulturen neue Welten. Ob der Schwerpunkt auf dem Spiel mit der Sprache liegt, auf der Geschichte der Türkei mit ihren hergebrachten Märchenfiguren oder auf dem Leben Jugendlicher in zwei Kulturen: Die Verlage tun gut daran, den Bedarf zu erkennen und sich auch anderer Sprachen anzunehmen, die in den Schulen kaum gelehrt, in den Familien aber viel gesprochen werden.