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Glück und Schreck

In Bhutan, im Osten des Himalaya-Gebirges, versucht die Regierung, das Glück ihrer Bürger zu messen. Der Österreicher Harald Friedl hat die Glücksforscher mit der Kamera begleitet und einen tollen Dokumentarfilm geschaffen. Ansonsten kommen diese Woche eher gruselige Filme ins Kino.

Von Jörg Albrecht | 31.07.2013
    "What Happiness Is – Auf der Suche nach dem Glück" von Harald Friedl
    Wie würden Sie Ihr Glück einstufen auf einer Skala zwischen "0" und "10", wenn "0" todunglücklich bedeutet und "10", dass man rundum glücklich ist? Der 31-jährige Karma Wangdi erklärt seinen Fragebogen, der eher ein Fragebuch ist. Denn es gibt 249 Haupt- und noch zahllose Detailfragen, sodass für die komplette Beantwortung in der Regel drei Stunden eingeplant sind. Im Auftrag der bhutanischen Staatskommission für Glück – es gibt sie wirklich – will Karma Wangdi das sogenannte Bruttonationalglück des Landes ermitteln. Das Spektrum der Fragen reicht dabei von detaillierten Alltagsbeschreibungen über generelle Einschätzungen zu gesellschaftlichen Werten und dem Funktionieren von Regierung und Verwaltung bis hin zu den ganz persönlichen Wünschen und Träumen.

    Er glaube, so Karma Wangdi, dass die Befragung ein guter Test sei für den Entwicklungsprozess des Landes. Wo steht Bhutan? Wo will es hin?
    In "What Happiness Is" hat der österreichische Dokumentarfilmer Harald Friedl das womöglich größte Sozialforschungsprojekt der Welt mit seiner Kamera begleitet. Und wer sich als Mitteleuropäer jetzt der Illusion hingibt, dass das wahre Glück ganz sicher nichts mit dem Nutzen von Mobilfunktelefonen zu haben könne, wird recht schnell überrascht sein. Die Interviews mit den Teilnehmern der Glücksstudie verbindet Friedl mit Eindrücken aus einem buddhistisch geprägten Land, das – im Gegensatz zu allen Industrienationen – ein nicht wachstumsorientiertes Wirtschaftsmodell verfolgt. Natürlich ist Glück so wenig messbar, wie es subjektiv ist. Aber ein Staat, der am Glück seiner Einwohner Interesse zeigt, wird immerhin von der Utopie einer besseren Gesellschaft getrieben. Das macht "What Happiness Is – Auf der Suche nach dem Glück" auf unterhaltsame und eindringliche Art deutlich. Empfehlenswert.

    "Frances Ha" von Noah Baumbach
    "Erzähl mir unsere Geschichte! – Noch mal? Na schön, Francis. Wir werden die Welt erobern. – Du wirst ein unglaublicher zickiger Verlagsmogul. – Und du eine berühmte Modern-Dance-Tänzerin. ... Wir kaufen uns eine Ferienwohnung in Paris. – Und haben Liebhaber. – Und keine Kinder. ... Und kriegen Ehrendoktorwürden. – Ganz viele Ehrendoktorwürden."

    So könnte das vollkommene Glück für Frances aussehen. Doch während ihre Träume konkret sind, bietet sich von der Realität ein eher abstraktes Bild. Frances, wohl so Ende 20, lässt sich treiben. Durch Brooklyn. Durch ihren Job als Tänzerin. Durch ihre Beziehungen. Selbst eine feste Bleibe hat sie nicht, kommt mal hier, mal da unter. Die einzige Konstante in Frances unfertigem Leben ist ihre Freundin Sophie. Doch die droht ihr abhandenzukommen, als Sophie einen Mann kennenlernt.

    "Frances Ha" – das "Ha" im Titel sind die ersten beiden Buchstaben von Frances´ Nachnamen – "Frances Ha" ist eine flirrende Zustandsbeschreibung. Eine Geschichte vom Erwachsenwerden einer längst erwachsenen Frau – geschrieben und inszeniert von Noah Baumbach als Schwarz-Weiß-Hommage an die Nouvelle Vague und an Woody Allen. Ein Film, der sich ausschließlich auf seine Protagonistin konzentriert, deren Charakterzüge möglicherweise auch ihrer Darstellerin Greta Gerwig nicht allzu fremd sein dürften. "Nimm dir Zeit!" Sagt die Chefin der Tanzcompany zu Frances. "Mach ich. Ich kann nicht anders", antwortet die. "Francis Ha" beweist Originalität im konfektionierten Filmgeschäft und ist sowohl das New Yorker wie auch das weibliche Pendant zu "Oh Boy". Empfehlenswert.

    "Halbschatten" von Nicolas Wackerbarth
    Stillstand – und damit das Gegenteil einer in ständiger Bewegung befindlichen Protagonistin – liefert der Film "Halbschatten" von Nicolas Wackerbarth. Merle ist nach Südfrankreich gekommen, um dort Zeit mit Romuald zu verbringen, dem Mann, den sie liebt. Doch in dem Ferienhaus trifft sie nur auf seine beiden Kinder.

    ""Der Hut gehörte meiner Mutter. – Tut mir leid. Das wusste ich nicht. – Das macht es nicht besser, oder? – Hey, Emma! Geht´s gut? – Ich werde jetzt aber nicht die ganze Zeit Mathe machen. – Kein Problem. Musst du selber wissen."

    Einer von nur wenigen Dialogen in einem Film, der die Ereignislosigkeit von einigen Tagen in Südfrankreich abbildet. "Warten auf Romuald" hätte "Halbschatten" noch treffender heißen müssen. Natürlich könnte der Analytiker Dinge in die Bilder, die Szenen, die entsetzliche Langeweile, die "Halbschatten" verströmt, interpretieren. Er kann es aber auch einfach sein lassen. Ärgerlich.

    "Conjuring – Die Heimsuchung" von James Wan
    Die Melodie einer Spieluhr. Das Knarren einer Tür. Oder einfach nur das Klatschen zweier Hände.

    "Jetzt habe ich dich gleich. Ich höre dich atmen."

    Regisseur James Wan versteht es perfekt, den Zuschauer mitzunehmen auf seine Geisterbahnfahrt im Gruselthriller "Conjuring – Die Heimsuchung". Dabei schien Skepsis durchaus angebracht, denn das Filmgeschehen – heißt es direkt zu Beginn - basiere auf einer wahren Geschichte. Ein auf paranormale Phänomene spezialisiertes amerikanisches Ehepaar hat sie angeblich so vor 40 Jahren erlebt.

    "Was seid ihr beide? – Man nennt uns Geisterjäger. Erforscher des Paranormalen. – Uns ist es aber am liebsten, man nennt uns einfach Ed und Lorraine Warren."

    Geisterhäuser, in denen sich kleine Kinder tummeln, sind schon immer für Gänsehaut gut gewesen. Man könnte "Conjuring – Die Heimsuchung" allenfalls den Vorwurf machen, all das schon in Filmen wie "Poltergeist" und "Amityville Horror" vor 30 Jahren gesehen zu haben. Aber die Dichte der gekonnt platzierten Schockmomente ist hier beachtlich. Empfehlenswert.