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Glasnost und Perestroika

Er stand für Glasnost und Perestroika - Offenheit und Umbau: Und so wurde Michail Gorbatschows Staatsbesuch am 12. Juni 1989 in der Bundesrepublik von Sympathiebekundungen aus der Bevölkerung begleitet. Der Besuch stellte einen Schlussstrich unter die Nachkriegsperiode der deutsch-sowjetischen Beziehungen dar und war eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Wiedervereinigung.

Von Rolf Wiggershaus | 12.06.2009
    "Der 12. Juni 1989, an dem die weißblaue Iljuschin 62 mit dem Staatsoberhaupt der UdSSR und seiner Frau Raissa an Bord um 11:15 Uhr auf dem Köln-Bonner Flughafen landete, war ein herrlicher Tag. Gorbatschow wurde von 67 Delegationsmitgliedern begleitet. Mit 21 Schuss Salut wurde der Staatsgast empfangen."

    Fast poetisch beginnt das Kapitel über den Gorbatschow-Besuch in den "Erinnerungen" des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Nicht nur der offizielle Empfang war glanzvoll. Insgesamt begegneten die Verhandlungspartner einander mit großer Herzlichkeit. Auch die westdeutsche Bevölkerung begleitete den Besuch mit einer Welle der Sympathie - vom Auftritt Gorbatschows auf dem Bonner Marktplatz bis zu seiner Ansprache vor 7000 Hoesch-Arbeitern in Dortmund.

    "Wir beanspruchen nicht die Wahrheit in letzter Instanz. Unsere Politik ist eine Einladung an alle Regierungen und Völker, die Wege zu einer besseren Welt zu suchen."

    Die Erwartungen an diesen Besuch waren hoch. Zwei Wochen zuvor hatte der US-amerikanische Präsident George Bush nach dem Abschluss des NATO-Gipfels bei seinem Deutschland-Besuch die Deutschen als die wichtigsten Kooperationspartner der USA in Europa bezeichnet. Nun kam der sowjetische Partei- und Staatsführer, der ebenfalls Westdeutschland eine besondere Rolle zudachte. Er kam als sozialistischer Reformer, der Glasnost und Perestroika verkündete und die Vision eines "Gemeinsamen Europäischen Hauses" vertrat.

    Die Konstellation schien einmalig günstig. Durch den weiteren Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit der Bundesrepublik wollte Gorbatschow die sowjetischen Wirtschaftsreformen stützen und die UdSSR in die Weltwirtschaft integrieren. Kohl seinerseits sah in der Erschließung des riesigen sowjetischen Markts nicht nur eine verlockende wirtschaftliche Perspektive, sondern auch Chancen für weitere Erleichterungen im deutsch-deutschen Verhältnis. Auch Gorbatschows zielstrebige Abrüstungspolitik, die dem für die sowjetische Wirtschaft ruinösen Rüstungswettlauf ein Ende machen sollte, war ganz im Sinne der Bundesrepublik.

    Zu den Ergebnissen des Deutschland-Besuchs von Gorbatschow gehörte außer zahlreichen Abkommen vor allem die Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung. Als Bausteine eines Europas des Friedens und der Zusammenarbeit wurden darin unter anderem genannt:

    "das Recht, das eigene politische und soziale System frei zu wählen"

    …und

    "die uneingeschränkte Achtung der Grundsätze und Normen des Völkerrechts, insbesondere die Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker."

    Kohl und Genscher kamen wiederholt auf die deutsche Frage zu sprechen, stellten sie aber nicht in den Mittelpunkt. Gorbatschow und der sowjetische Außenminister Schewardnadse ihrerseits schienen darauf bedacht, dies Thema möglichst zu vertagen, solange sie in der Sowjetunion mit großen Widerständen reformfeindlicher Kräfte, mit der Unzufriedenheit der Bevölkerung wegen der wirtschaftlichen Situation und mit nationalen Abspaltungsbestrebungen zu rechnen hatten. Das erklärt Gorbatschows Antwort in der Pressekonferenz auf die Frage nach seiner Meinung zur Mauer:

    "Wir müssen noch viele, viele Probleme lösen, um das europäische Haus im Interesse aller Völker aufzubauen und dabei ihre Wahl, ihre Tradition, ihre Geschichte zu achten. Die Mauer ist entstanden in einer konkreten Situation. Die DDR hat sie beschlossen, indem sie ihre souveränen Rechte benutzt hat. Und die Mauer kann auch verschwinden, wenn jene Voraussetzungen wegfallen werden, die diese Wand ins Leben gerufen haben."

    Doch dann ging alles schneller als erwartet. Dass der Fall der Mauer und der Grenze zwischen den Blöcken und schließlich die deutsche Wiedervereinigung friedlich abliefen, war wesentlich der deutlichen Botschaft Gorbatschows zu verdanken, kein kommunistisches Regime könne mit militärischer sowjetischer Unterstützung rechnen und jedes Land müsse seinen Weg selbst finden.

    Kohl ging als Kanzler der Wiedervereinigung in die Geschichte ein. Gorbatschow hatte mit seinem Reformkurs, der den Sozialismus retten sollte, eine Dynamik in Gang gesetzt, die schon bald das Ende der Sowjetunion und auch das seiner politischen Karriere als Partei- und Staatsführer zur Folge hatte.