Samstag, 20. April 2024

Archiv

Glosse
Warum die AfD den Medien gerade wumpe ist

Vor der Wahl ist eben doch nicht nach der Wahl: Während die Medien bis zum 25. September eifrig über die AfD berichteten, wurde es nach dem Stichtag erstaunlich ruhig um die Partei. Da ist die AfD im Bundestag, und den Medien ist´s wumpe. Die AfD ist sozusagen auf kaltem Entzug.

Von Arno Orzessek | 29.11.2017
    Die AfD tagt erstmals im Bundestag nach der Bundestagswahl 2017. Die AfD Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland geben der Presse ein Interview.
    Die AfD ist im Bundestag, und die Medien gucken kaum hin (Deutschlandradio / Tom Schimmeck)
    Für eine mitmenschliche Geste sind Sie bestimmt zu haben, oder - liebe Hörer? Fein! Dann streicheln wir jetzt mal gemeinsam der AfD über den Kopf - dem Gauland, der Weidel, dem Höcke, der von Storch. Und warum so lieb? Weil die AfD in diesen Tage auf einem kaltem Entzug ist, wie ihn echte Menschenfreunde keinem Fixer wünschen.
    Denn unsere Medien, monatelang die aufdringlichsten Dealer, verweigern der AfD plötzlich den Stoff, ohne den nichts geht - die Aufmerksamkeit. Dabei lief es doch rund um die Bundestagswahl so: Die AfD äußerte dies und das und sei es blanker Unfug, die Medien fanden es so was von relevant und ganz Deutschland quasselte darüber...Was die AfD wiederum gründlich berauschte. Manche phantasierten auf ihrem Trip von der absoluten Mehrheit 2021.
    Jetzt aber müssen sie erfahren: Das Dasein als Populist tendiert schmerzhaft ins Graue, wenn die Aufmerksamkeit futsch ist – man sieht es an Alice Weidel. Da hält sie ihre erste Rede im Bundestag: Hetzt gegen Draghi und die Europäische Zentralbank! Legt sich mit allen Alt-Parteien an! Bezichtigt die Regierung vielfachen Rechtsbruchs! Will, dass alles anders wird!
    Ende neurotischer Talkshow-Dauerschleifen
    Kurz: Die apostrophierte Apokalypse der Demokratie, sie nimmt Gestalt an: Schick, blond und fotogen, dämonisch mädchenhaft und kontrolliert hysterisch. Es ist der größte Triumph im politischen Leben Weidels, dieser teutonischen Jeanne d'Arc. Ein wahres Geschenk für die Medien, na klar, ein absolutes Muss sowieso. Oder? Denkste! Da kommt nichts. Kein ARD-Brennpunkt, keine namhafte Schlagzeile, keine neurotischen Talk-Show-Dauerschleifen. Umso verständlicher, dass Weidel angesäuert twittert: "Meine 1. Rede im #Bundestag verbreitet sich rasend im Netz. Aber eben nur dort."
    Haben Sie das gehört? "nur dort", "im Netz". Knapper hat die AfD ihre Vorliebe für Mainstream-Medien und Lügenpresse noch nie ausgedrückt...
    Zumal deren Ignoranz, wie Weidel völlig korrekt bemerkt, "die gesamte #AfD-Fraktionsarbeit der letzten beiden Sitzungstage [betrifft], über die kaum von den sog. Leitmedien berichtet wird." Wer jetzt 'Ätschbätsch, du mitleidige Heulsuse! ruft, der verkennt, dass der AfD-Fraktion fiese Probleme ins Haus stehen. Sie bietet auf ihrer Internet-Seite gerade jede Menge Jobs an – aber wer will schon, zum Beispiel, Pressereferent oder Textredakteur einer Partei werden, die nicht mehr in der Zeitung steht? Tja - und wer hat das AfD-Desaster im Hintergrund so geschickt eingefädelt? Natürlich die Selbstvermarktungs-Plattform Christian Lindner alias FDP. Schifft sich für die Passage nach Jamaika ein, um beim Ausruf "Land in Sicht" den ganzen Dampfer zu versenken. GroKo, Neuwahl, Minderheitsregierung: Jetzt muss Steinmeier ein Rettungsboot klar kriegen.
    Björn Höcke als Methadon-Programm
    Das ist eine ziemlich grelle Nummer für diese Republik, keine Frage. Und schwuppdiwupp ist die AfD, auf deren Wähler Ego-Lindner erkennbar rattenscharf ist, den Medien wumpe. Okay, für Björn Höcke haben sie sich schon noch interessiert, und zwar, als ihm das Zentrum für Politische Schönheit diese Bonsai-Replik vom Holcaust-Mahnmal aufs Nachbargrundstück gesetzt hat. Aber das war nicht mehr als ein Methadon-Programm für die Aufmerksamkeits-Junkies der AfD.
    Und nun, am Wochenende, der Parteitag. Im Vorfeld war die AfD mal wieder knauserig mit den Journalisten-Akkreditierungen. Aber wird sie das durchhalten wollen? Wohl kaum! Denn die AfD kapiert gerade: Es ist auch für sie besser, wenn die vierte Gewalt waltet. Es muss ja nicht gleich der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.