Donnerstag, 28. März 2024

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Giuseppe Verdis Oper "Don Carlo"

Die hohen Herrschaften dinieren. Militärisch korrekt das Auftragen der Speisen durch die Küchenbrigade. Drum herum sitzen wie in der Kirche Volk und Klerus. Vor dem Tisch kauern am Boden von Foltermalen gezeichnete Ketzer-Fleischbündel, die Füße an von der Decke herabhängenden Seilen gebunden.

14.06.2004
    Später nach der letzten Ölung mit Benzin aus dem Kanister werden sie baumeln an den Seilen wie Serrano-Schinken. Und schnittig gekleidete Herren in dunklen Anzügen zücken vor der versammelten Gemeinde die Feuerzeuge zum Autodafé, derweil der König die Fleischportionen zum Hauptgang abteilt.

    Die jüngsten Bilder vom privatisierten Staatsterror sind eingearbeitet in Philipp Himmelmanns Inszenierung von Verdis Don Carlo an der Berliner Staatsoper. Dabei geht es sehr privat, fast intim zu in dieser Version des Verdischen Nachdenkens über große Politik als private Machtkämpfe. Man spielt die dafür am besten geeignete so genannte Mailänder Fassung.

    Ein einziges Requisit genügt Bühnenbildner Johannes Leiacker, um die Szene zu charakterisieren: ein weiß gedeckter Tisch auf einem von unten grell erleuchteten Podest. Er ist Frühstückstisch, Büro, Bett, Versteck, Katafalk und Altar. Die wie eine Camera obscura hinten sich öffnende und wieder sich schließende Szene ist Schlafgemach und Kirche, Wohn- und Speiseraum in einem.

    Mit einer Frühstücksszene wird die Oper eröffnet. Philipp und Elisabeth sitzen da an der Längsseite, der Infant und Eboli einander gegenüber an der Schmalseite. Später versucht die Eboli auf diesem Tisch den Infanten zu verführen. Der König steigt dort von der Eboli herunter, bevor er seine Erkenntnisse über die Beziehung zur Königin zum Besten gibt "Sie hat mich nie geliebt".

    Rodrigo alias Posa wird auf dem Tisch erschossen und fällt dann etwas melodramatisch theaterblutend zu Boden. Die Königin zieht hier die Summe ihres vereinsamten Lebens als eigentlich dem Sohn Carlos versprochene, dann vom Vater Philipp aus machtpolitischen Gründen angeheiratete dritte Ehefrau, die den Verlust der Heimat Frankreich zu beklagen hat. Der spukende Geist von Karl V setzt sich mit zu ihr an den Tisch.

    Und schließlich drängt sich auch der Großinquisitor an die königliche Tafel. Er nimmt den Platz des zuvor abgeführten Carlos ein, der sich seiner Aufmüpfigkeit erinnerte. Der Platz der Eboli gegenüber bleibt am Ende leer. Die Edelintrigantin und Chefin der Sicherheitstruppe, mal im engen Kostüm mit gehalfterter Pistole unterm Arm, mal im verführerischen langen Abendkleid, musste den Hof verlassen.

    Bei ihrer Ballade von der verschleierten Frau, um die ein Mauren-König wirbt, vernascht sie gerade den Pagen, während die ganze Frauen-Sicherheits-Truppe lüstern zuguckt.

    Fabio Luisi findet nach anfänglichen Unsicherheiten bei der Staatskapelle zu einem runden, weichen, aber in den Kirchenszenen auch machtvollen Klang. Von den Sängern kann vor allem René Pape als im Widerspruch zwischen Amt und privaten Wünschen jung gealterter König Philipp beeindrucken. Dalibor Jenis ist der gewievte Rodrigo.

    Mit etwas zu starkem Vibrato trumpfen die beiden Frauenfiguren auf, Norma Fantini als mütterliche Elisabeth und Nadja Michael als kalt kalkulierende Eboli. Etwas unfair ausgebuht wurde Jorge Antonio Pita als Carlo; kurzfristig war er eingesprungen in die fertige Inszenierung. Auch das Inszenierungsteam sah sich immer wieder kräftigen Buhs ausgesetzt. Dabei ist dieser Don Carlo Himmelmanns vielleicht bisher beste Inszenierung.

    In der nicht gerade von Großtaten glänzenden Saison der Lindenoper ein doch erfreulicher Glanzpunkt.