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Gibt es die "Net-Generation" wirklich?

Pädagogik.- Der Erfinder des Begriffspaares der "digitalen Eingeborenen" und der "digitalen Einwanderer", Marc Prensky, fordert in seinem Buch "Digital Natives, Digital Immigrants" ein komplettes Umdenken für den Lehrbetrieb. Zu seinen Kritikern gehört der Pädagogikprofessor Rolf Schulmeister.

Von Maximilan Schönherr | 02.01.2010
    "Prensky meint, er hat eine Generation von Studierenden, die dem Computer süchtig verfallen sind, die nur noch in Netzen lernen, nur noch über Kontakte lernen, die mehrere Dinge gleichzeitig tun, also Multitasking betreiben, die von dem Bildungssystem nichts anderes mehr erwarten, als dass man ihnen alles digital zur Verfügung stellt. Und das ist eine These, die einfach nicht stimmt. Wir haben jetzt über zehn große empirische Untersuchungen, die alle deutlich machen, dass die Studentengeneration, die wir haben, zu über 90 Prozent die Web- 2.0-Bewegung noch überhaupt nicht kennt und nicht nutzt."

    Rolf Schulmeister nimmt Marc Prensky in seiner Arbeit "Gibt es eine Net-Generation?" aufs Korn. Ihn macht es als Wissenschaftler skeptisch, dass der Amerikaner aus dem Bauch heraus eine Generation völlig veränderter junger Menschen erfindet und daraus den Anspruch auf eine neue Pädagogik fordert.

    "Das Auge des Pädagogen liegt auf der Verschiedenheit der Lernenden und liegt nicht darauf, sozusagen ein einheitliches Bild einer kompletten Generation zu zeichnen."

    In seiner Arbeit führt Schulmeister eine Handvoll Studien zusammen, unter anderem auch eine von ARD und ZDF zum Medienverhalten junger Menschen, von denen keine belegt, dass diese anders funktionieren, fühlen, handeln, lernen als die ohne Computer aufgewachsene Vorgängergeneration. Der permanente Umgang mit den Maschinen bewirkt keinen neuen Menschentyp.

    "Das, was die Jugend heute mit dem Computer macht: Sie arbeitet sehr viel, aber das dient der Kommunikation. Es ist also ein zusätzliches Instrument mit der Hauptfunktion der Kommunikation. Ich muss mich als Jugendlicher entweder auf der Straße oder über den Computer mit meinen Peers beschäftigen, sie kontaktieren. Ich möchte eine Gruppe um mich herum haben, die mit mir aufwächst, die mit mir eine Identitätsbildung betreibt und mir das Erwachsenwerden und gleichzeitig die Ablösung vom Elternhaus erleichtert."

    "95 Prozent der amerikanischen Studenten sind in Facebook. 80 bis 90 Prozent in Deutschland sind in der StudiVZ. Wikipedia und solche Dinge werden auch genutzt, nur: Alles andere, was web 2.0 ausmacht, also das interaktive Arbeiten im Netz, die kooperativen Elemente – die werden von maximal 5-10 Prozent von den Jugendlichen benutzt. Also Beiträge für die Wikipedia zu leisten, oder Web-Logs zu führen, aktiv zu führen."

    Rolf Schulmeister ist kein Reaktionär, der sich gegen moderne Themen verschließt, sondern an verknöcherter Didaktik und Frontalunterricht festhält. Im Gegenteil: er wünscht sich als Alt-68er viel mehr liberale Ideen der Studentenbewegung verwirklicht, als sie es heute sind. Heute, wo das Studium wieder Schule ist, eine einzige Hetzerei, verschult und ohne auch nur die Chance neuer Lehransätze.

    Marc Prensky und seine Jünger hält er nicht für gefährlich, aber für extrem überschätzt. Eben: gehypt.

    "Na ja, mich hat das aufgeregt, weil es einfach eine ganz freche Behauptung ist, um Geld zu schinden."