Dienstag, 19. März 2024

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Gewalt gegen Schwarze in den USA
Peace Walk des Polizeichefs von Louisville

Vielerorts in den USA ist das Verhältnis zwischen Polizei und Bürgern gestört - wie in Louisville im Bundesstaat Kentucky. Auch dort haben weiße Polizisten einen Afroamerikaner getötet. Der Polizeichef persönlich versucht jetzt, Vertrauen zurückzugewinnen - und macht sich zu Fuß auf den Weg in betroffene Viertel.

Von Jasper Barenberg | 26.09.2016
    Polizeibeamte beten vor Beginn des "Peace Walks".
    Polizeibeamte beten vor Beginn des "Peace Walks". (Deutschlandradio - Jasper Barenberg)
    Ein Wiedersehen an der Ecke 23. und Greenwood Avenue. Vier Fernsehsender haben ihre Reporter bei drückender Hitze abends um sechs in den Westen von Louisville geschickt, in eine der ärmsten Gegenden der Stadt. Noch bevor es überhaupt losgeht, wird einer von ihnen live von der Straßenecke aus zugeschaltet.
    "They agree that presence is everything, more often is better. But the line is fine between trying to ensure safety and a better quality of live – and coming across as unwelcomed occupiers. In the Californian neighborhood in the Westend, Gordon Boyd, Wave 3 News."
    Alle Kameras sind auf den Victory Park gerichtet, eine baumlose Rasenfläche mit einem Springbrunnen, auf den die Sonne niederbrennt. Sie filmen die weiß gestrichenen Holzhäuser entlang der Straße. Sie fangen ein, wie sechs bewaffnete Beamte in blauen Uniformen aus ihren Polizeiwagen steigen, sich um Police Chief Steve Conrad sammeln.
    Alle fassen sich an den Händen, ein Pastor erbittet Gottes Beistand um die Gewalt in der Nachbarschaft zu stoppen. Ein Uniformierter zeigt die Straße hinunter:
    "We're going to walk on that side, go down, go north on 22nd, across the park and hit this side. Ok, perfect!”
    Werben um die Unterstützung der Bürger
    Begleitet von seinen Beamten macht sich Chief Conrad auf den Weg, seine Dienstwaffe steckt in einem Holster an seinem Gürtel. Seit vier Jahren steht er an der Spitze der Polizei von Louisville. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Morde in der Stadt sprunghaft angestiegen, der Kampf gegen Drogenkriminalität und Gangs gehören zum Alltag. Als eine von nur 15 Städten setzt Conrad um, was Präsident Obama in Washington als "zeitgemäße Polizeiarbeit" empfohlen hat: mehr Transparenz, besseres Training für die Beamten. Vor allem aber: bessere Beziehungen zu den Bürgern. Vertrauen. Unterstützung für die Polizeiarbeit.
    "Die Leute werden uns nicht trauen, wenn sie uns nicht kennen. Und sie kennen uns nicht, wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, aus unseren Polizeiwagen aussteigen und mit den Leuten reden. In manchen Gegenden erleben sie uns nur, wenn wir jemanden verhaften. Hier geht es nicht um Konfrontation, sondern darum, ein normales Gespräch zu führen."
    Bill Philips lässt sich nicht so schnell überzeugen. Auf beigen Socken ist er hinaus auf die Veranda geeilt. Denn in seiner Welt kommt die Polizei, um jemanden einzubuchten, nicht um zu fragen, wie es ihm geht.
    "They ain't knocking on your door saying how you doing! They're knocking on the door to lock up somebody! So I got my wife outside. What the hell is going on. That's what I thought!”
    Polizeichef Steve Conrad im Gespräch mit Bischof Dennis V. Lyons.
