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Glücksspiel in Deutschland
Milliarden in der Grauzone

Seit 2012 ist die Neufassung des Glücksspielstaatsvertrags in Kraft. Im Mittelpunkt sollte der Verbraucherschutz stehen. Bei näherem Hinsehen aber entpuppt sich der Vertrag als Papiertiger. Und Deutschland als Markt, der alles andere als reguliert ist.

Von Oliver Ramme | 04.09.2014
    Ein Mann schaut sich eine Internetseite für Online-Wetten an.
    Wetten und Zocken - ein Milliardenmarkt, immer mehr auch im Internet. (picture alliance/dpa/Marcus Brandt)
    Es wird Black Jack gespielt. Im Internet. Auf dem Computerbildschirm sieht man eine junge, hübsche Frau, die an einem mit grünem Filz belegten Tisch die Karten verteilt. Ihr Arbeitsplatz könnte ein Kasino auf den Kaimaninseln sein. Die Schritte, um an diesen Tisch zu gelangen, sind schnell gemacht. Einfach eine Ramsch-Emailadresse angeben und sich einen Pseudonym ausdenken. Dann zückt man seine Kreditkarte, überweist dem Internet-Kasino Geld und kann einfach mitspielen. Gerne um ein paar tausend Euro, so wie die anderen Mitspieler, die sich mit ihren Pseudonymen eingeloggt haben.
    "Ich würde sagen, dass die überwiegende Zahl der Anbieter in Europa illegal anbietet, teilweise ohne Lizenz in einem der Herkunftsländer, und dramatische Wettbewerbsvorteile hat, weil Schutzmechanismen wie Identitätsnachweis, Altersnachweis, Mehrfachkonten, das alles wird nicht wirklich überprüft."
    Ob man 16 oder 45 Jahre alt ist, ob seine Kreditkarte gedeckt ist oder nicht, wird man bei der Anmeldung zum Black Jack im Internet nicht gefragt, zumindest nicht auf diesem Portal mit Sitz wahrscheinlich auf den Kaimans. Man könnte also hemmungslos Haus und Hof verzocken. Dabei sollte doch ein Glückspielstaatsvertrag, ausgehandelt unter den 16 Bundesländern, den Glückspieler schützen.
    "Ich denke, die Politik müsste ein Interesse daran haben, dass Gesetze durchgesetzt werden. Es findet eine Erosion der Gesetztestreue statt im Moment, und das ist nicht im Sinne einer Politik."
    Unsummen werden umgesetzt
    Tilman Becker von der in Deutschland einmaligen Forschungsstelle für Glückspiel an der Universität Hohenheim ist frustriert. Genauso wie sein Vorredner Friedrich Stickler, der Präsident des europäischen Lotterieverbands. Was aber bedrückt die Herren? Ihre Sorge betrifft vor allem das Internet. Glückspielanbieter sprießen wie Pilze aus dem Boden, haben ihren Sitz auf den Philippinen, den Kaimaninseln oder anderen exotischen Steuerparadiesen und bieten Wetten mit günstigen Quoten an. Unkontrollierter Wildwuchs. Steuern zahlen die wenigsten von den geschätzten weltweit 12.000 Glückspiel-Internetanbietern.
    Diese laden immer raffinierter zum Zocken ein: Vom Black-Jack-Tisch über Sportwetten bis hin zum animierten Spielautomaten. Viele der rund 400.000 deutschen Spielsüchtigen wandern deshalb auch ins Internet ab, weg von den verrauchten Spielhöllen und ihren Geldspielautomaten. Unsummen werden so umgesetzt: Angeblich über 100 Milliarden Euro alleine in Europa. Auf der einen Seite gibt es einen globalen Wildwuchs im Internet. Aber nicht einmal in Europa existieren einheitliche Regelungen. Als Präsident des europäischen Lotterieverbands vertritt Friedrich Spickler die Interessen der staatlichen Lotterien, die mit Argwohn auf das schauen, was sich da im Internet abspielt.
    "Natürlich sind die in Malta oder Gibraltar Lizenzierten von ihrer Marktbedeutung sehr wichtig. Die haben einen großen Marktanteil, weil sie stark werben, weil sie diesen Graubereich stark ausnützen und sagen: Ja, in der Europäischen Union sind wir de facto legal. Für mich ist ein Anbieter nur dann legal, wenn er in dem Land, in dem er anbietet auch über eine Lizenz verfügt."
    Keine Lizenz und trotzdem Zocken und Wetten?
