Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Glück im stillen Winkel

Vor zehn Jahren erschien Sibylle Bergs erstes Buch mit dem Titel: "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot." Dem Thema ist die Autorin treu geblieben. In ihrem neuen Roman - "Die Fahrt" - suchen die Protagonisten ihr Glück in der weiten Welt, von Brasilien über Sri Lanka, Shanghai bis Island. Dabei ist "Die Fahrt" alles andere als ein Reisebuch, nicht zufällig wirbt es mit dem Slogan: "Die umweltfreundlichste Art zu reisen: "Die Fahrt" kaufen. Und zu Hause bleiben."

Von Eva Pfister | 23.01.2008
    Sibylle Berg wird geliebt für ihre gekonnten Hasstiraden. In ihren Büchern, Theaterstücken und Kolumnen spießt sie Glanz und Elend ihrer Generation auf, jener ruhelosen 30-50-jährigen Großstadtmenschen, die ihrem Glück hinterherhetzen, und das meist vergeblich. So auch im neuen Roman "Die Fahrt". Helena zum Beispiel lebt am Amazonas kurze Zeit mit einem Goldgräber zusammen, strandet später in Bombay, wo sie von Peter aufgelesen wird, der durch den Tsunami sein Hotel in Sri Lanka verloren hat. Zusammen trampen sie nach Westen, eine verzögerte Heimkehr, denn eigentlich wissen sie nicht, was sie zuhause - in Berlin - sollen. Genauso wenig wie Pia, die in Myanmar von Rebellen entführt wird und sich nach diesem Schrecken lieber am Genfersee herumtreibt. Manche haben ein Ziel, Ruth etwa zieht nach Tel Aviv zu Jakob, dem Mann des Lebens, aber der hat sich gerade verflüchtigt und ist in einem Kibbuz untergeschlüpft, wo er aufatmend seinen freien Willen abgibt.

    Es ist eine entwurzelte Gesellschaft in steter Bewegung, die Sibylle Berg beschreibt. Erbarmungslos führt sie die Globetrotter vor, die ohne Sensibilität am Leben der anderen schmarotzen, die, wie es heißt: Länder, Elend und "fremder Leuts Leben" shoppen wie Prada-Teile. Schnell reisen sie wieder ab, wenn es ihnen auch in den angesagten Metropolen oder auf paradiesischen Südseeinseln langweilig wird. Aber so böse will es die Autorin nicht gemeint haben:
    "Diese fünf Hauptfiguren, die gemischt sind, also ein paar sind sehr blöd, die stehen dann wirklich für all die Eigenschaften, die ich an Reisenden verachte, also dieses Leben-Geshoppe, und dann sind es ja wirklich so arme Suchende, und das ist ja keine Haltung, über die ich mich erhebe, sondern ich beobachte das, wie schwierig es ist, in seinem Leben zu sitzen und einfach zufrieden zu sein - also, ich fand das eigentlich ein liebes Buch."

    Die Suche nach Heimat und Lebenssinn ist das eigentliche Thema dieses lieben Buches, das sich nicht ohne Bosheit über die Naivität der Suchenden lustig macht. Aber manchmal erzählt Sibylle Berg doch voll Mitleid von ihren Figuren, vor allem, wenn sie einsam sind. Frank, zum Beispiel, der als Einziger im Buch ein Stubenhocker ist, der es nur einmal schafft, aus Berlin herauszukommen - und dann in Island ein spätes Glück findet. Ihm legt die Autorin einige ihrer Erkenntnisse in den Mund und lässt ihn sich wundern über seine Bekannten, die den Sinn des Lebens in weiter Ferne suchen: Als würde, so denkt Frank, irgendwo ein Ort für sie bereit stehen und sich um sie legen wie ein passender Mantel.

    Dem entsprechend sieht Sibylle Berg für einige ihrer Irrenden eine Art Happyend vor: Wer sich bescheidet, mit dem was er hat, findet das Glück im stillen Winkel. Ist das die Botschaft der Autorin?

