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Gier ist nicht gut

Der Ökonom Joseph Stiglitz durfte sich mit der Finanzkrise in all seinen Annahmen bestätigt fühlen – ist er doch einer der profiliertesten Kritiker eines Systems der sich selbst regulierenden Märkte: Schon während seines Studiums brach er mit den Theorien der klassischen Wirtschaftswissenschaften.

Von Katja Ridderbusch | 26.04.2010
    "Someone reminded me I once said: 'Greed is good'. Now it seems that it's legal."
    Gordon Gekko, der skrupellose Spekulant im Hollywoodklassiker "Wall Street”, wurde mit seinem Mantra "Gier ist gut" zur Symbolfigur des wilden Börsenbooms in den 80er-Jahren. Jetzt ist er wieder da; die Fortsetzung von "Wall Street" kommt im Herbst in die Kinos. Scheinbar geläutert nach 20 Jahren Gefängnis kehrt Gekko im Sommer 2008 in die schwüle New Yorker Finanzwelt zurück und warnt vor dem Platzen der großen Blase. Mit den erfolglosen Warnrufen enden dann auch die Gemeinsamkeiten zwischen Gordon Gekko und Joseph Stiglitz. Stiglitz ist kein windiger Börsenjongleur, sondern Nobelpreisträger für Wirtschaft, Professor an der Columbia University in New York, ehemaliger Berater von Präsident Bill Clinton und früherer Chefökonom der Weltbank. Er hat den Crash seit 2006 kommen sehen, sagt er im Interview:

    "Ich habe immer wieder gesagt: Wir steuern auf eine gewaltige Krise zu, und wenn die Krise kommt, dann wird sie um so schwerer sein. Leider haben sich meine Befürchtungen bewahrheitet."
    Jetzt hat Joseph Stiglitz ein Buch über die "Great Recession", die große Rezession geschrieben, wie die Krise in Amerika heißt. "Im Freien Fall" ist eine Tour de Force durch die Geschichte des globalen Abschwungs: Ursachen, Folgen und Lehren. Der Autor erinnert an die Immobilienblase, die aufgebläht wurde von zweitklassigen Hypothekendarlehen. An die überhitzten Finanzmärkte und an eine toxische Kreditkultur, die die Amerikaner jahrzehntelang dazu verführte, über ihre Verhältnisse zu leben. Die Krise, betont Stiglitz, sei nicht schicksalhaft über Amerika hereingebrochen:

    "Das war eine von Menschen gemachte Krise – und wenn wir nichts tun, um unser System zu reformieren, wird es in Zukunft immer wieder solche Krisen geben."
    Getan worden sei wenig, schreibt Stiglitz. Die Regierung Bush habe die anschwellende Rezession verdrängt, bis die Märkte kollabierten. Und auch für das Krisenmanagement von Präsident Obama findet der Autor harsche Worte. Statt die Ursachen der Rezession zu ergründen und das marode Finanzsystem zu reformieren, hätte die Regierung Obama beschlossen, "sich durch die Krise durchzuwursteln". Und weiter:

    Bemerkenswerterweise hat Präsident Obama, der mit der Formel "Wandel, an den Sie glauben können", in den Wahlkampf gezogen war, die Stühle an Deck der Titanic nur geringfügig umgestellt.
    Positiv bewertet Stiglitz dagegen Obamas Plan, die amerikanischen Großbanken in den Schwitzkasten zu nehmen:

    "Ich unterstütze Obamas Initiative, die 'big banks' mit einer Sonderabgabe zu belegen. Bislang gab es für sie doch gar kein Risiko: Wenn sie bei ihrem Glücksspiel erfolgreich waren, trugen sie die Gewinne davon. Wenn sie verloren, mussten die Steuerzahler die Zeche zahlen."
    Stiglitz ist überzeugt: Mit der Rezession endet eine Ära amerikanischer Wirtschaftsdominanz, die mit der Deregulierungspolitik unter Präsident Reagan begann:

    Der 15. September 2008, der Tag, an dem Lehman Brothers zusammenbrach, ist vielleicht für den Marktfundamentalismus – also für die Auffassung, dass freie Märkte von sich aus Wohlstand und Wachstum herstellen – das, was der Fall der Berliner Mauer für den Kommunismus gewesen ist.
    Doch der Autor beklagt nicht nur die verfehlte amerikanische Wirtschaftspolitik. Er attackiert auch das "moralische Defizit" von Politik und Finanzwelt, das bis in die 80er-Jahre zurückreiche. In die Zeit von Gordon Gekko also – und dessen Hohelied auf die Gier:

    "The point is, ladies and gentlemen, that greed, for lack of a better word, is good. Greed is right. Greed works."
    Leider ist das Kapitel über den Triumph der Gier, den Untergang der Moral und Amerikas vermeintlich verkommenes Wertesystem das schwächste in Stiglitz' Buch geworden. Der Autor gefällt sich ein bisschen zu sehr in überlebten Klischees. Zum Beispiel:

    Das Modell des draufgängerischen, hemmungslosen Individualismus, das Präsident Bush mit seinen Cowboy-Stiefeln und seinem Macho-Gehabe so eindringlich verkörperte, beschwört eine Welt, in der wir für unsere Erfolge und Misserfolge selbst verantwortlich sind.
    Das ist weder originell noch besonders provokant. Und Bush-Bashing ist ohnehin von gestern. Doch bei seinen Vorschlägen zur Zukunft ist der Ökonom wieder ganz in seinem Element. Kurzfristig hält er ein zweites Konjunkturprogramm für notwendig, zusätzlich zum Hilfspaket von 800 Milliarden Dollar.

    Und mittelfristig? Amerika, schreibt Stiglitz, brauche zum Schutz vor künftigen Krisen ein nachhaltigeres Wirtschafts- und Sozialmodell – und eine maßvolle staatliche Regulierung der Finanzmärkte. "Im freien Fall" ist über weite Strecken eine kluge und kurzweilige Lektüre. Die Sprache ist pointiert, der Ton leidenschaftlich und bisweilen etwas selbstgerecht, aber immer wieder durchbrochen von feiner Ironie. Die britische Sonntagszeitung "Sunday Times" wundert sich allerdings – nicht ganz zu unrecht -, dass der Krisenessay "für einen intellektuellen Unruhestifter" vom Kaliber eines Joseph Stiglitz "irritierend konventionell" daherkomme. Der Rezensent des amerikanischen Wirtschaftsmagazins "Business Week" ist anderer Meinung. Er schließt seine Besprechung mit der Empfehlung: "Ich hoffe, dass Präsident Obama auf seinem Nachttisch Platz für dieses Buch schafft".

    Katja Ridderbusch über Joseph Stiglitz: "Im freien Fall - Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft". Erschienen bei Siedler, 448 Seiten für 24 Euro 95, ISBN: 978-3-88680-942-4.