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Gewerkschaften an Peugeot-Standort schmieden Bündnis

Sie ist das Symbol für die aktuellen Schwierigkeiten der französischen Wirtschaft: die Automobilindustrie. Das Peugeot-Werk Sevelnord an der Grenze zu Belgien gilt als besonders bedroht von einer Schließung, macht aber auch durch ein ungewöhnliches Bündnis von sich reden.

Von Andreas Noll | 23.04.2012
    Alle hatten sie angefragt: Nicolas Sarkozy, sein Herausforderer François Hollande und auch die chancenlosen Kandidaten wären gerne im Wahlkampf nach Sevelnord gekommen. Doch die Arbeiter wollten keinen großen Bahnhof:

    "Wir haben uns verständigt, dass wir keinen Kandidaten empfangen. Denn wir wollen unseren Kampf zum Erhalt des Werkes nicht mit einer politischen Richtung verbinden","

    sagt der Betriebsratsvorsitzende des nord-französischen Automobilwerks, Jean-Charles Masclef.

    Eine ungewöhnlich zurückhaltende Botschaft aus einem Land, in dem Gewerkschafter im Arbeitskampf Manager schon mal als Geisel nehmen. Doch Masclef und sein Vize Patrick Prudhomme kämpfen für ein neues Gewerkschaftsbild:

    ""Vor einem halben Jahr haben wir die Entscheidung getroffen, einen Bund zu gründen, der alle sieben Gewerkschaften umfasst. Das gab es wohl zuvor nicht. Mit dem einzigen Ziel: den Weiterbestand des Werks zu sichern."

    Plötzlich ziehen Trotzkisten und unpolitische Gruppen an einem Strang. Der Betriebsrat - in Frankreich eher für Grillfeste und Mitarbeiterausflüge bekannt – gewinnt damit an Einfluss. Das Vorbild für dieses Projekt kommt aus dem Ausland. Vom "Modell Deutschland" hat Präsident Sarkozy einmal gesprochen. Von einem anderen "Modell Deutschland" sprechen nun die Gewerkschafter:

    "Für uns ist die IG Metall ein Vorbild. Wenn es Verhandlungen in Deutschland gibt, zumindest liest man das hier in den Zeitungen, gibt es keine Sieger und Verlierer wie in Frankreich, sondern Gewinner und Gewinner. Das hätten wir auch gerne für unser Land."

    Aber natürlich ändert die neue Interessenvertretung nichts am globalen Wettbewerb. Rund 30 Prozent preiswerter produziert etwa das spanische Werk von Peugeot-Citroen - auch Dank niedrigerer Löhne. Dass Sevelnord 1992 überhaupt aus dem Boden gestampft werden konnte, war Fiat zu verdanken. Doch 2017 zieht sich der italienische Partner aus der gemeinsamen Nutzfahrzeugproduktion mit PSA zurück. Und ohne Ersatz dürfte es schwer werden für die gut 2.400 Beschäftigten und die Region:

    "Die Automobilindustrie hier ist wichtig. Sie hat die Kohle-, Stahl- und Textilindustrie ersetzt. Wenn die Automobilindustrie hustet, bekommt die ganze Region einen Schnupfen. Rund 50.000 Menschen leben hier von dieser Industrie."

    Muss sich die Region trotzdem noch einmal neu erfinden? David Hugoo vom kommunalen Zusammenschluss "Valenciennes Métropole":

    "Wir glauben an die Automobilindustrie und daher werden wir sie weiter unterstützen. Aber eine Monostruktur in der Region wollen wir auch verhindern und deshalb arbeiten wir an einer Wirtschaft, die auf mehreren Standbeinen ruht: Das sind neben der Automobil- und Bahnindustrie, die digitale Industrie und die Logistik."
    E-Learning-Unternehmen gehören zu diesen neuen Arbeitgebern. Aber ist das ein Ersatz für Arbeitsplätze in der Industrie? Die Autobauer hören da lieber eine andere Nachricht. Vor wenigen Tagen haben die Kollegen im benachbarten Toyota-Werk die Produktion eines Hybridwagens gestartet. Und Toyota zählt auch zu den Kandidaten, die als Ersatzpartner für Fiat gehandelt werden. Ob es dazu kommt, wird wohl erst nach den Präsidentschaftswahlen verkündet. Die wichtigen Entscheidungen fallen eben immer noch in Paris.