    "Ja, wahrscheinlich bin ich eigentlich ein Guru. Das nährt doch auch den pseudowissenschaftlichen Ratgebermarkt, und die Sekten und die Kirche, die "Suche" ist ja ein zentrales Thema, das hab ich mir ja nicht ausgedacht. Jeder findet eine andere Antwort. Ich glaube schon, dass bei Vielen die Antwort in der Reduktion läge. Also in der Erkenntnis: Du kannst nicht alles sehen, du kannst nicht alles haben. Besser, du richtest dich in einem Leben ein und machst es ordentlich. Wobei ich mich hüten möchte, das allgemeingültig zu platzieren, nur meine Beobachtung ist, es funktioniert für viele Leute. Also wenn sie sich mal für einen Ort entscheiden, einen Menschen entscheiden, eine Form des Lebens entscheiden, dann ist ihnen wohler meistens, als mit dem ständigen: Ich könnte mehr haben, woanders geht es mir besser, mit jemand anders geht es mir besser - dir geht es ja MIT etwas nicht anders Dir geht's mit DIR gut und das andere ist additiv, kommt hinzu. Oder? ... Vielleicht sollte ich eine Sekte aufmachen, das wäre ganz gut - die machen richtig Schotter."

    Bei Sibylle Berg weiß man oft nicht genau, ob sie es nun ernst meint oder nicht. Das ist wohl ihr Erfolgsgeheimnis. Ihre moralischen Botschaften kommen meistens im Comedylook daher und scheinen auf den ersten Blick reine Zynismen zu sein.
    Im neuen Roman gibt es allerdings Passagen, die "völlig ironiefrei" sind, wie eine Kritikerin mäkelte. Das sind Porträts von Einheimischen, die den Weg der Reisenden kreuzen, manchmal ohne wahrgenommen zu werden, eindringliche Porträts von Menschen mit anderen Sorgen als dem Sinn des Lebens: Goldgräber in Brasilien, die ihre Arbeit nur mit Alkohol ertragen, Frauen, die in Indien auf der Straße leben oder in Bangladesh von ihren Männern zu Tod geprügelt werden.

    Nein, Sibylle Berg ist es durchaus ernst mit ihrer Moral, auch wenn sie meistens einen ironischen Schlenker einbaut, bevor es pathetisch wird. So auch, wenn Rolf in Bochum von seiner Frau verlassen wird, eine Passage, die Sibylle Berg bei ihrer Bochumer Lesung vortrug:

    "So, ich gehe jetzt, sagte Rolfs Frau, und am Boden stand eine Reisetasche. Wohin gehst du, fragte Rolf, er war benommen vom Schlaf. Durch die Plastikjalousie fiel fahles Licht, der Verkehr der Hauptstraße Richtung Essen rauschte leise, es roch wie immer, nach Reinigungsmitteln und älteren Menschen. Ich beende unsere Ehe heute, sagte seine Frau. Aber warum, fragte Rolf, es war eiskalt in ihm, zuviel Adrenalin, Todesangst, sein Gehirn ganz langsam. Ist doch völlig egal, antwortete seine Frau. Wenn ich dir wunderbare Gründe nenne, würde es etwas ändern? Würdest du dann sagen: Och nee, klar, dann geh mal deiner Wege?"

    Rolf wird man im Buch wieder an der polnisch-ukrainischen Grenze begegnen, wo er Helena und Olga aufliest, die gerade aus Tschetschenien kommen. Sibylle Berg knüpft aus den Fahrten ihrer Figuren ein dichtes Netz voll wundersamer Begegnungen, die manchmal packende Miniaturen sind, aber auch kolportagemäßig daherkommen können, als hätte Karl May Pate gestanden. Durch alle Figuren hindurch ist jedoch die Stimme der Autorin zu vernehmen, ironisch, sarkastisch, und dabei doch unerbittlich mahnend, gleich einer barocken Wanderpredigerin. Was sie von dieser Einschätzung hält? Die Antwort ist ganz Sibylle Berg:

    "Na ja, der Job von Jesus muss ja neu besetzt werden, und ich find mich da gut dafür."

    Sibylle Berg: "Die Fahrt". Roman, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007