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Gesunder Tabak
USA: Forscher stellen Impfstoffe aus Tabak her

Impfstoffe können sehr teuer sein und müssen manchmal kurzfristig in großen Mengen hergestellt werden. Forscher arbeiten deshalb an Techniken, um die benötigten Antigene schneller und billiger herzustellen. Das Fraunhofer-Center für molekulare Biotechnologie produziert Impfstoffe in amerikanischen Tabakfarmen.

Von Thomas Reintjes | 30.06.2014
    Eine Spritze sticht in einen Arm
    In großen amerikanischen Tabakfarmen könnten pro Jahr bis zu eine Milliarde Dosen Grippe-Impfstoff hergestellt werden. (picture-alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Der Tabakanbau spielt in Delaware an der Ostküste der USA schon seit fast 250 Jahren keine große Rolle mehr. Dennoch ist in einem Gewerbegebiet in der Stadt Newark kürzlich eine neue Tabakfarm entstanden. Nicht auf einem Acker, sondern in einer Produktionshalle, bewirtschaftet von einem Roboter.
    Er besteht aus einem Schienensystem, über das flache mit Steinwolle gefüllte Edelstahlkästen bewegt werden, zuerst zu einer Sähmaschine.
    "Die Maschine nimmt jetzt die Samen und setzt sie in den Kasten."
    Ganz alleine ist der Roboter nicht, der Ingenieur Eugene Reiss überwacht die Anlage. Die stellt die Pflanzkästen nach der Aussaat in ein Regalsystem und züchtet so sehr effizient Tabakpflanzen heran, erzeugt Biomasse, erklärt Vidadi Yusibov. Er leitet das Fraunhofer-Center für molekulare Biotechnologie, wo die Tabakfarm steht.
    "Aus einem Gramm Samen entstehen innerhalb von vier Wochen 50 Kilogramm Biomasse. Das ist Faktor 50.000. Dadurch wird das zu einer sehr günstigen Quelle von Biomasse."
    Molekularbiologen lassen Antigene von den Pflanzen produzieren
    Es geht also nicht um Tabak, sondern um Biomasse. Und auch die ist nur Mittel zum Zweck. Denn eigentlich wachsen in der Farm Impfstoffe heran. Genauer: Antigene - Eiweiße, die für die Herstellung von Impfstoffen oder Medikamenten benötigt werden. Diese Proteine lassen die Molekularbiologen von den Pflanzen produzieren.
    "Man kann so praktisch jedes Protein herstellen. Das heißt nicht, dass es immer zu 100 Prozent bei jedem Protein funktioniert - wie bei jeder Technik gibt es da Herausforderungen. Aber theoretisch kann man jedes Protein in Pflanzen produzieren."
    Die Forscher in Delaware konzentrieren sich auf Impfstoffe. Sie wollen sie schneller, sicherer und billiger herstellen als konventionelle Technik es erlaubt. Bei einer drohenden Pandemie beispielsweise kurzfristig Unmengen Hühnereier für die Impfstoffproduktion zu beschaffen ist schwierig. Doch auch die Tabak-Technik hatte anfangs ein Geschwindigkeitsproblem. Um die Antigene in der Pflanze zu produzieren, wird sie mit einem Vektor infiziert - einem Virus oder Bakterium, das die Erbgut-Information des gewünschten Proteins enthält. Doch bis die Vektoren in die Pflanze eindringen und diese genügend Proteine produziert hat, dauerte es den Forschern zu lange.
    "In der Natur vergeht etwa ein Monat, bis sich der Vektor in der Pflanze verbreitet hat. Um diesen Vorgang zu beschleunigen, haben wir die so genannte Vakuum-Infiltration entwickelt. Das war der Schlüssel, um daraus einen zuverlässigen und skalierbaren Prozess zu machen: die Biologie durch die Physik zu ersetzen."
    Biologie durch Physik ersetzen
    Diese Schlüsseltechnik bringt die Vektoren innerhalb von Sekunden in die Pflanze ein. Ein kompletter Kasten mit 200 Tabakpflanzen wird in eine Unterdruckkammer gestellt und darin schließlich kopfüber in eine Bakterien-Lösung getaucht. Der Biochemiker Brian Green führt die Technik im Labor vor.
    "Wir erzeugen jetzt ein Vakuum, das entgast jetzt das Pflanzengewebe. Wie man sieht bilden sich Blasen auf den Blättern. Das Vakuum zu erzeugen dauert eine Minute, dann halten wir es eine Minute. Und wenn wir dann das Vakuum brechen, dringt die Agrobakterien-Suspension in die Blätter und wir haben unsere Bioreaktoren, bereit für die Protein-Produktion."
    Zulassungsverfahren und klinische Tests
    Danach stellt der Roboter die Pflanzen wieder in ein Regal, wo sie automatisch mit Wasser und Nährstoffen versorgt werden. Nach einer Woche werden die Tabakblätter geerntet, zerkleinert und schließlich die gewünschten Antigene isoliert. Das Endprodukt ist eine klare Flüssigkeit, die von Wasser kaum zu unterscheiden ist. Die Pilotanlage in Delaware dient der Forschung. Zusammen mit Unternehmen, die die Technik einsetzen wollen, beteiligen sich die Wissenschaftler an Zulassungsverfahren und klinischen Tests. Phase-1-Studien für Impfstoffe gegen den Schweinegrippe- und den Vogelgrippe-Erreger sind schon abgeschlossen, für ein Malaria-Mittel laufen sie gerade, Anthrax steht als nächstes an.
    "Es gibt schon eine größere Anlage mit unserer Technik in den USA, die zehn Tonnen Biomasse pro Monat verarbeiten kann. Dort könnten pro Jahr bis zu eine Milliarde Dosen Grippe-Impfstoff hergestellt werden."
    Weil alles in einer Fabrikhalle unter kontrollierten und sauberen Bedingungen stattfindet, soll sich die Technik von Delaware aus auch in Gegenden exportieren lassen, wo eigentlich kein Tabak wächst.