Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Gläubigerbeteiligung ist notwendig, damit auch eine Lernkurve entsteht"

Die Märkte haben verschreckt auf die Gläubigerbeteiligung beim Schuldenschnitt im Euro-Rettungsfonds ESM reagiert, so FDP-Politiker Frank Schäffler. Es könne jedoch nicht alles der Steuerzahler bezahlen, da ansonsten die Banken weiterhin darauf setzten, dass ihnen geholfen werde.

Frank Schäffler im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 10.12.2011
    Jürgen Zurheide: Das war der Bericht von Jasper Barenberg mit den Ergebnissen des europäischen Gipfels, und darüber wollen wir jetzt reden mit Frank Schäffler, demjenigen, der innerhalb der FDP einer der Initiatoren des Mitgliederentscheides ist. Bis Dienstag können die FDP-Mitglieder ja noch abstimmen über die Frage: ESM – also dieser europäische Rettungsfonds –, ja oder nein? Darüber wollen wir jetzt reden mit Frank Schäffler, der jetzt am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Schäffler!

    Frank Schäffler: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Schäffler, müssen Sie jetzt eigentlich bei der Kanzlerin Abbitte leisten und die Mitglieder in den letzten Tagen noch auffordern, für den ESM zu stimmen? Denn das ist ja jetzt die Kanzlerin, die die Fiskalunion durchgesetzt hat. Das ist zumindest die Wertung der Kanzlerin. Wie sehen Sie das?

    Schäffler: Nein, nein, ganz im Gegenteil: Auf dem Altar in Europa ist ziemlich viel geopfert worden, beispielsweise die zwingende Gläubigerbeteiligung, und die ist ja in einer Marktwirtschaft eine zwingende Notwendigkeit, und das ist auf dem europäischen Altar geopfert worden, und das ist sehr schade.

    Zurheide: Wie kommen Sie denn zu anderen Punkten? Zum Beispiel sagen viele in Europa: Wir haben jetzt, oder sind auf dem Weg zu einer Fiskalunion, und wir sind auf dem Weg zu einer neuen Stabilitätskultur. Können Sie das erkennen?

    Schäffler: Ja, langfristig vielleicht, wir müssen ja sehen, hier müssen Verträge geändert werden, es müssen Verfassungen geändert werden in den Mitgliedsstaaten, aber ganz entscheidend ist, dass die Marktwirtschaft weiter außer Kraft gesetzt wird, dass diejenigen, die Risiken eingegangen sind, auch Verantwortung übernehmen müssen für ihr Handeln, und das passiert nicht, sondern wir sozialisieren die Schulden in Europa, und das wird fortgesetzt jetzt stattfinden.

    Zurheide: Nun kann man ja vielleicht sagen, dass die Märkte nicht so auf die Gläubigerbeteiligung reagiert haben, wie die Politik das erwartet hat. Das Vertrauen ist eher noch mehr gesunken, und deshalb verzichtet man jetzt auf die Gläubigerbeteiligung. Sie halten das für eine falsche Reaktion – warum?

    Schäffler: Ja, absolut, denn die Märkte reagieren ja deshalb so, weil sie verschreckt sind. Und verschreckt sind sie deshalb, weil sie beteiligt werden. Deshalb reagieren sie so. Und ich glaube, das ist keine Lösung, sondern man wird um eine Gläubigerbeteiligung dauerhaft nicht herumkommen. Es kann nicht alles der Steuerzahler zahlen, ansonsten setzen die Märkte, sprich, die Banken, darauf, dass ihnen immer geholfen wird. Und das pervertiert eine Marktwirtschaft. Gläubigerbeteiligung ist notwendig, damit auch eine Lernkurve entsteht, damit die Gläubiger auch lernen aus ihren Entscheidungen, auch die Fehler korrigieren künftig. Und das geschieht eben dann nicht, sondern es wird dann fortgesetzt.

    Zurheide: Wie bewerten Sie, dass die europäische Zentralbank schon ungefähr 200 Milliarden in ihren Tresoren liegen hat an Staatsanleihen? Wird das nicht fortgesetzt, oder muss das nicht fortgesetzt werden? Denn angesichts der erhöhten Zinsen werden die Länder, über die wir reden, im Moment ja kaum in der Lage sein, sich vernünftig zu refinanzieren, oder?

    Schäffler: Na ja, diese Länder kommen um harte Reformen nicht herum. Das löst man auch nicht dadurch, dass man die Schulden über die EZB oder über Eurobonds oder was weiß ich auch sozialisiert. Und deshalb ist das, was die EZB macht, ein fortgesetzter Rechtsbruch in Europa und muss deshalb eingestellt werden. Und wenn es ein Junktim gibt in Europa, dass es Vertragsänderungen gibt, wie Frau Merkel das jetzt durchgesetzt hat, aber nur unter der Bedingung, dass die EZB weiter Anleihen kaufen darf, dann ist das ein Pyrrhussieg gewesen für Europa, denn diese Monetarisierung der Staatsschulden, die hat in der Geschichte des Geldes immer zu Hyperinflationen geführt, und das ist meine große Sorge, dass das, was wir weltweit machen, aber jetzt auch in Europa, am Ende zur Enteignung von Sparvermögen von uns allen führt.

    Zurheide: Jetzt haben Sie wenn, dann gesagt. Haben Sie Indizien dafür, dass das so sein könnte? Gibt es da Nebenabreden?

