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Glosse
Digitales Logbuch: Hunde-Handy (Teil 5)

Seit Pinschers Tod und der bizarren Fantasiefahrt mit dem alten Audi unten an der Birke traue ich der Technik nicht mehr. Um mich über den Verlust von Pinscher hinwegzutrösten, hatte mir Tante Annie vom Phone-Shop diese Smart-Brille geschenkt.

Von Maximilian Schönherr | 13.09.2014
    Hunde-Handy 5
    Irritationen mit der Smart-Brille (Hans-Jörg Brehm / epict)
    Die Brille führte mich mit ihrer verdammten Virtuellen Realität an einem hellen Sommertag mit quietschenden Reifen durch ein dunkles Gewitter, mit Pinscher, dem Hund, am Steuer. Dabei saß ich gar nicht in einem Auto, sondern die ganze Zeit in meiner Küche und rollte die Hundedecke zusammen, auf der Pinscher immer neben meinem Bett geschlafen hatte!
    Ich legte die Decke ins Regal, wo ich sie nicht immer ansehen musste. Aber am nächsten Morgen lag die Decke wieder neben dem Bett. Wo also bitte ist die Wirklichkeit zu Hause? Ich griff an die Nase, um die Datenbrille abzunehmen, aber die Datenbrille lag auf dem Nachttisch. War ich schizo?
    Ein paar Tage später überwies mich mein Hausarzt zum Psychologen. Als ich mich in dessen Sessel niederließ und er die erste Frage stellte, nämlich, ob ich mich mit der Brille wohlfühlte, merkte ich, dass er gar nicht sprach, sondern bellte. Ich schreckte zusammen: Da saß mir Pinscher gegenüber und drängte darauf, dass ich mich beruhigte, ins Zwerchfell atmete, die Augen schloss und von meiner Mutter sprach - was ich nach einigem Zögern auch tat.
    Tiefenentspannt verließ ich die Praxis. Draußen wehte ein sanfter warmer Wind. Die Frau mit dem grünen Mantel kam vorbei, ihre beiden Labradorinnen Wendy und Tara an der langen Leine. Wir begrüßten uns und nahmen im Park einen gemeinsamen Afternoon-Tea. Ich wollte diesen makellos wunderbaren Nachmittag für immer aufbewahren und speicherte ihn in der Brille ab.
    "Hat Sie der Tod von Pinscher sehr mitgenommen?" fragte die Frau in dem grünen Mantel. Ich wusste im Augenblick gar nicht, was sie damit meinte, ließ mir die Verwunderung aber nicht anmerken,. Denn Pinscher lag, faul wie immer, unter dem runden Tischchen, auf dem wir Tee tranken, und kaute genüsslich an seinem alten Nokia-Knochen herum.