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Giegold: Steuerflucht ist kein Naturereignis, dazu gehört Politik

Nach neuen Erkenntnissen über Geheimgeschäfte in Steueroasen, fordert Sven Giegold (Die Grünen) die Bundesregierung auf, sich der US-amerikanischen FATCA-Initiative anzuschließen. Diese verpflichte Banken, sämtliche Daten an die teilnehmenden Länder über ihre Staatsbürger weiterzugeben. Dann wäre der "Spuk" bald vorbei.

Sven Giegold im Gespräch mit Christoph Heinemann | 04.04.2013
    Christoph Heinemann: Wer die Informationen zur Verfügung gestellt hat, ist noch nicht bekannt. Eine anonyme Quelle hat internationalen Medien einen umfangreichen Datensatz über geheime Geschäfte in Steueroasen zugänglich gemacht. Für Kenner und Liebhaber kurz die Zahl: 260 Gigabyte, da passt einiges hinein. Es geht um 2,5 Millionen Dokumente, 130.000 Personen aus mehr als 170 Ländern. Der "Norddeutsche Rundfunk" und die "Süddeutsche Zeitung" berichten naturgemäß über deutsche Fälle, in denen über Briefkastenfirmen und sogenannte Trusts große Vermögen versteckt oder verschleiert werden.

    In Zeiten wie diesen, in denen Gehälter und Sonderzuwendungen, welche an Spitzenverdiener gezahlt werden, ins Gerede gekommen sind, gleichzeitig Menschen vom Lohn ihrer Arbeit nicht leben können, fallen die Meldungen über die Steuervermeidung oder gar Hinterziehung auf fruchtbaren Boden.

    Am Telefon ist Sven Giegold von Bündnis 90/Die Grünen, Abgeordneter im Europäischen Parlament, dort Mitglied des Wirtschafts- und Währungsausschusses. Guten Tag.

    Sven Giegold: Guten Tag, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Giegold, haben die Meldungen Sie überrascht?

    Giegold: Nein, die haben mich gefreut, denn dadurch wird das, was wir immer wussten, jetzt konkret, bekommt Namen. Und erfreulich ist auch, dass die Journalisten international so zusammengearbeitet haben. Das ist das, was wir uns von den Staaten schon lange wünschen.

    Heinemann: Unerfreulich ist, dass es wieder reiner Zufall war. Das heißt, diese CDs sind jetzt von anonymer Hand zugespielt worden und nicht irgendwie von Steuerfahndern oder Betriebsprüfern gefunden worden.

    Giegold: Ja, das ist richtig, und dahinter steht natürlich die Tatsache, dass das einzige Land, was derzeit wirklich Ernst macht im Kampf gegen Steuerflucht, die USA sind mit ihrer FATCA-Initiative, mit der sie alle Banken verpflichten, von allen Amerikanern alle Daten weiterzugeben. Genau diese Initiative unterstützt Deutschland bisher nicht, unterstützt auch die EU nicht. Man ist vielmehr der Schweiz in den Rücken gefallen. Würden wir das gleiche machen, hätten wir auch Zugang zu viel mehr Daten, und zwar genau in diese Welt der Trusts und Offshore-Gesellschaften.

    Heinemann: Wieso geschieht das nicht?

    Giegold: Das geschieht nicht, weil Herr Schäuble es vorgezogen hat, mit der Schweiz ein Anonymitätsabkommen zu schließen. Das ist nun gescheitert und jetzt wäre die richtige Zeit, nach diesem Skandal sich der amerikanischen FATCA-Initiative anzuschließen. Und ich glaube, auch in Frankreich nach den jüngsten Skandalen wäre die Bereitschaft dazu da.

    Heinemann: War aber bisher nicht da?

