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Gesundheitslexikon Karies

Großen Einfluss auf die Zahngesundheit hat die Ernährung: Zuckerhaltige Produkte sind mit Vorsicht zu genießen, häufigeres Zähneputzen schützt auch hier vor Karies.

Von Cajo Kutzbach | 17.02.2009
    Prof. Dr. Johannes Einwag, Direktor des Zahnmedizinischen Fortbildungszentrums Stuttgart behandelt eine Karies:

    "Karies ist ein Loch im Zahn. Es ist ein besonderes Loch, denn der Zahn besteht aus Kalk. Und somit ist ein Loch im Zahn eine Entkalkung. Früher hat man gedacht, das wäre alles vererbt: Es gibt Leute, die kriegen viele Löcher, es gibt Leute, die kriegen wenig Löcher. Heute weiß man sehr gut, dass zwar individuelle Risiken vorhanden sind, die zusammenhängen mit der Stellung der Zähne beispielsweise, der Art der Mineralisation der Zähne und so weiter. Aber grundsätzlich weiß man, es ist eigentlich eine ganz einfache Geschichte: Es ist ne Entkalkung zurückzuführen auf Säuren, die auf die Zahnhartsubstanz kommen. Und die Zahnhartsubstanz wird ganz normal - wie wenn sie mit Essigreiniger ihre Kaffeemaschine entkalken - entkalkt. Und wenn das lange genug passiert, gibt‘s irgendwann ein Loch."

    Normalerweise nimmt niemand puren Essig oder andere Entkalkungsmittel in den Mund; wo kommen die Säuren also her? Zum Beispiel aus der Nahrung, etwa der Fruchtsäure, die nicht nur Zitronen, sondern auch Fruchtsäfte und Wein haben. Sogar isotonische Sportlergetränke können für Zähne schädlich sein.

    Auch bei Patienten mit Bulimie kann die Magensäure, die beim Erbrechen hoch kommt, die Zähne schädigen. Solche Schädigungen durch direkte Säurezufuhr nennt man nicht Karies, sondern Erosion, so wie die Auswaschung von Nährstoffen aus dem Boden durch den sauren Regen.

    Karies kannten schon die alten Babylonier, aber sie machten dafür den "Zahnwurm" verantwortlich. Erst 1889 entdeckte der amerikanische Zahnarzt Willoughvy Dyton Miller, dass Karies mit Süßem zusammenhängt. Allerdings schadet Süßes nicht direkt, sondern auf einem Umweg über Bakterien:

    "Die Karies wird ausgelöst durch Säure; durch Säuren, die von Bakterien gebildet werden. Diese Bakterien sind ganz normale Bewohner der Mundhöhle, die leben dort mit anderen Bakterien zusammen. Und wir brauchen diese Bakterien zu unserer Verdauung."

    Deshalb kann man nicht einfach alle Bakterien im Mund mit Medikamenten abtöten, sondern muss sie in Schach halten. Diese Bakterien mögen Süßes und bilden daraus Säuren, erklärt Prof. Johannes Einwag:

    "Genau, wie Hund, Katz und Maus unterschiedliche Dinge essen und unterschiedliche Dinge ausscheiden, scheiden dann auch die Bakterien in unserer Mundhöhle unterschiedliche Dinge aus. Und die Bakterien, die beispielsweise gern Süßes essen, die scheiden dann Säuren aus. Und, wenn diese Säuren auf den Zahn kommen, dann können sie genauso, wie die Säuren aus der Nahrung, oder aus dem Magen, Schäden verursachen."

    Aber jeder Bastler weiß, dass man nur dann ein Loch in die Wand bekommt, wenn man immer auf derselben Stelle bohrt. Deshalb sind nur ganz spezielle Bakterien für den Zahn gefährlich:

    "Was den Zähnen schadet, sind die Bakterien, die die Fähigkeit haben sich auf der Zahnoberfläche anzuheften, zu kleben. Und wenn sie dann dort auf der Zahnoberfläche klebend ihre Säure auf den Zahn loslassen, dann gibt‘s die Schädigungen."

    Je länger die Bakterien an einer Stelle sitzen bleiben können, desto tiefer kann das Loch im Zahn werden, weil die Säure immer mehr Kalk auflöst. Klebt etwas Süßes stundenlang an den Zähnen, dann geht es den Bakterien prächtig und sie können viel Säure über einen langen Zeitraum ausscheiden. Zähneputzen macht ihnen jedoch das Leben schwer.

