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Glänzender Beschwörer von Stimmungen und Orten

Der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura wurde weltberühmt mit dem Krimizyklus "Das Havanna-Quartett". Auch in seinem neuen Roman ermittelt der Schwerenöter, Möchtegern-Autor und Möchteliebernicht-Polizist Mario Conde. Und erkundet dabei skurille Mythen und Milieus.

Von Sacha Verna | 12.07.2012
    Jedes Jahr wird ein Preis für die schlechteste Sexszene in der Literatur verliehen, der sogenannte "Bad Sex Award". Den würde Leonardo Padura für bestimmte intime Episoden in seinem neuen Roman zwar nicht gewinnen, aber er befände sich ziemlich weit oben auf der Liste der Kandidaten. "Der Schwanz der Schlange" steckt voller feuchter Intermezzi, und das ist bedauerlich, denn eigentlich handelt sich bei dem schmalen Buch um einen Krimi, nicht um einen Softporno.

    Leonardo Padura ist zu Recht mit seinem fulminanten Havanna-Quartett bekannt geworden. Sein Protagonist, der Schwerenöter, Möchtegern-Autor und Möchteliebernicht-Polizist Mario Conde gehört zu den festen Größen des internationalen Krimi-Personals. Und seit Padura seine Leser an den Malecón entführt hat, gilt Havannas berühmte Uferpromenade als heißes Pflaster.

    Wie das Quartett spielt "Der Schwanz der Schlange" 1989. Fidel ist fidel und der Rum knapp in der Hauptstadt der Revolution, als in einem schäbigen Loch im Chinesenviertel ein Mann von der Decke baumelnd aufgefunden wird. Ihm fehlt ein Finger, und auf seine Brust hat jemand rätselhafte Zeichen eingeritzt. Liegt hier ein Ritualmord vor? Oder ein kreuznormales Drogendelikt? Die Hinweise deuten auf Ersteres. Wie immer tatkräftig unterstützt von Sargente Manolo und geistig vom Dünnen Carlos, seinem kriegsinvaliden besten Freund, der längst nicht mehr dünn ist, dringt Teniente Conde in eine kulturelle Enklave Havannas vor, die sich ebenso gut auf dem Mond befinden könnte. Oder eben in Shanghai oder Sichuang. Da herrschen merkwürdige Umgangsformen und fremde Bräuche, die begleitet werden vom Klang einer völlig unverständlichen Sprache. Zudem stößt der Teniente auf Drachenorden, Mythen und viel Hokuspokus. Vor allem aber stolpert Conde über kaputte Träume. Nicht nur über die mausarmer Einwanderer, sondern auch über die eigenen.

    In Kriminalromanen mit Anspruch – und zu diesen zählen Leonardo Paduras Werke zweifellos - steht nicht die Auflösung des Verbrechens im Vordergrund. Es geht um das Ergründen von Milieus und Figuren. Es geht um Schicksale und das soziale Räderwerk, das manche von ihnen zermalmt. Der Schauplatz der Handlung ist so wichtig wie die Akteure selbst. Padura erweist sich in "Der Schwanz der Schlange" einmal mehr als glänzender Beschwörer von Stimmungen und Orten. Wer war schon dabei damals, als sich an der Calle Salud, Ecke Manrique noch eine Wäscherei befand, in deren Hinterzimmer Mahjong gespielt und Opium geraucht wurde? Padura lädt den Leser dorthin ein.

    Das prächtige Lokalkolorit und die Charakterstudien vermögen allerdings nicht, über den schwachen Plot hinwegzutäuschen. Über einen Spannungsbogen muss nun einmal auch der ambitionierteste Kunstkrimi verfügen. Leonardo Padura lässt Mario Conde in Vergangenheiten und Gegenwarten wühlen und bringt nur fadenscheinige Fetzen einer Geschichte zutage. Das ist schade. Dass dieser Autor seine kriminellen Kräfte noch nicht erschöpft hat, zeigt nämlich selbst "Der Schwanz der Schlange". Im kommenden Frühjahr soll wieder ein substantieller Mario Conde-Roman erscheinen. Ein minderes Werklein wie dieses macht darauf so richtig Lust.

    Leonardo Padura: Der Schwanz der Schlange.
    Kriminalroman aus Havanna.
    Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein. Unionsverlag, Zürich 2012. 190 Seiten. 19,95 Euro