    Giegold: Leider nicht, genau. Man hat im Grunde das Prinzip nicht geteilt. Man muss doch mal sehen: Was die Amerikaner machen, ist radikal. Sie sagen, jedes Finanzinstitut, was mit ihnen Geschäfte macht, muss zusagen, von allen Amerikanern automatisch offenzulegen, wenn dort Konten vorliegen, wenn dort Einkommen vorliegen, oder wenn Gesellschaften, an denen Amerikaner beteiligt sind - genau darum geht es ja jetzt bei Offshore-Leaks -, wenn solche Daten den entsprechenden Banken vorliegen. Und würde Deutschland das auch machen, würde Frankreich das auch machen und weitere Staaten sich anschließen, dann hätten wir sehr bald Transparenz in dieser Welt, in die wir jetzt einen Einblick bekommen haben.

    Heinemann: Herr Giegold, wir haben eben gehört: einige sogenannte Oasen erheben keine oder kaum Steuern. Welchen Vorteil ziehen solche Oasen aus den Geldströmen?

    Giegold: Der zentrale Vorteil ist, dass dann eben die Verwaltungsgesellschaften dort ihren Sitz haben, und so fallen dann eben doch ein paar Brosamen ab. Und wenn Sie groß genuge Summen bewegen und Ihr eigenes Land klein genug ist, dann haben Sie eben doch was davon.

    Heinemann: Und was spricht eigentlich gegen einen Wettbewerb um Anleger?

    Giegold: Dagegen spricht, dass das eben zu Steuerunfairness führt. Denn Arbeitnehmer können nicht in dieser Weise ausweichen, oder Konsumenten, wenn sie Umsatzsteuer bezahlen. Das heißt, wenn Sie Ihr Gehalt vom Deutschlandfunk bekommen, dann werden Sie überhaupt nicht gefragt, Ihre Daten werden ans Finanzamt überwiesen und es wird Steuer abgezogen. Wenn Sie Kapitaleinkommen haben und die irgendwo auf der Welt anlegen, dann nutzen Sie weiterhin die gute Infrastruktur, den sozialen Frieden hier, zahlen aber keine Steuern. Das ist nicht in Ordnung.

    Heinemann: Sind sogenannte Steueroasen nicht ein Korrektiv für Politiker, die den Bürgerinnen und Bürgern, auch den Besserverdienenden immer mehr Geld aus den Taschen ziehen wollen?

    Giegold: Das sehe ich ganz anders, denn das ist genau die Aufgabe der Demokratie. Wer niedrige Steuern haben möchte für Reiche, kann ja die FDP wählen. Wer das nicht möchte, unterlässt das.
    Es ist dem Souverän anheim gestellt, entsprechende Korrekturen vorzunehmen, und es ist natürlich nicht klug, Leistungsfähigkeit irgendwann so hoch zu besteuern, dass niemand mehr Leistung vornehmen will. Deshalb hat sich das auch nirgendwo auf der Welt durchgesetzt. Aber Steuergerechtigkeit und eine Begrenzung der Ungleichheit, das gehört zu einer sozialen Marktwirtschaft, und offensichtlich gibt es eben überall auf der Welt Menschen, die das nicht akzeptieren wollen.

    Heinemann: Im Augenblick wird wieder über einen höheren Spitzensteuersatz diskutiert. Welche Reaktionen wird eine solche Diskussion haben, mehr Steuerflucht oder weniger? Was denken Sie?

    Giegold: Das kommt darauf an, ob man Steuerflucht hinnimmt. Steuerflucht ist ja kein Naturereignis und steht auch nicht in der Bibel, sondern dazu gehört Politik, die das hinnimmt. Und dass ist lange als Kavaliersdelikt angenommen worden und jetzt ist die Zeit, diese Oasen zuzumachen. Wenn man das tut, dann kann man auch mehr Steuergerechtigkeit in den Ländern wagen.

    Heinemann: Der Steuerrechtler und ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof kritisiert, jeder versucht - und unser Steuerrecht lädt dazu ein - rechtliche Bestimmungen zu umgehen oder zu unterlaufen. Er schlägt hier einen einheitlichen Steuertarif vor, den alle zahlen müssen, auch die Reichen, die sich nicht mehr arm rechnen können. Ist das nicht der bessere Ansatz?

