Freitag, 19. April 2024

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Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden
Mihalic (Grüne): Seehofers Lagebericht bringt uns nicht weiter

Eine Studie zu Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden lehnt Innenminister Horst Seehofer (CSU) ab. Der von ihm beauftragte Lagebericht zeige aber, dass eine tiefere Analyse über Ausmaß und Ursachen solcher Einstellungen in Sicherheitsbehörden notwendig sei, sagte die Grünen-Politikerin Irene Mihalic im Dlf.

Irene Mihalic im Gespräch mit Tobias Armbrüster: | 06.10.2020
Dr. Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen, spricht im Bundestag
"Wir müssen mehr über Ausmaß und Ursachen von Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden wissen", meint Irene Mihalic (imago/Political-Moments)
Zuletzt wurden immer wieder Fälle von Rechtsextremismus in Polizei und anderen Sicherheistbehörden bekannt – etwa in Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Berlin. In der Folge wurden Stimmen lauter, die forderten, dass der Bundesinnenminister dieses Problem genauer untersuchen müsse, am besten mit einer groß angelegten Studie. Das hat Horst Seehofer bislang abgelehnt. Stattdessen beauftragte der CDU-Politiker das Bundesamt für Verfassungsschutz, einen Lagebericht "Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" zu erstellen.
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Den stellte Seehofer am Dienstag (06.10.20) gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, vor. Der Bericht umfasst den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 31. März 2020 und gibt Auskunft über die Zahl der intern registrierten Verdachtsfälle, Verfahren und deren Ausgang. In dieser Zeit wurden 377 Fälle in Polizeibehörden, Kriminalämtern, Verfassungsschutzämtern, dem Bundesnachrichtendienst und dem Zoll gemeldet. Hinzu kommen 1.064 Verdachtsfälle beim Militärischen Abschirmdienst für den Bereich der Bundeswehr. Sie werden dem Bericht zufolge anders erfasst und sind daher teilweise nicht vergleichbar.
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Der Lagebericht dokumentiere nur bereits bekannte Fälle und bewege sich insofern nur an der Oberfläche, kritisierte die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Irene Mihalic im Gespräch mit dem Dlf. Gerade die jüngsten Fälle zeigten, dass es manchmal nur vom puren Zufall abhänge, ob solche Vorkommnisse überhaupt bekannt würden. Spätestens seit NSU 2.0, Nordkreuz und anderer Vorfälle sei deutlich, wie groß der Bedarf für eine wissenschaftliche Studie sei, sagte die ehemalige Polizeibeamtin.

