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Gewalt-Prävention
Hessen will Schulpsychologen abschaffen

Beim Amoklauf von Winnenden starben im März 2009 16 Menschen, darunter der 17-jährige Täter. Daraufhin stellten die Schulbehörden zusätzliche Psychologen ein - 15 Stellen wurden allein in Hessen neu geschaffen, um Anti-Gewaltprojekte zu stärken. Nun will die hessische Landesregierung sparen und schafft einige der eingerichteten Psychologenstellen wieder ab. Die Landtagsopposition ist empört.

Von Ludger Fittkau | 12.05.2015
    Gedenkstätte in Form einer geschwungenen, ringförmigen Skulptur für die Opfer des Amoklaufs in Winnenden vom 11. März 2009.
    Gedenkstätte für die Opfer des Amoklaufs in Winnenden vom 11. März 2009 (Stadtverwaltung Winnenden)
    Wie viele der 92 Schulpsychologenstellen in Hessen abgebaut werden, ist noch nicht klar. Gewiss ist aber: Sechs Jahre nach dem Amoklauf von Winnenden wird ein Teil der damals zusätzlich geschaffenen Stellen demnächst wieder abgebaut. Doch Stefan Löwer, Sprecher des Hessischen Kultusministeriums, versucht zu beruhigen:
    "Es ist so, dass wir in der Schulverwaltung in den nächsten Jahren 40 Stellen werden abbauen müssen. Dazu gehören grundsätzlich auch die Schulpsychologen. Aber dieser Bereich ist sicherlich nicht der erste, der von Kürzungen betroffen sein wird."
    Das CDU-geführte hessische Kultusministerium geht aktuell davon aus, dass deutlich weniger als die 15 Psychologenstellen wieder abgebaut werden, die nach dem Amoklauf von Winnenden neu geschaffen wurden. Doch der Landtagsopposition ist jede Stellenstreichung in diesem Bereich zu viel.
    Ein Psychologe auf 18.000 Schüler
    Barbara Cárdenas ist die Schulpolitikerin der hessischen Landtagsfraktion der Linken –Sie weist auf das eigentliche Problem hin, nämlich, dass schon jetzt ein Schulpsychologe in Hessen rechnerisch 9.000 Schüler in meist mehr als 20 Schulen betreut. Damit liegt Hessen im Ländervergleich im Mittelfeld - insbesondere in Stadtstaaten wie Hamburg oder Berlin sieht es mit einem Psychologen für rund 5.000 Schüler etwas besser aus. In Niedersachsen mit Eins zu 18.000 jedoch noch deutlich schlechter. Im internationalen Vergleich steht Deutschland nicht gut da. Barbara Cárdenas:
    "Ich bin selbst Psychologin und ich weiß, wie wichtig es ist, dass Eltern, Lehrer, Kinder, Jugendliche wirklich einen kompetenten Ansprechpartner haben, wenn sie persönliche Probleme haben zum Beispiel. Und dann ist es wichtig, dass wirklich vor Ort möglichst schnell jemand erreichbar ist. Jemand der kompetent ist, der Mediation machen kann zwischen verschiedenen Leuten. Zwischen Lehrern und Eltern zum Beispiel. Aber auch die Fragen von Inklusion. Die ganzen neuen Herausforderungen. Da brauchen die Lehrer jemanden, mit dem sie mal sprechen können. Jemanden, der weiß, wie es in den Schulen aussieht."
    Auch die Lehrer sollen helfen
    Doch nicht alle neuen Herausforderungen an den Schulen müssen Psychologen bewältigen, finden die hessischen Schulbehörden. Salafismus oder Rechtsextremismus etwa müssen von den Lehrern selbst oder von außerschulischen Experten angegangen werden, fordert Stefan Löwer, Sprecher des Kultusministeriums:
    "Die genannten Gründe, wie Salafismus, Rechtsextremismus oder auch andere sind Bereiche, die natürlich auch Herausforderungen für die Schulgemeinden vor Ort sind. Das sind aber keine Aufgabenbereiche, die explizit nur von Schulpsychologen gelöst werden könnten. Ganz im Gegenteil. Hier sind vor allem die Lehrkräfte vor Ort auch gefordert. Und darüber hinaus haben wir Präventionsnetzwerke sowohl im Bereich links- und rechtsextremer Gewalt wie auch Salafismus. Hier gibt es also auch die Möglichkeit für externe Hilfen von außen."
    Die Aufgaben wachsen
    Doch aus der Sicht der Landtagsopposition gibt es genug weitere neue Themen, die die Schulen zu bewältigen haben. Etwa die Integration möglicherweise traumatisierter Flüchtlingskinder im deutschen Schulalltag. Barbara Cárdenas, hessische Landtagsabgeordnete der Linken:
    "Ich denke, dass eine der neuen Herausforderungen darin besteht, dass wir ja zunehmend mehr Kinder mit Flüchtlingshintergrund bekommen. Und die sind ja auch traumatisiert. Ich denke, die brauchen oft nochmal eine spezielle Unterstützung. Also: Für Verständnis zu werben, bei den Lehrern, bei den anderen Eltern, bei den Schülern selbst. Das halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe, gerade angesichts des Flüchtlingselends. Gerade Schulpsychologen könnten da sehr effektiv arbeiten."
    Der genaue Umfang des geplanten Stellenabbaus bei den hessischen Schulpsychologen soll im Zuge der nächsten Haushaltsberatungen im Wiesbadener Landtag festgelegt werden. Die schwarz-grüne Landesregierung muss sich auf kräftigen politischen Gegenwind im Parlament einstellen.