    Giegold: Zum einen - und Herr Kirchhof war immer auch ein starker Kritiker von Steuerflucht übrigens, obwohl ich seine Ansichten sonst in dieser Frage nicht teile - nein, das ist nicht gerecht, denn wenn Sie den gleichen Steuersatz bezahlen als Armer und als Reicher, mit Ausnahme von einigen Freibeträgen am unteren Ende, dann führt das eben dazu, dass diejenigen, die hohe Einkünfte haben und bisher auch dafür vernünftig Steuern bezahlen, die würden enorm Steuern sparen, und diejenigen, die ihr Geld in Steueroasen haben.
    Ich bin mir sicher, wenn die jetzt statt 40 Prozent 25 zahlen müssten, dann würden die ihr Geld nicht zurückbringen. Das zeigen auch andere Staaten, die niedrigere Spitzensteuersätze haben. Auch dort gibt es ein massives Problem mit Steuerflucht. Nein, diese Form von Uneinsichtigen wird es immer geben und dagegen muss man mit den Mitteln des Rechtsstaates vorgehen.

    Heinemann: Mit welchen rechtlichen Mitteln? Müssen wir in der Gesetzgebung umsteuern?

    Giegold: Ich glaube, das Zentrale ist wirklich zum einen, dass wir grundsätzlich erst mal weiterhin sagen sollten, Kapitaleinkommen müssen genauso besteuert werden wie Arbeitseinkommen. Es war eine Fehlentwicklung zu sagen, mit der Abgeltungssteuer machen wir ein steuerliches Sonderangebot. Und dann müssen wir dafür sorgen, dass wir diese Steuern auch behalten, und das können wir dadurch, dass wir wie die Amerikaner mit ihrem FATCA-Gesetz alle Banken, die bei uns Geschäfte machen wollen, die mit uns Geschäfte machen wollen, verpflichten, sämtliche Daten über Deutsche weiterzugeben. Und wenn wir das mit vielen Staaten gemeinsam machen, dann ist dieser Spuk bald vorbei.

    Heinemann: Was sollte mit Banken geschehen, die bei Steuervermeidung behilflich sind?

    Giegold: Die Banken zunächst mal sollten dann entsprechende Strafabgaben zahlen. So machen die Amerikaner das. Jede Bank, die nicht kooperiert, muss 30 Prozent Abschläge hinnehmen, wenn sie etwa mit amerikanischen Anleihen Geschäfte machen. Und diese Strafsteuersätze führen dazu, dass die Banken kooperieren.

    Heinemann: Herr Giegold, welche sogenannten Oasen würden Sie gern an den Pranger stellen?

    Giegold: Ehrlich gesagt: jetzt können wir eine Liste machen, wer der schlimmste ist auf der ganzen Welt.

    Heinemann: Auf geht's!

    Giegold: Darum geht es eigentlich nicht.

    Heinemann: Schade!

    Giegold: Ja! Sagen wir mal so: es ist ja bekannt, dass die Cayman Islands und die British Virgin Islands - das sieht man jetzt auch bei den entsprechenden Daten -, dass die ganz besonders große Fische sind, aber über die man sich verhältnismäßig wenig aufregt. Aber aus meiner Sicht ist das ein weltweites Problem.
    Jedes Finanzzentrum, London, New York, Frankfurt und so weiter, wir haben immer traditionell enge Beziehungen mit einer Steueroase: Frankfurt mit der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg, London mit den Kanalinseln, die Amerikaner mit den Cayman Islands. Jedes Finanzzentrum hat seine Oase und all diese Oasen sind insgesamt nicht mehr tragbar.
    Das ist die Mitteilung, die wir dem Finanzsystem einfach in aller Klarheit machen müssen, und ich erwarte, dass die Bundesregierung die jetzige Situation nutzt für eine entsprechend klare deutliche politische Offensive, wie die Amerikaner es schon machen.

    Heinemann: Sven Giegold von Bündnis 90/Die Grünen, Abgeordneter im Europäischen Parlament. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Giegold: Gerne, Herr Heinemann.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.