Lesen Sie hier das gesamte Interview im Wortlaut.
Tobias Armbrüster: Ist Horst Seehofer da jetzt auf dem richtigen Weg?
Irene Mihalic: Nein. Wenn dieses Lagebild oder dieser Lagebericht eins ziemlich eindrucksvoll gezeigt hat, dann, dass wir um eine vertiefte Analyse über Ausmaß und Ursachen solcher Einstellungsmuster in Sicherheitsbehörden einfach nicht herumkommen. Es ist natürlich in Ordnung, sich jetzt erst einmal die Statistik anzuschauen, und ich finde, das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sich da wirklich ziemlich bemüht, da auch wirklich Licht ins Dunkel zu bringen. Aber es war natürlich auch darauf angewiesen, was die Bundesländer an Zahlen zuliefern, und es handelte sich dabei um freiwillige Angaben, die, Stand heute, zum Teil auch schon wieder veraltet sind. Insofern bringt uns dieser Lagebericht eigentlich nicht weiter.
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Armbrüster: Glauben Sie, dass die Zahlen geschönt sind, dass da Zahlen zurückgehalten werden?
Mihalic: Nee, das will ich damit nicht sagen. Aber wenn man zum Beispiel den Berichtszeitraum jetzt über den März hinaus erweitert hätte, dann wären ja, zumindest Stand heute, noch 50 weitere Fälle dazugekommen. Ich will damit sagen, dass sich dieser Bericht natürlich nur an der Oberfläche bewegen kann, weil er auch tatsächlich nur die Fälle auflistet, die bereits öffentlich bekannt sind. Und wir wissen auch aus kleinen Anfragen, dass die Länder auch auf unterschiedliche Art und Weise ihre Zahlen erheben, dass es da auch nicht unbedingt eine Vergleichbarkeit gibt, und an solchen Dingen krankt auch dieser Lagebericht.
"Es braucht auch eine vertiefte Analyse"
Armbrüster: Wir haben es gerade von Gudula Geuther gehört. Die Zahlen, die da genannt wurden, klingen tatsächlich nicht besonders dramatisch. 319 Verdachtsfälle bei den Landesbehörden und 58 bei den Bundesbehörden. Ist das wirklich ein Anlass, um eine groß angelegte Studie zu fordern?
Mihalic: Es dokumentiert ja einfach, dass wir hier wirklich nur das Hellfeld haben, also das, was öffentlich bekannt geworden ist. Und wenn man sich zum Beispiel mal die Fälle in Nordrhein-Westfalen anschaut, beim Polizeipräsidium Essen, was ja noch nicht so lange her ist, dann stellen wir auch da fest, dass es manchmal wirklich auch vom puren Zufall abhängt, dass solche Fälle überhaupt bekannt werden. Und spätestens seit NSU 2.0, Nordkreuz und anderer Geschichten sehen wir auch, wie groß der Bedarf ist, wirklich mal vertieft hinzuschauen und sich nicht nur das öffentlich bekannt gewordene statistische Ausmaß zu betrachten. Das ist wichtig, ja, und jedem Einzelfall, der da an die Oberfläche gelangt, muss natürlich in aller Sorgfalt nachgegangen werden. Aber es braucht auch eine vertiefte Analyse. Wir müssen mehr wissen über das Ausmaß und wir müssen vor allen Dingen deutlich mehr wissen über die Ursachen, wie es überhaupt dazu kommt, dass sich Polizeibeamte radikalisieren.
Studie soll besseren Einblick in Einstellungswelt bringen
Armbrüster: Aber wenn selbst der Verfassungsschutz nur diese Zahlen an die Oberfläche befördert, woher nehmen Sie dann die Hoffnung, dass Sie mit einer groß angelegten Studie da noch mehr an Informationen bekommen?
Mihalic: Weil es solche Studien ja bereits gab. Nur sind die ungefähr 20 bis 30 Jahre alt. Das heißt, das ist nichts, worauf man sich heute noch beziehen kann. Wir brauchen da dringend ein Update. Es würde sich dabei auch um eine soziologische Untersuchung handeln und da ist es durchaus auch methodisch möglich, da einen tieferen Einblick zu bekommen, der einem zumindest in der Frage weiterhilft, wie weit verbreitet sind solche Einstellungsmuster innerhalb der Sicherheitsbehörden.
Wir kennen ja vergleichbare Studien auch für die gesamte Gesellschaft, wenn wir zum Beispiel die Mitte-Studie nehmen, die uns einen sehr vertieften Einblick in die Einstellungswelt auch der gesamten Gesellschaft geben. So etwas brauchte man jetzt auch noch mal ganz gezielt für den Bereich der Sicherheitsbehörden beziehungsweise für den Bereich der Polizei, um auch festzustellen, wie weit verbreitet sind solche Einstellungsmuster, Rassismus, Rechtsextremismus, wie sie in der gesamten Gesellschaft vorkommen, dann im Besonderen noch mal bei der Polizei.
Armbrüster: Könnten Sie uns da ein Beispiel nennen, Frau Mihalic, wie Sie da vorgehen würden, wo Sie da nachhaken würden und wie?
Mihalic: Ich will eine solche groß angelegte Studie für die Polizei beziehungsweise für die Sicherheitsbehörden tatsächlich methodisch daran anlehnen, wie wir es aus den Mitte-Studien kennen. Das ist ein erprobtes Verfahren. Wir hätten damit auch eine gewisse Vergleichbarkeit hergestellt. Das heißt, wir könnten ziemlich genau sagen, wie weit verbreitet sind solche Einstellungsmuster für die gesamte Gesellschaft und dann noch mal wie unter einer Lupe im Bereich der Polizei. Wir haben als Grüne im Bundestag dazu ja auch bereits im Juni einen Antrag vorgelegt, wo wir die Bundesregierung auffordern, eine solche Studie auch zwischen den Bundesländern zu koordinieren. Natürlich kann jedes Bundesland da separat vorgehen und es gibt ja auch bereits Innenminister, die signalisiert haben, dass sie eine solche Studie machen wollen. Aber es wäre natürlich gut, wenn das in allen Bundesländern und auch im Bund geschehen würde.
Eine Studie bedeute gerade keinen Generalverdacht
Armbrüster: Das heißt, für Sie wären das groß angelegte Befragungen von Polizeibeamten in Deutschland?
Mihalic: Wie man das methodisch macht, das würde ich dann den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern überlassen, die mit so etwas tagtäglich zu tun haben, und das kann sicherlich eine Methode sein. Wichtig ist auf jeden Fall, dass man da genau hinschaut und dass man sich jetzt nicht mit einem oberflächlichen Lagebericht irgendwie zufrieden gibt, der nur das dokumentiert, was ohnehin bereits bekannt ist.
Armbrüster: Jetzt ist Horst Seehofer natürlich der oberste Dienstherr der Polizei. Kann man von ihm wirklich erwarten, dass er seine Mitarbeiter mit so einem, ich sage jetzt einfach mal, Verdacht konfrontiert beziehungsweise damit in die Öffentlichkeit tritt? Sollte man so eine Untersuchung nicht besser einer anderen Stelle überlassen als dem Bundesinnenminister?
Mihalic: Darum geht es ja. Solche Studien sollten natürlich von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in unabhängiger Art und Weise durchgeführt werden. Aber der Bundesinnenminister muss natürlich den Zugang zur Polizei ermöglichen beziehungsweise für die Polizeien des Bundes. In den anderen Bundesländern müssen das dort die jeweiligen Landesinnenminister machen.
Ich will noch mal was zu diesem Punkt Generalverdacht sagen, weil mich das unheimlich stört in dieser gesamten Debatte. Es geht doch bei wissenschaftlichen Untersuchungen gerade darum, dass man diesen Generalverdacht nicht annimmt. Der Verdacht, der heute geäußert wird gegenüber Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, wenn solche Fälle bekannt werden, dass man sie auch von diesem Makel befreit. Und ich glaube, es wäre wirklich gut, da wirklich eine vertiefte Analyse zu wagen, und ich bin fest davon überzeugt, dass dabei auch herauskommen würde, dass die allermeisten Polizeibeamtinnen und Beamten ganz andere Einstellungen an den Tag legen und nicht rechtsextremistisch oder rassistisch unterwegs sind. Aber dass wir es da vielleicht auch mit einem gewissen Prozentsatz zu tun haben, um den wir uns kümmern müssen.
Da interessieren mich insbesondere die Ursachen für solche Entwicklungen innerhalb der Polizei, weil dann wissen wir auch tatsächlich, wo wir ansetzen müssen. Denn es macht natürlich auch einen Unterschied, ob Leute mit einem festen rechtsextremen Weltbild sich gezielt bei der Polizei bewerben, oder ob es vielleicht auch dienstliche Alltagserfahrungen sind, die dazu führen, dass sie am Ende solche Einstellungen entwickeln.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.