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Gewalt im Namen des Christentums
Von Märtyrern und Terroristen

In Zeiten, da die islamistischen Terroristen heilige Kriege führen, schreibt Philippe Buc eine Gewaltgeschichte des christlichen Westens. Der französische Historiker möchte darin die Logik heiliger Kriege verstehen - spart darin aber Wichtiges aus.

Von Michael Böhm | 14.12.2015
    Die Schatten von drei Soldaten im Krieg, die Waffen in den Händen halten.
    Soldaten im Krieg: Analyse, wie Gewalt im Namen des Christentums entstand. (AFP / Anatoliy Boyko)
    "Eine feste Burg ist unser Gott", schrieb Martin Luther im 16. Jahrhundert, "eine gute Wehr und Waffen". Und der englische Dichter William Blake beschwor noch im 19. Jahrhundert Bogen, Pfeil und Streitwagen für den Glaubenskampf – für den christlichen, wohlgemerkt. Angesichts solch militanter Lyrik und der vielen Kriege, die man im Namen Jesu führte, erhebt sich immer wieder eine Frage: Ist das Christentum eine friedliche Religion?
    Wie der französische Historiker Philippe Buc aufzeigt, hat das Christentum zwar einen friedlichen Anspruch. Schon Christen des dritten Jahrhunderts verbaten sich die martialischen Texte des Alten Testaments. Doch da die neue Religion auf die Autorität dieser Schriften nicht habe verzichten können, habe Kirchenvater Origenes empfohlen, die Kriege des Alten Testaments allegorisch als Kriege des Geistes zu deuten. Danach waren Märtyrer und Mönche Angehörige eines spirituellen Heeres, sodass allein ihr "Glaube die Häresie in Stücke riss und sie den Tieren als Futter hinstreute", wie der Dichter Prudentius im vierten Jahrhundert schrieb.
    "Was immer die Typoi des Alten Testaments an Bedeutung enthielten, war reinste Wirklichkeit. Wenn Märtyrer starben, töteten sie spirituell ihre Verfolger und die Menge der heidnischen Gaffer, indem sie ihnen zu ewigen Höllenqualen verhalfen. Prudentius, ein Zeitgenosse des heiligen Hieronymus, schilderte in seiner Psychomachia ausführlich die Kämpfe der Tugenden gegen die Laster. Beide waren personifiziert. Und der Kampf endete mit der blutigen Abschlachtung der Letzteren – es war spirituelle Kriegführung in den leuchtenden Farben grausamer Gladiatorenkämpfe."
    Nachfahren der christlichen Krieger als Thema
    Darauf beriefen sich bis heute immer wieder zwei Lager: Sowohl reine Pazifisten als auch Militante, wie die Ritter des Deutschen Ordens, die im 12. Jahrhundert litauische Heiden mit dem Schwert bekehrten. Vor allem den Nachfahren dieser christlichen Krieger widmet sich Buc in seinem über 400 Seiten umfassenden Buch. Denn die westliche Art, bewaffnete Konflikte und ihre Protagonisten wahrzunehmen, sei vom Christentum geprägt; daher führe man auch in unserer post-christlichen Epoche heilige Kriege – wenngleich in säkularisierter Form:
    "Unter "post-christlich" verstehe ich nicht die Abwesenheit christlicher Religion, sondern eine Situation, in der die Kultur zwar nicht mehr von religiösen Institutionen und Überzeugungen organisiert wird, von deren Erbschaft sie aber sehr wohl noch substanziell geprägt ist."
    Mit zuweilen akribisch gezogenen Analogien illustriert Buc seine These, dass der amerikanische Soldat, der im Irak sein Leben ließ, ein säkularisierter Verwandter der Kreuzfahrer sei; genauso wie Saint-Just, der während der Französischen Revolution Tausende auf die Guillotine brachte. Sie alle seien Märtyrer, hätten getötet oder töten lassen, seien selbst getötet worden, um gemäß der Logik des universalen Christentums anderen mit Zwang die Freiheit zu bringen: die Freiheit der Menschenrechte, die Freiheit von Sünde oder die Freiheit vom aristokratischen Tyrannen. Die Umwälzungen, die ab 1798 in Frankreich stattfanden und die sich so antiklerikal gebärdeten, bedurften schon für Alexis de Tocqueville eines Glaubens, ähnlich dem Glauben an Gott. Buc zitiert daher das bekannte Wort des französischen Philosophen, für den die Französische Revolution selbst eine Religion war:
    "Allerdings eine unvollkommene Religion, ohne Gott, ohne Kultus und ohne künftiges Leben; die aber trotzdem gleich dem Islam die ganze Erde mit ihren Soldaten, ihren Aposteln und Heiligen überschwemmt hat."
