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Gesundheitssystem
Debatte um Notfallpraxen

Zu teuer, zu wenig ausgelastet, schlecht erreichbar: Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein will mehrere Notfallpraxen schließen. Gegen die Pläne stellt sich die Ärztekammer, die den Notfalldienst aber selbst umstrukturieren möchte.

Von Lisa Hofmann | 30.03.2015
    Patienten im Wartezimmer eines Arztes
    Patienten im Wartezimmer eines Arztes (dpa / picture alliance / Klaus Rose)
    "Ja, ich bin beim Arzt, bin froh, dass er noch auf hat – oder erst."
    Kurz vor 19 Uhr. In der Rezeption des Ärztlichen Notdienstes Köln Nord e.V. klingelt es. Der erste Patient wartet bereits. Sein Anliegen:
    "Meine seit zwei Wochen anhaltende Grippe und zue Nase und die Nebenhöhlen, die mich eigentlich fertig machen, aber ich glaub ich hab den Fehler gemacht, mich zwei Wochen durchzuschleppen und zu hoffen, dass alles gut wird. "
    Der Arzt kommt eine halbe Stunde später verkündet der Praxisleiter. Für ihn und seinen Kollegen beginnt ein zwölfstündiger Bereitschaftsdienst. Die Notfallpraxis öffnet dann, wenn die Sprechzeiten niedergelassener Ärzte vorbei sind – in der Regel abends und in der Nacht. Zwei Diensthabende sind für 150.000 Kölner zuständig.
    Mittlerweile ist der Arzt eingetroffen - begrüßt seinen ersten Patienten. Durch eine Glastür geht es an der Rezeption vorbei in den Behandlungsraum.
    "Fieber hatte ich keins." – "War Ihnen öfter kalt, war Ihnen unwohl."
    Es sind die üblichen Probleme, die die Patienten zum Notfalldienst führen, erzählt der Arzt, der seinen Namen unerwähnt lassen möchte.
    "Blutdruck, Bauchschmerzen, manche mit einem Abszess, mit einer Wunde, Schmerzen in den Händen, Nachüberlastung – also das tägliche Brot, wie in einer allgemeinmedizinischen Praxis auch üblich."
    An diesem Abend ist der Andrang groß. Ein Dutzend Patienten kamen bisher innerhalb von drei Stunden. Häufig ist der Weg von zu Hause bis zum Notfalldienst weit – die Schmerzen zu stark. Dann fährt der Arzt persönlich zu den Patienten. Vor allem ältere Menschen sind auf den Fahrdienst angewiesen. Wer keine langen Fahrzeiten will, braucht die Notfallpraxis in der Nähe.
    "Wichtig ist es, dass die Patienten eine medizinische wohnortnahe Versorgung habe. Ich kenne mehrere Praxen. Von einer Seite der Stadt ist eine große Strecke und da geht's auch um die Versorgung älterer Herrschaften. Und deswegen ist es sinnvoll, die Praxen ortsnah zu haben."
    Geplante Umstrukturierung
    Trotz vieler ortsnaher Praxen werden diese nicht ausreichend genutzt. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein führt das zu ungleichen Dienstbelastungen und Kostenverteilungen und schließlich zur Überlastung älter werdender Ärzte. Deswegen will die Vereinigung jede dritte Praxis abschaffen. Reformpläne zu den Neuerungen wurden bereits im Februar beschlossen. Doch die Ärztekammer lehnt die Pläne ab. Ärzte und Patienten befürchten, dass Anfahrtswege und Wartezeiten durch die Schließungen länger werden. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, Peter Potthoff, hält an den Plänen fest.
    "Das beinhaltet die Notdienststruktur nicht, sondern die Arbeitsleistung im Notdienst, die wird so sein, dass die Bevölkerung versorgt wird, wie bisher auch, sie wird gleich bleiben, wenn ich aber vier Notdienstpraxen, die nicht unter Volllast laufen und ersetze diese Vier durch eine einzige, die das Arbeitspensum in gleicher Weise abarbeitet, hat die Bevölkerung keinen Nachteil."
    Das sieht die Ärztekammer anders. Eine Front, die es eigentlich nicht geben sollte, denn die Mitglieder der Kammer sind größtenteils auch in der Kassenärztlichen Vereinigung vertreten. Den Notfalldienst umzustrukturieren, liege schon länger im Interesse der Ärztekammer selbst, so Potthoff. Diese habe in der Vergangenheit selbst schon Reformpläne verfasst. Doch das kommt in der öffentlichen Debatte nicht an, so Potthoff.
    "Daran sind die Vertreter, also unsere Ärzte nicht ganz unschuldig. Die haben in Teilen Interessen propagiert, die anderen Interessenlagen folgen als derjenigen Interessen der Patienten und der Ärzte insgesamt in Nordrhein. Also ich will uns da nicht ausnehmen, aber das Bild, was draußen entstanden ist, ist sehr falsch."
    Zurück im Ärztlichen Notdienst Köln Nord e.V.. Es ist bereits nach Mitternacht. In der Küche wird sich Kaffee eingegossen. Bis auf ein bis zwei Fahrdienste, die noch auf den Bereitschaftsarzt zukommen, glaubt dieser nicht mehr an viele Patienten in dieser Nacht.
    Ein System wird an die Wand gefahren
    Unter der Woche ist es meist ruhiger als an Wochenenden. Die Notfallpraxen bald wegen zu geringen Zulaufs zu schließen, bedeute schlechtere Patientenversorgung.
    "Und so erscheint es mir, dass die Medizin nur aus ökonomischer Sicht und nicht mehr menschlicher Sicht betrachtet, dass dieses System ganz hart gegen die Wand gefahren wird."
    Der Notfalldienst, wie er bisher geregelt war, funktioniere seit Jahren sehr gut, fügt der Arzt hinzu – und das sagen auch die Patienten.