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Gletscher in der Badewanne

Umwelt. - Grönland verliert jedes Jahr zwischen 100 und 150 Kubikkilometer Eis. Grönlandforscher versuchen zurzeit händeringend zu verstehen, was diesen enormen Eisverlust verursacht. Eine neue Studie erhellt jetzt, warum einige der großen Eisströme sich beschleunigt haben, die wie auf einem Fließband Eis aus dem Inneren des Landes zum Ozean bringen.

Von Monika Seynsche | 29.09.2008
    In der Mitte Grönlands ist der Eispanzer bis zu drei Kilometer dick. Von seinem eigenen Gewicht wird dieses Eis in die Breite gedrückt und schiebt sich gen Küste. An einigen Stellen langsam, an anderen Stellen schnell. Am schnellsten bewegen sich die Eismassen im Jakobshavn Eisstrom an der Westküste Grönlands, erzählt der Klimatologe Konrad Steffen von der Universität von Colorado in Boulder.

    "Der Jakobshavn Isbrae war schon damals der schnellste Eisstrom: sieben Kilometer 1989 und dann 1996 und die folgenden Jahre hat er sich plötzlich verdoppelt die Geschwindigkeit auf 14 Kilometer und wenn man diese ganze Eismasse nimmt, die dort in den Ozean hinein fließt, abbricht als Eisberge, das sind etwa 50 Kubikkilometer im Jahr."

    Der plötzliche Geschwindigkeitsanstieg des Stroms gab den Eisforschern Rätsel auf. Und nicht nur ihnen. Auch der Meeresforscher David Holland wurde neugierig.

    "Ich hatte vor einigen Jahren von diesem Phänomen gehört. Die Zunge des Jakobshavn schwamm ursprünglich auf einem Fjord. Dann wurde sie plötzlich sehr dünn und brach ab, so dass das Eis dahinter an Fahrt aufnehmen konnte. Wissenschaftlich war das sehr bemerkenswert."

    Diese Zunge, so vermutet David Holland, hatte wie ein Flaschenkorken gewirkt. Kaum war sie weg, konnte das Eis ungehindert in den Ozean strömen. Nur, warum verschwand sie? Bei der Suche nach einer Antwort half dem Forscher durch puren Zufall die dänisch-grönländische Garnelenindustrie.

    "Die Leute fischen überall vor der Westküste Grönlands. Und um das Verhalten der Tiere besser zu verstehen, befestigen sie seit Jahren kleine Thermometer an all ihren Schleppnetzen. So haben sie Tausende von Temperaturdaten gesammelt und archiviert. Das ist ein unglaublich kostbares Archiv. Kein Wissenschaftler der Welt könnte es sich leisten, all diese Daten zu erheben und hier liegen sie einfach fein geordnet herum."

    Aus diesen Daten konnten David Holland und seine Kollegen ablesen, dass Mitte der neunziger Jahre plötzlich warmes Atlantikwasser an die Westküste Grönlands gelangte und in den Jakobshavn Fjord hineinschwappte.

    "Der Jakobshavn Fjord ist sehr tief, um die 800 Meter. Zum Ozean hin wird er von einer Untiefe begrenzt, an der das Wasser nur 350 Meter tief ist. Er ähnelt also einer riesigen Badewanne. Als das warme Atlantikwasser kam, strömte es in den Fjord und füllte ihn auf. Und jetzt sitzt der Gletscher da in seinem heißen Badewasser und schmilzt vor sich hin."

    Heiß bedeutet hier zwar nur plus 1,8 Grad Celsius, aber das sind schon ein bis zwei Grad mehr als normal und die reichen bei weitem aus, das Eis von unten anzunagen. Die Ozeanströmungen unterliegen natürlichen Schwankungen und sie werden immer stärker vom Menschen und seinen Eingriffen in das Klimasystem beeinflusst. Bislang hatten die Eisforscher sie weitgehend ignoriert und sich auf Satellitendaten und die Lufttemperaturen konzentriert, um das Verhalten der Eispanzer zu verstehen. Das muss sich nach Ansicht von Bob Bindschadler vom Nasa Goddard Space Flight Centre nun, mit den neuen Ergebnissen, ändern.

    "Da bewegt sich eine ganze Menge Wärme unter der Oberfläche der Polarmeere. Und diese Hitze könnte bedeutend sein für das Schicksal sowohl Grönlands als auch der Antarktis. Wir haben bislang kaum Daten über die Ozeantemperaturen an den Polen. Aber David Hollands Ergebnisse zeigen, dass sie eine sehr große Rolle spielen können. Wir müssen diese Wärmeflüsse also viel genauer untersuchen."

    Die Zunge des Jakobshavn schmilzt im warmen Wasser weg und immer mehr Eis rutscht von hinten nach. Wenn ähnliche Prozesse auf der Südhalbkugel am Werk sind, wenn also wärmere Strömungen zum Eis der Antarktis gelangen könnten sie dort noch wesentlich dramatischere Auswirkungen haben, befürchtet der Eisforscher Bob Bindschadler. Denn große Teile der Westantarktis enden direkt im Wasser. Erwärmt sich das, könnten gewaltige Mengen Eis schmelzen.