Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Glauben im Netz

Immer mehr Menschen kommunizieren über das Internet und tauschen in sozialen Netzwerken Ideen und Gedanken aus - auch über ihren Glauben. Dass man über das Internet auch jene erreicht, die nicht in den Gottesdienst gehen, diesen Vorteil haben nun auch Teile der katholischen Kirche entdeckt.

Von Thomas Migge | 05.12.2012
    "Das hilft doch ungemein, sich mit den Leuten so in Verbindung zu setzen. Vor allem mit jungen Leuten. Ich sehe das doch in meiner direkten Umgebung: Wenn ich junge Leute persönlich anspreche, reagieren sie nicht immer, aber im Netz, da reagieren sie sofort."

    Schwester Anna Maria ist in Rom in der Jugendarbeit tätig: Sie hat es mit Schulabbrechern zu tun, mit Gymnasiasten, die Probleme zuhause haben und mit Jugendlichen aus sozial schwachen Verhältnissen. Seit sich die Franziskanerin einen Computer zugelegt hat und damit auch umgehen kann, steht sie viel intensiver als zuvor mit ihren jungen Ansprechpartnern in Kontakt. Die Ordensfrau war davon so überrascht, dass sie für ihre Mitschwestern sogleich einen Computerkurs organisierte. Denn: Unter italienischen Ordensleuten ist es alles andere als die Regel im World Wide Web präsent zu sein.

    Antonio Spadaro freut sich, dass man innerhalb der katholischen Kirche Italiens endlich zu verstehen beginnt, wie wichtig die Präsenz im Internet ist. Spadaro ist Internetfachmann, ein kirchlicher Experte für alles, was mit dem Netz zu tun hat. Als Chefredakteur leitet der Jesuit die wohl angesehenste katholische Zeitschrift Italiens: "Civiltà Cattolica". Sie wurde 1850 vom Jesuitenorden gegründet.

    Seit Jahren, seit Spadaro die Monatszeitschrift leitet, ist sie zu einem der intellektuell interessantesten und offensten katholischen Medienorgane des Landes geworden. Angesprochen werden auch Themen, die dem Vatikan und den Mitgliedern der Bischofskonferenz Kopfschmerzen bereiten: der Umgang mit Homosexuellen zum Beispiel oder mit wiederverheiratet Geschiedenen.

    Spadaro ist es nur recht, anzuecken. Er sucht ganz gezielt die Konfrontation – auch als Mediendozent an der päpstlichen Hochschule Gregoriana und als Berater des Päpstlichen Rates für Kultur, des vatikanischen Kulturministeriums und des Rates für Kommunikation.
    Erst kürzlich ist von Spadaro ein Buch erschienen mit dem Titel "Cyberteologia", zu Deutsch: Cybertheologie:

    "Cybertheologie umschreibt den Versuch, den Glauben in der Zeit des Netzes neu zu denken. Das Netz ist eine kollektive Realität für immer mehr Menschen, und warum sollte die Kirche sich da vornehm heraushalten? Wie sie es zu lange getan hat. Vor allem in Italien. In meinem Buch versuche ich der Frage nachzugehen, ob das Netz den Glauben verändert und beeinflusst."

    Spadaros Antwort auf diese Frage ist ein eindeutiges Ja. Er verweist auf die starke Netzpräsenz vor allem evangelikaler Kirchen in den USA. Im Vergleich dazu sei die katholische Kirche der Vereinigten Staaten nur wenig präsent. Spadaro wundert das nicht:

    "Bei uns ist immer noch folgender Dualismus verbreitet: Der Realität der virtuellen Welt wird radikal die reale Welt gegenüber gestellt. Diese Konfrontation will ich überwinden helfen. Das Netz und seine Möglichkeiten sind kein Feind für die Kirche, sondern ein ausgezeichnetes Hilfsmittel."

    Gut mit dem Netz leben: Dafür macht sich Cybertheologe Spadaro stark. Sein Ziel ist eine interkommunikative Kirche, in der Gläubige und andere Interessierte jederzeit Zugriff auf möglichst viele Informationen aus dem Vatikan, aus den Diözesen und Gemeinden haben. Informationen über Entscheidungen, über neue Dokumente, über Aktivitäten aller Art und über kulturelle Themen. So ist die schrittweise Online-Publikation der wichtigsten Dokumente der Vatikanbibliothek und auch des Geheimarchivs für ihn ein enormer Schritt in Richtung einer transparenteren Kirche.

    Natürlich weiß Spadaro um den Widerstand bestimmter Kreise im Kirchenstaat gegen seine Ideen – etwa, wenn es um soziale Plattformen wie Facebook geht:

    "Facebook wird in der Kirche heftig kritisiert, weil es, so meint man, das Individuum von der realen Realität entfremde. Doch wir müssen begreifen, dass Social Networks extrem wichtig sind für die Kirche: als Mittel der Kommunikation und um auch jene Menschen zu erreichen, die auf dem Weg der Entfremdung von der wahren Realität sind. In diesem Sinn ist alles, was mit Internet zu tun hat, eine immens große Chance für uns."

    Sparado hat im Vatikan einen wichtigen Fürsprecher. Seit Gianfranco Ravasi, auch er ein Jesuit, vatikanischer Kulturminister ist, ändert der Kirchenstaat langsam aber sicher seine Einstellung gegenüber dem Netz. Ravasi wird nicht müde, den eher schwerfälligen Verwaltungsapparat seiner Kirche vom Nutzen des Netzes zu überzeugen.

    Ob er und Antonio Spadaro damit auf lange Sicht Erfolg haben werden? Spadaro gibt sich keinen Illusionen hin: Falls nicht, könne die Kirche im Medienzeitalter nicht überleben.