Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Geteiltes Sarajevo

Die Belagerung Sarajevos haben sie als Kinder erlebt. Heute versuchen sie, das aufzubauen, was die Generation ihrer Eltern kaputtgemacht hat: ein normales Zusammenleben zwischen den verschiedenen Nationalitäten und Religionen in Bosnien und Herzegowina.

Von Rayna Breuer | 13.08.2012
    "Hier, wo wir gerade stehen, ist noch Sarajevo, mitten auf dieser Brücke fängt Ost-Sarajevo an."

    Bei einem Spaziergang durch sein Viertel zeigt Djordje, was ausländische und bosnische Politiker nach dem Ende des Krieges zustande gebracht haben:

    "Wegen dieser Grenze lebt mein Freund Srdjan hier in dem Haus, in Ost-Sarajevo, also in der Republika Srpska, aber sein Balkon befindet sich in Sarajevo, also in der Föderation. Das ist doch paradox."

    1995, als das Dayton-Abkommen dem blutigen Krieg in Bosnien und Herzegowina ein Ende setzte, wurde das Land in zwei Entitäten geteilt – einerseits die Republika Srpska, wo vorwiegend Serben leben, andererseits die Föderation Bosnien und Herzegowina, in der Bosniaken, also Muslime, und Kroaten in der Mehrheit sind.

    Weder Grenzzäune noch Stacheldraht trennen die beiden Teile Sarajevos, dennoch fahren die Trolleybusse aus Sarajevo nicht nach Ost-Sarajevo. Die Menschen auf beiden Seiten halten sich an die ethnischen Linien, sagt Djordje. Vor allem die ältere Generation lebe jeweils in ihrem eigenen Mikrokosmos - getrennt und dennoch gemeinsam gefangen von der Vergangenheit:

    "Von mir als Serbe wird erwartet, dass ich sage, Sarajevo sei nicht belagert worden. Verdammt noch mal, das war es und es haben sich schreckliche Sachen abgespielt. Wir müssen über den Krieg reden. Wenn es keinen ehrlichen, offenen und seriösen Dialog gibt, wird es auch keine Zukunft und keine gesellschaftliche Entwicklung geben. Solange wir die Realität und die Tatsachen verweigern, werden wir hier immer wieder Konflikte austragen."

    Auch für Dajana darf die Vergangenheit nicht verleugnet werden. Sie war fünf Jahre alt, als der Krieg ausbrach. Die meiste Zeit verbrachte sie im Keller, ihre ältere Schwester passte damals auf sie auf. Ihr Vater wurde zu Beginn des Krieges schwer verletzt, ihre Mutter arbeitete während der Belagerung der Stadt im Krankenhaus. Das tut sie bis heute. Eine Sache ist ihr besonders in Erinnerung geblieben - das große Feuer in der Nationalbibliothek. Das Gebäude wurde damals von den serbischen Truppen beschossen und in Brand gesetzt. Mehrere 100.000 Bücher gingen in Flammen auf. Vor einem Jahr hat Dajana eine Aktion ins Leben gerufen:

    "Insgesamt 4000 Bücher haben wir bereits gesammelt. Wir haben weltweit um Unterstützung von Universitäten und Organisationen gebeten. Der Rücklauf war überwältigend. Wir haben jeweils nach zwei Büchern gefragt, aber einige haben uns bis zu 600 Bücher geschenkt. Besonders glücklich macht mich, dass unsere Aktion auch in Serbien und Kroatien große Resonanz gefunden hat."

    Auch wenn Dajanas Eltern ihr Engagement für eine Zeitverschwendung halten, will sie weitermachen - die Zivilgesellschaft aus dem Schlaf erwecken, sagt sie, die Jugend mobilisieren.

    "Meine Generation verdient die Gegenwart, das Hier und Heute. Die Vergangenheit kann nicht Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens sein, wir verdienen, normal zu leben und wir - die Jungen - sind bereit, dafür zu arbeiten."

    Dajana bezeichnet sich als Menschenrechtsaktivistin, sie will nicht nach ihrer Religion oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit gefragt werden. Auch Djordje distanziert sich von solchen Zuordnungen - er ist Serbe und zugleich Atheist. Er feiere trotzdem mit seinen Freunden alle Feiertage, sagt Djordje, ob das muslimische Bairam, das katholische oder das orthodoxe Weihnachtsfest.
    Die Jugend - so scheint es - ist entschlossen, die ethnischen Grenzen in Bosnien und Herzegowina zu überwinden.