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Gleichberechtigung in der Schweiz
Streiken für mehr Geld und Anerkennung

Im Schnitt verdienen Frauen in der Schweiz 20 Prozent weniger als Männer - bei gleicher Arbeit. 28 Jahre nach dem ersten landesweiten Frauenstreiktag gehen deshalb Schweizerinnen wieder auf die Straße, um für Lohngleichheit und die Wertschätzung ihrer Arbeit zu demonstrieren.

Von Kirstin Hausen | 14.06.2019
Frauen haben sich eingehakt und marschieren gemeinsam. am 14. Mai 2019 in Lausanne.
Bereits im Mai haben viele Schweizerinnen für Lohngleichheit gestreikt. (AFP / Fabrice Cofferini.)
"Ich streike, weil Frauen weltweit von Unterdrückung und Ausbeutung betroffen sind", erklärt diese junge Schweizerin, aber es geht ihr – wie den meisten Teilnehmerinnen im landesweiten Streik heute - nicht nur um internationale Solidarität, sondern vor allem um die Probleme im eigenen Land. "Frauen verdienen massiv weniger."
"Haus und Pflegearbeit ist gesellschaftlich kaum anerkannt und wird vor allem von Frauen geleistet", ergänzt eine dreifache Mutter, die sich auch noch um ihren nach einem Schlaganfall schwerstbehinderten Schwiegervater kümmert. Einer bezahlten Arbeit nachzugehen, ist für sie undenkbar, dafür hat sie gar keine Zeit. Das Geld bringt ihr Mann nach Hause, wie in vielen Familien mit kleinen Kindern. Die staatliche Unterstützung für die Kinderbetreuung ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich, die Schweiz hat kein einheitliches Sozialsystem.
Gerechte Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau
Kantone wie Uri oder Appenzell sind wirtschaftlich stark von der Landwirtschaft geprägt. Die Höfe gehören oft den Männern, obwohl die Frauen zu einhundert Prozent im Betrieb mitarbeiten. Das Risiko bei einer Scheidung in die Armut abzurutschen, ist daher für Bäuerinnen besonders hoch, kritisiert Cornelia Furrer vom Frauennetzwerk Ostschweiz. "Dann geht die Frau und hat nichts. Einfach nichts für die ganzen Jahre. Es gibt jetzt zwar Rechtsgrundlagen, wo sie ein bisschen besser gestellt ist als vor Jahren, die Sozialversicherung, das ist jetzt anders geregelt, also ein Anteil von seinen Einzahlungen gehört ihr, das ist jetzt so, aber was das Geld im Hof betrifft nein, eigentlich geht sie mit nichts."
80 Prozent der Schweizerinnen sind erwerbstätig – das ist im europäischen Vergleich viel. Doch knapp 60 Prozent der Frauen, die einer Lohnarbeit nachgehen, arbeiten Teilzeit, um sich neben dem Beruf auch um Familie, Haushalt, pflegebedürftige Angehörige kümmern zu können. Das muss sich ändern, verlangt das landesweite Streikkomitte auf seiner Internetseite. Fifty-fifty – für eine gerechte Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau – lautet eine der Forderungen, die sich die Schweizerinnen heute bei den landesweiten Demonstrationen auf die Fahne schreiben. Der 14. Juni ist ein symbolträchtiger Tag, vor genau 28 Jahren, am 14. Juni 1991, gab es schon einmal einen landesweiten Frauenstreiktag in der Schweiz – mit hunderttausenden Teilnehmerinnen.
Nur ein Tag Vaterschaftsurlaub
Seit 1995 gibt es in der Schweiz ein Bundesgesetz zur Gleichstellung von Mann und Frau. Im italienischsprachigen Tessin komme das besonders oft zur Anwendung, vor allem im Arbeitsrecht, erklärt der Rechtsanwalt Marco Armati aus Lugano: "Das bedeutet, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen aufgrund ihres Geschlechts weder direkt noch indirekt benachteiligt werden, namentlich nicht unter Berufung auf den Zivilstand, auf die familiäre Situation oder bei Arbeitnehmerinnen auf eine Schwangerschaft."
Damit steht die Lohngleichheit zwar im Gesetz. Aber im Alltag sieht das noch immer anders aus. Frauen verdienen in der Schweiz im Schnitt 20 Prozent weniger als Männer – bei gleicher Arbeit. Im Dezember vergangenen Jahres einigten sich Bundes- und Ständerat, die beiden Kammern des Parlaments, nach hitzigen Debatten schließlich darauf, Unternehmen mit mindestens 100 Arbeitnehmenden zu Lohnanalysen durch unabhängige Stellen zu verpflichten und über die Ergebnisse zu informieren. Zahlt ein Unternehmen nachweislich gleiche Löhne, wird es von weiteren Analysen befreit. Mehr als 100 Angestellte haben jedoch nur ein Prozent aller schweizerischen Unternehmen. 99 Prozent der Betriebe bleiben also weiterhin von Lohnanalysen befreit. Als Armutszeugnis bezeichnen die Frauenverbände deshalb diesen Beschluss. Und auch die Entscheidung der Parlamentarier, den gesetzlichen Anspruch auf Vaterschaftsurlaub nicht zu erhöhen, sondern bei genau einem Tag zu belassen, macht viele wütend. Deshalb protestieren die Schweizerinnen heute, auf der Straße, beim landesweiten Frauenstreik.