    Buc führt denn auch den irren Terroristen mit suizidalen Absichten auf seine religiösen Ursprünge zurück: Beim Dschihadisten unserer Tage handele es sich allerdings um einen westlichen Export. Die islamistischen Selbstmordattentäter seien die Erben der Roten Armee Fraktion, die in den 1970er-Jahren Bomben legte, genauso wie die des serbischen Nationalisten Gavrilo Princip, der 1914 den österreichischen Erzherzog Ferdinand erschoss, und des Katholiken Jacques Clément, der 1589 Frankreichs hugenottenfreundlichen König Heinrich III. erstach. Sie alle handelten laut Buc im Namen eines zukünftigen Paradieses, welches der wahre Glaube, ein südslawischer Staat oder die kommunistische Gesellschaft bringe. In der Bereitschaft, zu sterben, sodass dem Tod ein höherer Sinn verliehen werde; im Bewusstsein, einer Avantgarde anzugehören und dafür als Fanatiker, Hysteriker oder einfacher Irrer angesehen zu werden. So wie sich im dritten Jahrhundert christliche Märtyrer wie Marcellus von Tanger als Auserwählte für das kommende Himmelreich geopfert hätten, kopfschüttelnd beobachtet von heidnischen Magistraten, in deren Augen sie von Dämonen Besessene gewesen seien.
    Problematisierung des Gewalterbes der Religionen
    Bucs Verdienst ist es - angesichts der immer wieder aufflammenden Diskussion um einen vermeintlichen Konflikt zwischen der islamischen Welt und dem Westen -, das Gewalterbe monotheistischer Religionen problematisiert zu haben. Doch seine historischen Analysen ufern bisweilen aus. Vernachlässigt werden daneben aktuellere Fragen: Zum Beispiel, unter welchen Umständen der christliche Märtyrer in jüngster Zeit seinen Weg in den Nahen Osten fand und dort zum Dschihadisten wurde.
    Vor allem aber wundert man sich über das Resümee des Autors, wonach es Märtyrertum, Terror und heiligen Krieg gibt, so lange der Westen "kulturell post-christlich ist". In Europa hat es nie nur heilige Kriege gegeben. Im Westfälischen Frieden von 1648 einigten sich die Staatsmänner darauf, den heiligen Krieg einzuhegen. Im 17. und 18. Jahrhundert avancierten bewaffnete Konflikte zwischen Staaten daher zu einer Art Duell. In diesen sogenannten Kabinettskriegen galt der Feind als gerecht. Da man ihm ein eigenes Recht attestierte, wurde er zwar besiegt, aber nicht vernichtet – der Kampf auf dem Schlachtfeld war die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, wie es Clausewitz nannte.
    Mit keinem Wort jedoch geht Buc auf die Überlegungen von Staatsphilosophen wie Carl Schmitt oder Julien Freund ein, nach denen der Glaube der Aufklärer es könne - wie im christlichen Himmelreich – ewigen Frieden geben, diese Tradition des klassischen europäischen Völkerrechts untergrub. Buc schweigt daher vom ungerechten Feind in der Rechtslehre Immanuel Kants, der mit dieser Figut dem heiligen Krieg Ende des 18. Jahrhunderts wieder den Weg geebnet hat. Doch so bleibt seine Gewaltgeschichte des Westens unvollständig. Aus ihr lässt sich nicht ablesen, wie künftig heilige Kriege zu verhindern wären.
    Buchinfos:
    Philippe Buc: "Heilige Kriege – Gewalt im Namen des Christentum", Verlag Phillip von Zabern Darmstad, 432 Seiten, Preis: 29,95 Euro