Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Katharina Winklers Romandebüt "Blauschmuck"
Vom Leiden einer jungen Kurdin

Der Text ist eine Zumutung. Es geht um Gewalt, Gewalt gegen Frauen. "Blauschmuck", der Titel, meint die Spuren dieser Gewalt, die Frauen am ganzen Körper tragen. Dennoch, so findet unser Rezensent, ist Katharina Winklers Roman auch eine Geschichte von Behauptungswillen und Emanzipation.

Von Holger Heimann | 26.10.2016
    Ein Mann ballt seine Hand zur Faust, vor ihm eine Frau auf einem Sessel, die sich ängstlich die Hand vor ihr Gesicht hält.
    Katharina Winkler macht den Leser nicht zum Voyeur, der voller Grusel auf eine rohes, archaisches Leben blickt. (dpa picture alliance / Inga Kjer)
    Der Blauschmuck ist ein Geschenk der Männer. Sie verteilen ihn großzügig. Nahezu jede Frau in dem kurdischen Tal in der Türkei, in dem das Mädchen Filiz aufwächst, trägt ihn; einige um den Hals wie ein Medaillon, andere Frauen um die Fesseln oder das Handgelenk. Das Blau gibt es in allen Schattierungen – von sehr hell bis fast schwarz. Der Farbton ist abhängig davon, mit welchem Werkzeug die Männer auf ihre Frauen einschlagen – ob mit Holzlatten oder Eisenstangen. Es ist eine ungeheuer brutale und extrem gewalttätige Welt, von der Katharina Winkler in ihrem Debütroman erzählt. Die Geschichte des Buches trägt sie seit langem mit sich:
    "Ich bin auf dem Land aufgewachsen, in Österreich. Und meine Hauptfigur stand plötzlich in der Landarztpraxis meines Vaters. Da war ich 13 Jahre alt. Und sie war vollkommen verschleiert. Das war ein fundamentaler Eindruck für mich. Mit knapp über 20 habe ich das Gefühl gehabt, ich möchte diese Geschichte unbedingt aufbewahren und habe sie gebeten, mir ihre Geschichte zu erzählen. Das hat sie auch gemacht. 60 Stunden Tonmaterial sind dabei entstanden. Und ich habe das damals gemacht im Wissen, dass ich noch keine Sprache habe, um diese Geschichte in einer Form zu erzählen, die ihr gerecht werden könnte. Zehn Jahre später habe ich mich dann an das Projekt herangewagt."
    Dichter, konzentrierter Text
    Katharina Winkler hat die Tonbandaufzeichnungen zu einem dichten, konzentrierten Text gefügt. Der so entstandene Roman ist eine Zumutung, nur schwer erträglich sind die immer wiederkehrenden Gewaltexzesse, von denen Winklers Hauptfigur erzählt. Als Mädchen verliebt sich Filiz in den draufgängerischen Yunus, seinetwegen verlässt sie ihr Elternhaus und heiratet früh. Doch mit den Träumen vom Glück ist es rasch vorbei. Yunus betrachtet die junge Frau als sein Eigentum. Mehr als einmal schlägt er sie halbtot, um im nächsten Moment seine große Liebe zu beteuern.
    Katharina Winkler stellt diese Existenz nicht aus, macht den Leser nicht zum Voyeur, der voller Grusel auf eine rohes, archaisches Leben blickt. Die Ich-Perspektive bedeutet einerseits zwar eine Einengung des Sichtfeldes: Die äußere Welt in diesem Roman ist nur das, was Filiz sieht. Aber andererseits wird so das Innenleben dieser misshandelten Frau bis ins Detail kenntlich.
    "Ich habe mich auch – so weit das möglich war – in meine literarische Figur zurückgezogen, habe versucht, nicht aus ihrer Persönlichkeit zu sprechen, aus ihrer Ideologie, ihren Meinungen, sondern wirklich aus ihrer Seele, den Seelenzustand zu erzählen. Weil ich glaube, dass man in diesem Seelenzustand auf archaische Muster trifft, auf Allgemein-Menschliches. Und diese allgemein-menschlichen Muster geben die größte Chance zur Empathie."
    Zirkel barbarischer Willkür
    Es ist ein schier auswegloser Zirkel barbarischer Willkür, der Feliz aufgezwungen wird. Nichts ändert sich, als das Paar nach Österreich auswandert, wo Yunus im Immobilienhandel Geld verdient und ungeniert auch andere Frauen hat. Filiz und die drei Kinder, die vom Vater ebenfalls grausamst misshandelt und gedemütigt werden, hingegen leben wie eingesperrt. All das scheint sämtliche Klischees und Vorurteile über die islamische Welt und eine kranke Beziehung zwischen den Geschlechtern zu bestätigen. Katharina Winkler war sich dessen durchaus bewusst:
    "Ich hatte schon eine Weile Angst, dass das Buch Applaus von der falschen Seite bekommt. Aber Gott sei Dank habe ich jetzt zu einer großen Zuversicht gefunden, weil ich glaube, dass die Sprache das Buch schützt. Es ist einfach keine Sprache, die gut in die Münder von Menschen mit einfachem Gedankengut passt. Man kann immer alles instrumentalisieren. Aber das ist dann ein klarer Missbrauch. Ich kann auch versuchen, mit einer Querflöte einen Nagel in die Wand zu schlagen. Ich hoffe nur, dass er dann nicht hält."
    Einfache, nüchterne Sprache
    Es ist eine einfache, nüchterne Sprache, die gerade in ihrer Schmucklosigkeit einen besonderen Klang entfaltet. Doch es ist nicht allein die Sprache, die Raum gibt. Filiz ist dem Reigen der Gewalt, den grausamen Exzessen zwar lange schutzlos ausgeliefert, aber in ihr wächst auch ein wilder Widerstand. Diese verletzte und trotzdem starke Frau beschließt, sich unter keinen Umständen zum Objekt machen zu lassen.
    "Du schlägst mich tot, aber du kommst mir nicht nah", heißt es einmal.
    Dass sie dem Schläger Yunus zuletzt entkommt, darüber informiert zwar nur ein knapper Nachtrag. Doch Katharina Winklers Roman ist auch ohne dieses Wissen mehr als eine Geschichte roher Gewalt und erniedrigender Abhängigkeit. Denn "Blauschmuck" erzählt nicht zuletzt von einem enormen Behauptungswillen und einer erstaunlichen Emanzipation.
    Katharina Winkler: "Blauschmuck"
    Suhrkamp Verlag, 198 Seiten, 18,95 Euro.