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Gleichgültigkeit

Der Lyriker René Hamann spielt in seinem Debut-Roman mit der Form der seichten Fernsehunterhaltung. Hamanns Protagonisten führen ein nicht minder angepasstes und sinnentleertes Leben als das retouchierte Soap-Personal im Fernsehen. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass der Autor sie in ein anderes, urbanes Milieu versetzt hat.

Eine Kritik von Olaf Karnik | 23.11.2007
    Einer ist immer zuviel, einer startet den Konflikt, einer zündet die Geschichte an. Alles bewegt sich, die Zentrifuge rotiert, die Bilder werden neu gemischt. Am Ende fügt sich der Überflüssige ein, dann ist ein anderer überflüssig und verschwindet, um an anderer Stelle mit einer neuen Geschichte zu beginnen.

    So oder so ähnlich lässt sich das dramaturgische Prinzip von Seifenopern und Telenovelas beschreiben. Der Lyriker René Hamann hat es für sein Roman-Debüt "Schaum für immer" genutzt. Er spielt mit dieser Form der seichten Fernsehunterhaltung, treibt sie an ihre Grenzen und transzendiert sie. Als Subversion der Seifenoper durch ihre Literarisierung kann man das ästhetische Programm von "Schaum für immer" verstehen. Ein gutes Programm, sofern man nicht erwartet, von einer ausgetüftelten Handlung oder subtilen Charakterzeichnungen in den Bann gezogen zu werden. Ralf, der Hobby-DJ, Valerie, die Bürokauffrau, Stina, die angehende Schauspielerin, Schuhmann, der Elektriker, Nadja, die arbeitslose Ex-Künstlerin oder Lukas, freier Journalist für Horoskope und weiblichen Tennissport - sie alle sind um die 30, auf der Suche nach dem großen Glück in der Liebe und im Prinzip austauschbar. Hamanns Figuren sind nichts anderes als Konsumenten dessen, was ist. Und darunter leiden sie dumpf.

    Ralf und Valerie gehen schwimmen. Statt einer langen Fahrt an einen See in die Nachbarschaft. Ein dicker Park, ein schrulliger Imbiss, GETRÄNKE EIS SPIELWAREN, ein melancholisches Schwimmbad unter schwarzen Kastanien, in dem sie ihre Körper spazieren führen, ihre Blicke auf das türkis schimmernde Wasser heften, auf die Inschriften auf den Knöcheln, den Weisungen der Pfeifenheinis, der Wasserträger, der DLRG. Die Tagesabläufe, die diversen Schienen, auf denen sie durchs Leben rollen, die Sprechblasen, die sie von sich geben, das Gezwitscher der Vögel in den Bäumen, das sich nur unwesentlich von dem der Menschen auf der Erde unterscheidet. Ein Seitenblick auf eine Armbanduhr, die zusammengerollten Zeitungen, die geflochtenen Tragetaschen mit den Plastikflaschen und Vesperdosen, kleine Kopfhörer und digitale Abspielgeräte, alles federleicht. Verwitterte Gestalten, die sich über Satelliten finden, einige Torsionen. Die relative Einsamkeit, weil der Himmel verhangen ist, die Luft kühler, der Sommer in den Herbst tropft. Ein sich leerendes Schwimmband. Eine Stadt am Abend.

    Hamanns Protagonisten führen ein nicht minder angepasstes und sinnentleertes Leben als das retouchierte Soap-Personal im Fernsehen. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass der Autor sie in ein anderes, urbanes Milieu versetzt hat. Aber auch hier gilt es, so "künstlich wie möglich zu sein, gerade in den eigenen Handlungen" und einen stetigen "Abgleich zum Geschehen auf den Bildschirmen und Leinwänden" vorzunehmen. Jenseits davon gibt es keine eigene Identität, und zur Selbstreflexion fehlt die Sprache. "Sie stellt sich den Wörtern, doch bedeutungslos ziehen sie vorbei" - viele solcher treffenden Formulierungen finden sich in Hamanns Roman. Ebenso banal wie die Schicksale seiner Figuren sind auch die Handlungen, in die sie sich verstricken: Es geht hin und her, vor und zurück. Offensichtlich ist es dem Autor nicht an interessanten Geschichten gelegen, sondern an einer zu narrativen Passagen erweiterten Lyrik. "Immer geht es um Strom, um Ströme. Um Farben. Parallelen. Lötstellen. Stimmungsverschiebungen. Kontaktschwächen. Gleichzeitigkeiten", heißt es an einer Stelle, als gäbe hier der Autor selbst die Gebrauchsanweisung für sein Buch.

    Dias auf Videos. Während Franz über eine Wade nachdenkt und einen Text spricht, den jemand anders geschrieben hat, beugt sich Stina nach vorne und betrachtet etwas, das fehlt: Eine Regelmäßigkeit, die ausbleibt. Während Franz mit den Augen rollt und in einen weiten Raum schreit, dem seine Person egal ist, schluckt Ralf den Rauch einer Zigarette hinunter, dreht sich auf dem Hocker um und blickt in Richtung des Bildschirms, der einen liegenden Korpus zeigt, einen roten Fleck auf schwarzem Untergrund, während Stina in eine kleine Spiegelfläche schaut, die ruckelt und vibriert, weil sie zur Zugtoilette gehört, weil sie auf dem Weg ist duch Mecklenburg, während Lindas Zunge in Schumanns Mund langsam und bedächtig zu rotieren beginnt wie der Deckenventilator in der Bar, in der sie sich getroffen haben, wie die Windmaschine am Bühnenrand (Nebenbühne), wie der Rotor der Sportmaschine, die jetzt über der Mansarde einen Bogen zieht und nicht gesehen wird, weder von Lukas, noch von Valerie.

    Hamanns Parallel-Montagen, seine Fokussierung auf Atmosphären und eine Sprache der Dinge erinnert oftmals an die Filme von Michelangelo Antonioni. Die Gleichgültigkeit der Figuren korrespondiert da mit der entdramatisierten Inszenierung einer Gleich-Gültigkeit alles Seienden. Auf diese Weise werden die Schnittstellen zwischen Fiktion und Wirklichkeit sichtbar - und in "Schaum für immer" liegen sie offen wie Wunden. Aber Hamann ist nicht nur Phänomenologe, subtil streut er hier und da kurze Bemerkungen ein, die aus dem Rahmen fallen und die eigene Autorenposition gegenüber seinen Figuren und Szenarien markieren. Es sind Sätze wie "niemand bittet für Bomben, die vom Himmel fallen mögen", "der Angriff auf die Werte der Mittelschicht ist misslungen" und "jede Kritik ist ein Geschenk". In gut platzierten Sätzen, die den öden Soap-Kontext sprengen und in den vielen, poetischen Aphorismen liegt denn auch der Gehalt von "Schaum für immer". Als Erzählung ist Hamanns riskante Roman-Unternehmung jedenfalls eine Quälerei für den Leser.

    René Hamann: Schaum für immer. Roman. 157 Seiten, gebundene Ausgabe. Tisch 7, Köln 2007. Preis: Euro 18,50.