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"Get - Der Prozess der Vivane Amsalem"
Ein Film rüttelt Israels Gesellschaft auf

Sich als Frau in Israel scheiden lassen? Wie schwierig, ja fast unmöglich das ist, zeigen Ronit und Shlomi Elkabetz in ihrem Film "Get - Der Prozess der Vivane Amsalem". Die Odyssee der Titelheldin hat die israelische Gesellschaft in Aufruhr versetzt - und wird jetzt zum Pflichtfilm für die Rabbinergerichte.

Von Marco Müller | 14.01.2015
    Shlomi und Ronit Elkabetz bei den Golden Globes 2015.
    Shlomi und Ronit Elkabetz bei den Golden Globes 2015. (EPA / Paul Buck)
    "[Erster Rabbi:] Elisha Amsalem - Möchten Sie in die Scheidung von Ihrer Frau einwilligen?
    [Elisha Amsalem:] Nein, Euer Ehren.
    [Erster Rabbi:] Elisha Amsalem - Was möchten Sie uns an diesem schönen Tag sagen? Ihre Frau hat jetzt alle Ihre Wünsche erfüllt. Haben Sie Ihre Meinung geändert und sind Sie - nach der Verpflichtung durch dieses Gericht - bereit, Ihrer Frau den Scheidebrief zu geben und sich von ihr scheiden zu lassen?!
    [Mann:] Nein, Euer Ehren. Nein ..."
    Es ist fast so absurd, dass man lachen muss: In immer neuen Verhandlungen verweigert Elisha Amsalem seiner Frau Viviane über fünf Jahre die Scheidung. Doch das Lachen bleibt einem schnell im Hals stecken, hört man, wie sich die Richter danach entscheiden:
    "[Zweiter Rabbiner:] Sie muss zurückkehren.
    [Erster Rabbiner:] Die Verhandlung ist beendet. Viviane Amsalem, ich empfehle: Kehren Sie nach Hause zurück - und mit Gottes Hilfe sehen wir uns hier nicht mehr wieder. Ende der Verhandlung."
    Ein kafkaesker Prozess und Teil der israelischen Realität
    Liebe? Nicht notwendig für die Ehe. 20 Jahre freudloses Zusammensein? Da muss man sich eben Mühe geben, befindet das Gericht: Hauptsache, die Gebote werden befolgt. Das Publikum erlebt in "Get " gemeinsam mit Viviane Amsalem einen kafkaesken Prozess: Bis heute können in Israel staatliche Institutionen keine Ehen schließen oder scheiden. Für Viviane ist ein fast frauenfeindliches Rabbinergericht zuständig. Das ist Teil der Realität in Israel, wie die Regisseurin und Hauptdarstellerin Ronit Elkabetz versichert.
    "Den Frauen wird kein Platz in diesen rabbinischen Prozessen eingeräumt. Man sieht sehr gut, dass der Rabbiner bei jedem ihrer Versuche, etwas zu sagen, sagt: 'Schweig Frau, wir. Ich entscheide, wann du sprechen darfst oder nicht.' Die Rabbiner sind in unserer Darstellung noch gut weggekommen, normalerweise hört es sich eher so an: 'Schweig! Schweig! Schweig!', auf eine extrem aggressive Art."
    Viviane ist daher klug genug, im Gericht erst die Männer reden zu lassen, die sich selbst demaskieren - wie zum Beispiel ein Nachbar, der die Tugendhaftigkeit des Ehemannes bezeugen soll.
    "[Nachbar:] Meine Frau? Passt die zu mir? Nein - aber ich mache sie mir passend."
    Auf dem Gesicht der Schauspielerin Ronit Elkabetz läuft dabei ein eigener Film, der die Demütigung, den Hass wie die Wut von Viviane Amsalem auf die Männer zeigt - und ihre Intelligenz. Erst, wenn die Männer mürbe werden, ergreift sie das Wort:
    "[Viviane Amsalem:] Euer Ehren, seit zwei Jahren gehe ich hier ein und aus und es bewegt sich gar nichts. Sie können ihn nicht zwingen mir den Scheidebrief zu geben, Sie können dieses nicht und jenes nicht. Was ist mit mir, Euer Ehren? Wann sehen Sie mal mich? Ich kann hier vor Ihnen krepieren und Sie sehen doch immer nur ihn. Schicken Sie mich doch zum Teufel - oder gehen Sie gleich selbst dort hin!
    [Erster Rabbiner:] Das reicht!
    [Viviane Amsalem:] Ich rede!"
    Extra-Screening für das Justizministerium, Pflichtfilm für die Rabbinergerichte
    "Get" wird zum Kampf einer Frau, in dem es nur um eine Frage geht: "Dürfen Frauen über ihr eigenes Glück selbst entscheiden?" Allein mit der Kraft der Sprache entreißt Viviane den Männern die Macht, die ihnen die Religion in die Wiege gelegt hat. Sein Publikum hat der dichte Gerichtsfilm bis dahin längst überzeugt - und in Israel bereits eine ganze Gesellschaft aufgerüttelt, wie Michael Eckelt, einer der Produzenten, erklärt:
    "Der Film hat in Israel großen Aufruhr verursacht. Beispielsweise hat der Justizminister den Film gesehen und vor allen Dingen sind die Richter an den Rabbinergerichten dienstverpflichtet worden, den Film auf ihrer Konvention zu sehen. Die explizite Begründung für das Screening ist: Die Richter lernen hier die Perspektive der Frau kennen."
    Selbst das Justizministerium hat den Film in einem Extra-Screening gesehen. Zwar gibt es in Israel Lebenspartnerschaften, die vor staatlichen Institutionen geschlossen und geschieden werden können, aber die sind gesellschaftlich nicht angesehen. Auch, wenn das Ehescheidungsrecht wohl nicht geändert werden wird, so hat "Get - Der Prozess der Viviane Amsalem" doch bereits gezeigt, dass er eine breite Diskussion um die Benachteiligung von Frauen in Gang gesetzt hat. Der Film hat die israelische Gesellschaft im Zwiespalt zwischen religiösen Traditionen und Moderne ins Mark getroffen.