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Gesunkene Schiffswracks
Tickende Umweltbomben am Meeresboden

Oft ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein gesunkenes Schiffswrack am Meeresboden leck schlägt und die möglicherweise gefährliche Fracht ins Wasser gelangt. Auf einer Konferenz in Göteborg diskutieren Forscher, wie man mit dieser Gefahr umgehen soll. Eine Idee: Eine Art Topliste der gefährlichsten Wracks erstellen und erst mal jene Umweltbomben entschärfen, die am lautesten ticken.

Von Christine Westerhaus | 13.10.2015
    Als der Tanker "Solar 1" am 11. August 2006 in stürmischer See sank, kam es vor den Philippinen zu einer Umweltkatastrophe: 300 Kilometer Küste wurden verseucht, darunter auch viele Mangrovenwälder und Korallenriffe. Zwei Millionen Liter Brennstoff hatte die "Solar 1" an Bord, Schätzungen zufolge waren 200.000 Liter Öl ausgelaufen. Den Rest vermuteten Experten noch an Bord des Wracks. In einer aufwendigen Sanierungsaktion sollte diese gefährliche Fracht geborgen werden. Doch die Forscher hatten die Lage völlig falsch eingeschätzt, erinnert sich Ida-Maria Hassellöv.
    "Als man vor Ort war und den Rest der Ladung bergen wollte, stellten die Forscher fest, dass nur noch etwa ein Kubikmeter Öl an Bord war. Man hätte also viele Hunderttausende Euro sparen können, wenn man das Risiko vorher besser kalkuliert hätte."
    Zum Beispiel, in dem man das Wrack genauer untersucht hätte, bevor man mit aufwendigen Gerätschaften zum Tanker hinabgetaucht wäre, um den Rest des Öls abzupumpen. Um solche Fehleinschätzungen in Zukunft zu vermeiden, hat Ida-Maria Hassellöv gemeinsam mit Kollegen an der Chalmers Universität in Göteborg ein Risikomodell für Schiffswracks entwickelt. Es soll langfristig vorhersagen, ob und wann ein versunkenes Fahrzeug leck zu schlagen droht und damit zu einer Gefahr für die Umwelt wird. "Vraka" - so der Name des Modells – soll eine Art Datenbank werden, in der die Forscher alle verfügbaren Informationen über bekannte Wracks sammeln: Unterwasserroboter werden zudem noch die Dicke der Schiffswand kalkulieren, Messgeräte notieren den Salz- und Sauerstoffgehalt, sowie die Strömungsgeschwindigkeit in der Umgebung des Wracks. Aus Archivmaterial sammeln die Forscher zusätzlich Daten über die Umstände, die zur Havarie eines Schiffs geführt haben und – falls vorhanden - Informationen über die Ladung, die es ursprünglich an Bord hatte.
    "Anhand dieser Daten kalkulieren wir die Wahrscheinlichkeit, dass ein Rumpf innerhalb von fünf Jahren leck schlägt. Das Gute daran ist, dass wir so ein Ranking der gefährlichsten Schiffe erstellen können, um die wir uns zuerst kümmern müssen. Solche Risiken besser einschätzen zu können wird zunehmend wichtiger, da der Meeresboden intensiver genutzt wird und man natürlich keine Gasleitung oder ein Unterwasserkabel in ein Gebiet legen will, in der Wracks mit explosiver Ladung oder giftigen Chemikalien liegen."
    Um die Untersuchungsmethoden zu entwickeln, haben die Forscher vier schwedische Wracks genauer untersucht. Im Fünf-Jahres-Abstand sollen die gleichen Schiffe erneut begutachtet werden, um Veränderungen protokollieren zu können. Ende Oktober wird "Vraka" starten und die 2.700 als potenziell gefährlich eingestuften Wracks kartieren und ihr Risiko möglichst genau bewerten. Doch wer die Koordination und die Kosten für potenzielle Sanierungen übernimmt, ist bei vielen Wracks noch ungeklärt, erzählt Ida-Maria Hassellöv
    "Das ist wirklich des Pudels Kern – in vielen Ländern gibt es keine zentrale Behörde, bei der die Verantwortung für gesunkene Schiffe liegt. Auch in Schweden nicht. Zudem ist oftmals die Frage, welches Land für eine Havarie verantwortlich ist. Es kostet sehr viel Geld, ein Wrack zu sanieren und niemand will dafür aufkommen. Bei älteren Wracks ist oftmals nicht mal klar, wem sie ursprünglich gehörten, weil man den Besitzer nicht mehr identifizieren kann."
    Etwa die Hälfte der als gefährlich eingestuften Wracks in Nord- und Ostsee stammen noch aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Damals entstanden sogar Gebiete in Ost- und Nordsee, in denen chemische Kampfstoffe und Bomben absichtlich entsorgt wurden. Dass diese Giftmülldeponien weit unter der Wasseroberfläche liegen und damit aus dem Blickfeld verschwunden sind, sei ein Teil des Problems, so Ida-Maria Hassellöv. Denn für viele Verantwortliche bedeute "aus den Augen" noch immer "aus dem Sinn".
    "Was man nicht sieht, nimmt man nicht als große Gefahr wahr. Diese Gebiete, in denen Schiffe mit chemischen Kampfstoffen absichtlich versenkt wurden, liegen zwar in 200 Metern Wassertiefe. Aber wenn jemand sagen würde: "Komm, lass uns diesen Müll 200 Meter von der Autobahn entfernt verklappen", würden wir das niemals akzeptieren."