    Schäffler: Ich habe das zumindest den Medien so entnommen, dass das eine Zusage war, dass Frau Merkel indirekt zugesagt haben soll, dass eben die EZB weiter Staatsanleihen ankaufen darf. Das hielt ich für eine ganz fatale Wirkung, denn das ist der Grund, weshalb dann Anleihen, Zinsen gesenkt werden, gedrückt werden – das ist ja der Anlass oder das ist der Zweck dieser Maßnahmen –, und die einzige Schuldenbremse, die zurzeit funktioniert in Europa, ist, dass die Anleihezinsen steigen und dass das wiederum zu Reformen in diesen Ländern führt, dass sie zum ersten Mal anfangen, zu sparen. Alle anderen Schuldenbremsen haben ja bisher nicht funktioniert. Die Maastricht-Kriterien waren ja auch Schuldenbremsen, und das kennen wir ja, die haben nicht funktioniert. Das Einzige, was funktioniert, sind wie gesagt die steigenden Anleihezinsen in Italien, in Spanien und was weiß ich, wo.

    Zurheide: Fürchten Sie, dass die Eurobonds demnächst dann doch kommen werden? Der eine oder andere sagt: Na ja, die Kanzlerin ist dann auch deshalb so lange so still und verweigert sich diesen Eurobonds, weil der Mitgliederentscheid in ihrer Partei noch läuft.

    Schäffler: Na ja, die werden wahrscheinlich nicht Eurobonds heißen, sondern sie werden irgendwie anders heißen, aber dass man die steigenden Anleihezinsen in den Griff bekommen will, das ist aus meiner Sicht so sicher wie das Amen in der Kirche. Das kann man durch unterschiedliche Maßnahmen erreichen: Das kann man durch den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB erreichen, das kann man durch die Anleihen-Ankäufe der Rettungsschirme, also der Schuldenschirme erreichen, oder das kann man auch durch Eurobonds erreichen. Die Wirkung ist immer gleich: Man will die Anleihezinsen, also den Druck der Märkte auf die Haushalte will man minimieren, und das ist immer fatal.

    Zurheide: Wie hilfreich sind eigentlich Hinweise des nordrhein-westfälischen FDP-Landesvorsitzenden Daniel Bahr, der gesagt hat, bei einem Nein zum ESM innerhalb Ihrer Partei wäre das das Ende der Koalition? Erstens, ist der Befund richtig, und zweitens, ist es hilfreich in der gegenwärtigen Phase aus Ihrer Sicht?

    Schäffler: Nein, das zeigt nur die Nervosität von Herrn Bahr, was den Mitgliederentscheid betrifft. Wir sind auf gutem Weg, dass der Basisantrag, also der Antrag der 3517 Basismitglieder der FDP, dass der gewinnen wird, und deshalb äußert er sich so. Ich glaube nicht, dass die Koalition beendet wird. Da gibt es auch genügend Indizien. Die Kanzlerin hat sich ja vor einer Woche dazu geäußert, indem sie gesagt hat, wenn der Basisantrag gewinnt, will sie auch trotzdem die Koalition fortsetzen, und Herr Steinbrück hat keine Lust, als designierter Kanzlerkandidat in eine Große Koalition einzutreten – das hat er auf dem Parteitag der SPD gerade erklärt –, und deshalb gibt es keinen Grund, dass die FDP jetzt in dieser Phase besonders nervös werden muss.

    Zurheide: Jetzt gibt es den einen oder anderen, die sagen, das Quorum wird nicht einmal geschafft. Also haben Sie Indizien, dass die 21.500 Parteimitglieder überhaupt abstimmen werden?

    Schäffler: Ja, ich hoffe das. Es gibt jetzt aktuell keine Zahlen, aber ich hoffe, dass die FDP-Mitglieder bei so einer wichtigen, historischen Entscheidung auch Flagge zeigen und die Volksabstimmung, die in Deutschland ja bisher verwehrt wurde zu den europäischen Entscheidungen, immerhin in der FDP stattfindet und die FDP-Mitglieder diese Gelegenheit auch nutzen.

    Zurheide: Was würde es denn bedeuten, wenn das Quorum nicht geschafft würde? Dann würde die innerparteiliche Debatte nicht befriedet werden – oder wie sehen Sie das?

    Schäffler: Na, man muss immer dann sehen, wie das Ergebnis tatsächlich ist. Es ist zu befürchten, dass es sehr viele Stimmen gibt, die nicht gewertet werden können, weil die Mitglieder die Versicherungen nicht beigelegt haben, die belegen, dass sie FDP-Mitglied sind, und da muss man am Ende schauen, ob es daran gescheitert ist, das Quorum, und dann muss man fragen, wer ist dafür verantwortlich? Ich glaube, dass rund zehn Prozent der Mitglieder das falsch gemacht haben, und das liegt aber an den organisatorischen Mängeln dieses Mitgliederentscheides. Da wird am Ende dann zu reden sein, wer dafür verantwortlich ist.

    Zurheide: Ist das die Parteizentrale und damit der Generalsekretär?

    Schäffler: Ja, man muss sicherlich da auch kritisch nachfragen, denn der ganze Organisationsprozess ist von der Parteizentrale organisiert worden, und der ist ja sehr mangelhaft gewesen.

    Zurheide: Danke schön! Das war Frank Schäffler, der in der FDP den Mitgliederentscheid zum ESM angestoßen hat hier im Deutschlandfunk, das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.