    Und das tut in Deutschland im Grunde keiner. Beispielsweise der Sportwetten und Onlinekasino-Anbieter Tipico, für den Fußballlegende Oliver Kahn wirbt. Tipico ist ein milliardenschwerer Konzern mit Sitz in San Giljan - Malta! Tipico hat wie andere Anbieter - zum Beispiel Bwin, Bet at home oder Interwetten.com - keine bundesweite Glücksspiellizenz. Trotzdem bieten sie ihre Wetten an im Internet ober haben Annahmestellen und Wettbüros in deutschen Städten. Keine Lizenz und trotzdem Zocken und Wetten können? Die Konzerne mit Hauptsitz in Gibraltar oder auf Malta müssen sich allerdings keiner Sorgen machen, dass die deutschen Behörden ihnen das Spielen verbieten.
    "Ich vertrete keine Illegalen. Die Anbieter, die ich vertrete, sind weltweit in verschiedenen Märkten tätig unter Regulierung, sind unter europäischer Jurisdiktion beaufsichtigt, und sie wollen ja um jeden Preis in Deutschland einen Konzession bekommen. Wenn man nur deshalb illegal ist, wenn man ihnen eine Konzessionierung verweigert, dann verstehe ich den Markt nicht."
    Jörg Hofmann ist Anwalt und spezialisiert auf Glückspielrecht. Hofmann spricht einen Schwebezustand an. Vor allem das Internet-Glückspiel und Sportwetten sind in Deutschland nicht reguliert, und wer es trotzdem anbietet, handelt im Grunde illegal. Eine Ausnahme bietet lediglich Schleswig-Holstein, das ein Jahr lang seinen Glückspielmarkt geöffnet hat und gleich einem Schlupfloch einige Lizenzen zuließ. Dieses Schlupfloch soll nun auf die ganze Republik ausgeweitet werden, damit Tipico und Co legal das weiterführen, was sie bisher illegal betrieben haben. Nun sollen zumindest bei den attraktiven Sportwetten Lizenzen vergeben werden, um den Markt zu regulieren. Der Lizenznehmer unterwirft sich dann deutschem Recht, achtet zum Beispiel auf den Konsumentenschutz.
    Irgendwie ein rechtsfreier Raum
    Der Einzige, der das in Deutschland zurzeit offiziell tut, ist der staatliche Sportwetten Anbieter Oddset. Das Aberwitzige aber: Obwohl Oddset de jure ein Monopol besitzt, weil lizenziert, hat die staatliche Einrichtung einen Marktanteil von geschätzten lächerlichen vier Prozent. Der Grund: Oddset zahlt deutsche Steuern und bietet daher miserable Quoten an. Die anderen 96 Prozent machen die anderen Anbieter mit Sitz in den Steuerleichtgewichten wie Gibraltar oder Malta unter sich aus. Der Bonner Anwalt Ronald Reichert vertritt Anbieter, die um eine Konzession nachsuchen:
    "Dieses Konzessionsverfahren ist meines Erachtens ein falscher Ansatz, weil es zu komplex ist, um es zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Die Folge ist: Wir haben einen flächendeckend fehlenden Vollzug. Wir haben einen Staatvertrag ohne Vollzug und ein Lizenzsystem ohne Lizenzen. Das ist eine Katastrophe."
    Mit dem Vergabeverfahren für Sportwettlizenzen ist das Bundesland Hessen beauftragt. Das wurde 2012 im Glückspielstaatsvertrag unter den 16 Bundesländern so vereinbart - darauf verweist auch gerne die Politik. In Wiesbaden sitzt eine Handvoll Beamter und wühlt sich seit über einem Jahr durch Zehntausende von Seiten von Antragsformularen. Am Ende sollen 20 Lizenzen für ganz Deutschland vergeben werden. Aber, das Verfahren kommt nicht vom Fleck. Und, ob es jemals zu einem Ende kommt, bezweifeln nicht nur Anwälte wie Ronald Reichert.
    "Natürlich ist es so, dass der eine oder andere sagt: Uns kann ja nichts Besseres passieren, das Verfahren läuft, die Forderungen, die dann auf uns zukommen, denen müssen wir uns jetzt nicht unterwerfen. Es gibt Wetten die darauf laufen, dass die Konzessionen nie vergeben werden."
    Deutschland, irgendwie ein rechtsfreier Raum in Sachen Glückspiel im Internet. Da kann man fast von Glück reden, dass einige dieser vermeintlich illegalen Anbieter sogar Steuern zahlen. Andere, so wie das Black-Jack-Portal mit Sitz höchst wahrscheinlich auf den Kaimaninseln sitzt, bestimmt nicht. Zumindest nicht in Deutschland.