    "Und wir wissen ganz genau, wenn wir es schaffen zumindest einmal am Tag gründlich die Zahnoberfläche zu säubern - aber gründlich heißt halt 100 Prozent und das ist schwierig - dann hätten wir überhaupt keine Probleme mit Karies."

    Die Zahnärzte leben davon, dass das Putzen an manchen Stellen, etwa den Zahnzwischenräumen so schwierig ist, dass niemand eine hundertprozentige Säuberung schafft.

    Gelänge es hundertprozentig zu putzen, könnte der Speichel die Bakterien in Schach halten. Prof. Johannes Einwag:

    "Wir haben im Körper einen wunderbaren Reparaturtrupp. Der sitzt im Speichel. Im Speichel gibt es all das Material, was der Zahn zur Reparatur braucht. Das heißt wenn Bakterien Säuren auf den Zahn loslassen, dann wird zwar immer etwas entkalkt, auch in Bereichen, wo wir‘s noch gar nicht sehen können, aber es kommt in jedem Fall auch zu einer Reparatur dieser Bereiche, einer sogenannten Remineralisation, wenn der Speichel die Gelegenheit hat, genau an diese Stellen hin zu kommen."

    Dabei ist es im Ergebnis egal, ob feste Lebensmittel, bei denen man heftig kauen muss, oder die Zahnbürste die Bakterien daran hindern, sich gemütlich und dauerhaft niederzulassen. Putzen ist für den Körper Hilfe zur Selbsthilfe, weil es der Spucke erlaubt, die Zähne zu reparieren.

    Sitzen jedoch Beläge auf den Zähnen, funktioniert das nicht. Dann kann es notwendig werden, zum Zahnarzt zu gehen, damit der rettet, was noch zu retten ist. Je früher, desto besser, erklärt Dr. Steffen Rieger, der gerade einem Patienten eine beginnende Karies mit Hilfe eines winzigen Sandstrahlgerätes gereinigt und danach die Zahnoberfläche mit Lack geschützt hat:

    "Also es ist ne gute Idee regelmäßig zur Kontrolle zugehen, da Sie dann tatsächlich die Chance haben, um den Bohrer herum zu kommen."

    Selbst, wenn bereits ein kleines Loch entstanden ist, kann man noch dem gefürchteten Bohren ausweichen. Dazu wird das kleine Loch mit einer Säure ein wenig vertieft und damit auch gesäubert.

    Und selbst, wenn gebohrt werden muss, ist das längst nicht mehr so schlimm, wie früher:

    "Also in der alten Amalgamzeit musste man relativ viel Zahnhartsubstanz für die Füllung opfern. Heute haben wir auch, selbst, wenn wir zum Bohrer greifen müssen, Technologien, um wirklich nur erkrankte Zahnhartsubstanz weg zu nehmen und die dann zum Beispiel mit ner Kunststofffüllung zu versorgen, oder auch mit anderen Möglichkeiten. Also wir können heute sehr defektorientiert arbeiten."

    Beim nächsten Patienten ist das Loch schon etwas größer. Nach dem Bohren wird das Loch mit Luft gesäubert und getrocknet, denn sogar dieser Spezialklebstoff - die spätere Kunststofffüllung - hält auf Feuchtigkeit schlecht.

    "Der Kunststoff, den wir dann einbringen, wird schichtweise eingebracht. Der ist in nem weichen Zustand, wird dann mittels Licht aktiviert, so dass die chemischen Verbindungen entstehen und das Material aushärtet."

    Am Schluss kontrolliert Steffen Rieger die Passform, schleift Überstehendes ab, poliert die Füllung und versiegelt die Stelle wieder mit einem Fluorid-haltigen Lack.

    Dennoch gibt es auch heute Fälle, bei denen Patienten erst zum Zahnarzt gehen, weil sie die Schmerzen nicht mehr aushalten. Dann können größere Füllungen, Kronen oder Wurzelbehandlungen nötig sein, ja manchmal muss der Zahn sogar gezogen werden. Prof. Johannes Einwag:

    "Aber die Notwendigkeit, Zähne zu ziehen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren alleine in Deutschland um 30 Prozent verringert. Auch eine Folge der Prophylaxe."

    Vorbeugung, also Putzen und regelmäßig Nachschauen lassen, lohnt sich vor allem, wenn man Angst vor dem Zahnarzt oder dem Bohrer hat.