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Glosse
Die ballverarbeitende Industrie

Wer den Fußball-Kommentatoren bei der EM genau zuhört, stößt immer wieder auf eine bestimmte Formulierung - "den Ball verarbeiten". Seit wann gibt es die eigentlich? Das fragt sich Florian Werner verwundert. Und, noch viel wichtiger: Wozu wird der Ball verarbeitet? Büchsenfleisch? Buletten für den Hauptsponsor McDonalds? Oder gibt es am Ende gar eine ballverarbeitende Industrie?

Von Florian Werner | 26.06.2016
    Gareth McAuley bei seinem Eigentor.
    Der Ball spielt die wichtigste Rolle (dpa / Georgi Licovski)
    Das Neuhochdeutsche verdankt seine heutige Form bekanntlich vor allem dem Einfluss von drei wortmächtigen Spracherneuerern und -schöpfern: dem Bibelübersetzer Martin Luther, der Donald-Duck-Übersetzerin Erika Fuchs sowie nicht zuletzt dem Sportjournalisten und Fußball-Übersetzer Heribert Faßbender, dem wir so große Aphorismen verdanken wie: "Es steht im Augenblick 1:1, aber es hätte auch umgekehrt lauten können."
    Nun ist Faßbender längst in der dritten Karrierehalbzeit. Aber seine Jünger und Kollegen setzen sein sprachschöpferisches Werk - jubel, kreisch, freu! - im Sinne des Meisters getreulich fort. So haben die Sportberichterstatter der deutschen Sprache jüngst eine schillernde Wendung geschenkt, die besonders bei der aktuellen EM, gerne auch mehrmals pro Spiel, zu hören ist: "den Ball verarbeiten". Boateng mit weitem Pass auf Hector - aber Hector kann den Ball nicht verarbeiten. Özil allein vor dem Tor - kann aber den Ball nicht verarbeiten. Thomas Müller leidet offenbar an einer akuten Ballverarbeitungsphobie, und Mario Gomez wäre bei manchen Spielen froh, wenn er überhaupt einen Ball zum Verarbeiten bekäme. Zusammenfassend kann man sagen: Die französische Stadionluft hängt dermaßen voll von unverarbeiteten Leder-Kautschuk-Blasen, dass man mit diesen ungenutzten Rohstoffen eine ganze ballverarbeitende Industrie beliefern könnte.
    Jerome Boateng feiert während des Spiels gegen die Slowakei sein Tor.
    Jerome Boateng traf gegen die Slowakei in der 8. Minute zum 1:0. (picture alliance / dpa / Shawn Thew)
    Oder ist das womöglich längst der Fall? Ist nicht einer der Hauptsponsoren dieser Europameisterschaft ein großer amerikanischer Burgerbrater, dessen Billigbouletten verdächtig nach trockenem, ausgelatschtem Rindsleder schmecken? Hat nicht die dunkelbraune Brause, die ein anderer "offizieller Partner" der EM braut und ausschenkt, unverkennbar die Farbe von ausgekochtem Gummi? Und ist nicht ein dritter Sponsor sogar ein internationaler Reifenhersteller; werden die ungenutzten Bälle also womöglich umgehend zu Pneus verarbeitet? Ja, profitieren die Spieler womöglich sogar davon, wenn sie …
    Ach: Die Bälle bleiben, auch wenn sie nicht verarbeitet wurden, trotzdem weiterhin im Spiel - man kann also gar keine Burger, Cola, Vollgummireifen aus ihnen machen? Ja, wozu soll man sie denn sonst verarbeiten? Zu Toren? M-hm. Okay. Na gut. Das war uns neu. Das müssen wir erst einmal verarbeiten.