    Polizeichef Steve Conrad im Gespräch mit Bischof Dennis V. Lyons. (Deutschlandradio - Jasper Barenberg)
    Er hat seine Frau auf die Veranda geholt, wo sie jetzt streiten. Er hält den Spaziergang des Polizeichefs für einen Witz. Sie hält der Polizei zugute, dass sie versucht, die Gewalt einzudämmen. Und dass es helfen würde, wenn sie öfter und regelmäßig vorbeischaut.
    Plötzlich läuft eine tätowierte Frau an dem Haus der Philips in der Greenwood Avenue vorbei, schlägt sich immer wieder mit der Hand auf die Brust. Schreit, dass ein Ladenbesitzer gerade mehrfach auf sie geschossen habe. Klagt, warum die Polizei nichts gegen die vielen Waffen in der Gegend unternehme.
    Sie wollten wissen, wie es hier zugeht, fragt Bill. Und ist sich mit seiner Frau wieder ganz einig: Das ist Normalität in unserem Viertel. Die Polizei unternehme nichts. Später erzählen die Fernsehreporter, die Frau sei heroinabhängig und dafür bekannt, unter Drogeneinfluss zu fantasieren. Auch das gehört zur Wirklichkeit in diesem Teil von Louisville.
    "Hey hello, hey! Oh my God! How are things over here?”
    Viele Türen bleiben verschlossen
    Viele Türen bleiben dem Polizeichef und seinen Kollegen an diesem Abend verschlossen. Für Bischof Dennis V. Lyons, der ihn heute begleitet, gilt das nicht. Wo immer er in seinem Nadelstreifenanzug und der goldbestickten Kappe erscheint, wird er hineingebeten, ihm erzählen die Leute, wo der Schuh drückt. Er will dem Police Chief helfen und Brücken bauen. Und hält es für lange überfällig, dass die Beamten sich mehr in den Vierteln zeigen.
    "Die schwarze Gemeinschaft hat gebettelt: Bitte verlasst eure Polizeiwagen, bitte geht zu Fuß, bitte werdet Teil der Nachbarschaft. Ihr seid hier seit Jahren – und verhaltet Euch trotzdem immer noch wie Sklavenhalter. Ihr fahrt vorbei, schließt das Fenster. Wenn wir zu euch sprechen, antwortet ihr nicht! Ihr kommt nur, wenn wir anrufen. Wenn wir nicht anrufen, kommt ihr nie!"
    Als schlecht, als sehr schlecht beschreibt Dennis Lyons das Verhältnis der Menschen zur Polizei in diesem Viertel. Der Bischof vergleicht es mit einem Wachhund, der einen beschützen soll. Vor dem man sich aber insgeheim fürchtet, weil er knurrt und an der Kette reißt.
    "It's like having a dog. And the dog is supposed to be your guard dog. But that dog is growling at you every time you pass by. So you're scared of the guard dog but yet you got to depend on the dog to protect you.”
    Wie groß das Misstrauen ist, weiß Police Chief Steve Conrad nur zu gut. Seit fast vier Jahrzehnten ist er Polizist. Aber erst im Gespräch mit entlassenen Schwerverbrechern ist ihm vor ein paar Jahren bewusst geworden, wie tief der Graben wohl nach wie vor ist.
    "Sie haben gesagt: Wenn du als Polizist in unser Haus kommst, ist uns ganz egal, ob du weiß bist oder schwarz oder braun. Ob du ein Mann bist oder eine Frau. Sobald du diese Uniform trägst, bist du der Feind. Es sei denn, du beweist das Gegenteil – durch die Art, wie du redest oder dich verhältst. Und dafür hast du etwa 30 Sekunden Zeit."
    An diesem Abend hat sich Polizeichef Conrad eine Stunde Zeit genommen. Doch er weiß, dass es sehr viel länger dauern wird, um Vertrauen aufzubauen, dass es Rückschläge geben wird. Wie Anfang August, als drei Beamte einen Schwarzen mit acht Schüssen niederstreckten. Die Witwe zieht gegen alle drei Polizisten vor Gericht.