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Gewalt in Mexiko
Entführungen, Ermordungen und kein Ende

In der mexikanischen Stadt Iguala sind 43 Studenten verschwunden. Ihr Schicksal steht scheinbar sinnbildlich für einen Staat, in dem praktisch Straflosigkeit herrscht. Und eine Regierung, die einzig und allein an Wachstum interessiert zu sein scheint.

Von Martin Polansky | 11.10.2014
    Demonstranten in Mexiko-Stadt fordern Aufklärung im Fall der vermissten Studenten.
    Demonstranten in Mexiko-Stadt fordern Aufklärung im Fall der vermissten Studenten. (afp / Hector Guerrero)
    Proteste in Mexikos Hauptstadt. Einige Zehntausend sind auf der Straße. Auch anderswo wird demonstriert. Viele sind fassungslos: 43 Studenten sind in der Stadt Iguala im Süden den Landes verschwunden. Sie wurden offenbar von der Lokalpolizei bei einer Demonstration festgenommen, dann an das örtliche Drogenkartell übergeben und anschließend getötet. Ermittler finden immer mehr Massengräber am Rande der Stadt:
    "Ich bin empört und wütend", sagt diese Demonstrantin. "Ich solidarisiere mich mit den Eltern der Studenten. Denn ich bin selber Mutter und fühle deren Schmerz."
    "Alle müssen gehen, die für so etwas verantwortlich sind. Ab ins Gefängnis. Gerade in der Regierung. Sie schieben alles auf die Drogenverbrecher. Dabei weiß die Regierung doch, wie verbrecherisch und korrupt sie selber ist. Sie stellen sich nur dumm."
    Präsident unter Zugzwang
    Mexikos Regierung sieht sich unter Druck. Präsident Enrique Peña Nieto hat seit seinem Amtsantritt vor knapp zwei Jahren versucht, ein neues Bild von Mexiko zu zeichnen. Ein Schwellenland der Zukunft, modern und rechtsstaatlich. Zur Gewalt und Korruption im Land schwieg er am liebsten.
    Das Schicksal der Studenten zeigt nun aber, welche Abgründe sich hinter der Fassade auftun. Peña unter Zugzwang:
    "Die Vorgänge sind empörend, schmerzhaft und inakzeptabel. Die Behörden sind angewiesen, den Fall aufzuklären. In einem Rechtsstaat gibt es nicht den geringsten Raum für Straflosigkeit."
    Absurd klingt das für Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International. Sie verweisen darauf, dass in Mexiko seit Langem praktisch Straflosigkeit herrsche. Kaum ein Mord werde aufgeklärt, tausende Menschen würden einfach verschwinden, der Staat tue zu wenig, um Übergriffe der eigenen Sicherheitskräfte zu verfolgen. Perseo Quiroz von Amnesty International:
    "Es reicht nicht, dass der Präsident die Ereignisse bedauert, aber nichts geschieht. Er ist der Staatschef. Was in Iguala passiert ist, geschah nicht aus heiterem Himmel. Es zeigt die Tatenlosigkeit des Staates."
    Der Staat versucht nun, Handlungsfähigkeit zu beweisen: In Iguala ist Militär und National-Gendarmerie auf den Straßen. Mehr als 30 Personen wurden verhaftet, die meisten von ihnen Lokalpolizisten. Denkbar ist, dass sie und das Drogenkartell die Studenten als Störfaktor im Machtgefüge der Stadt gesehen haben und deshalb ermordeten.
    Verhaftungen zur Imageaufbesserung
    In anderen Landesteilen wurden zudem in den letzten Tagen zwei hochkarätige Drogenbosse festgenommen. Sie dürften zwar mit dem Fall der Studenten nichts zu tun haben. Aber die Sicherheitsbehörden brauchen Erfolge. Nach dem Motto: Seht her, wir haben die Lage im Griff.
    Bemerkenswert ist allerdings, dass diese Fahndungserfolge gerade jetzt gelingen. Vielleicht ein schöner Zufall, vielleicht wissen die Behörden aber sowieso, wo einige Drogenbosse zu finden sind.
    Inzwischen stellen sich einige grundsätzliche Fragen: Ist Mexikos Regierung Willens und in der Lage, Rechtsstaatlichkeit herzustellen, Sicherheit im ganzen Land zu garantieren, die Behörden vom organisierten Verbrechen zu säubern? Und: Kann das mutmaßliche Massaker an den 43 Studenten zu einem grundlegenden Wandel führen, für neue Prioritäten in Mexikos Politik sorgen? Günther Maihold, deutscher Lateinamerika-Experte, der in Mexiko lehrt, glaubt das nicht:
    "Die Priorität der Regierung ist Wachstum und eine bessere Wirtschaftslage herzustellen. Und dem ordnet sie auch diese Frage unter. Sie will keinen internationalen Imageschaden erleiden und wird sich deshalb intensiv um die Aufklärung kümmern. Aber das ändert noch nicht die Situation in der Breite des Landes. Da müsste eine zentrale Priorität im Regierungshandeln und in der gesellschaftlichen Mobilisierung zusammenkommen, damit da ein durchgreifender Erfolg möglich wäre."
    Gerade der Regierungspartei PRI trauen viele Mexikaner aber nicht zu, für Rechtsstaatlichkeit zu sorgen. Die PRI schaut auf eine lange, eigene Korruptionsgeschichte zurück. Sie hat das mexikanische System der Hinterzimmerabsprachen, Vetternwirtschaft und Bereicherung über Jahrzehnte aufgebaut. In diesem Schattensystem konnte letztlich auch das organisierte Verbrechen prächtig gedeihen. An das Image der geläuterten PRI glaubt kaum jemand, auch wenn sich die Partei mit Staatschef Enrique Peña Nieto ein frisches, junges Gesicht gegeben hat.
    Bleibt die Zivilgesellschaft: Die ist zwar in diesen Tagen auf den Straßen. Aber es sind vor allem diejenigen, die auch sonst demonstrieren gehen. Ein echter gesellschaftlicher Aufschrei ist bisher nicht auszumachen. Viele Mexikaner haben sich scheinbar an die Gewalt, die Rechtsverletzungen und auch die Massengräber gewöhnt. Nach dem Motto: Hauptsache, es trifft mich nicht.
    Viel Wut und wenig Hoffnung
    So ist auf den Demonstrationen wie am Mittwoch in Mexikos Hauptstadt zwar viel Wut zu spüren – aber wenig Hoffnung:
    "Um ehrlich zu sein: Es ist traurig, aber ich glaube nicht, dass sich irgendetwas verbessert. Ich habe schon zu meiner Freundin gesagt: Ich denke ans Weggehen, obwohl ich mein Land liebe. Aber ich glaube einfach nicht, dass sich absehbar etwas ändert."