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Glücksspielstaatsvertrag
Niedersachsen dünnt seine Spielhallen aus - per Losentscheid

Ein Glücksspiel mit Folgen: Seit der Glücksspielstaatsvertrag in Kraft ist, entscheidet in Niedersachsen ausgerechnet das Los, welche Spielhallen schließen sollen. Hunderte Beschäftigte bangen um ihre Arbeitsplätze, Hunderte Verfahren beschäftigen die Gerichte.

Von Hilde Weeg | 20.07.2017
    Eingang eines Automatenkasinos mit dem Schriftzug "Spielothek", aufgenommen 2015 in Berlin
    Der Bund will das Glücksspiel eindämmen. Umsetzung des neuen Glücksspielstaatsvertrags ist Ländersache. Niedersachsen entscheidet im Zweifel per Los, welche Spielhallen wegmüssen. (picture alliance / dpa / Alex Heinl)
    Ein Gewerbegebiet am Stadtrand von Hameln. Zwischen Möbelhäusern und Supermärkten steht auch eine Merkur-Spielothek des bundesweit größten Spielhallenbetreibers Gauselmann. Wer reingeht, kann Raum und Zeit vergessen: die Räume sind fensterlos und dämmrig beleuchtet. Im ersten Raum stehen sechs Automaten-Inseln: Immer zwei davon stehen nebeneinander, mit bequemen breiten Sesseln davor.
    Um 10 Uhr am Vormittag daddelt hier nur ein Spieler, ein junger Typ mit Baseballmütze, Kontaktaufnahme unerwünscht. Sein Blick ist auf den Monitor vor ihm gerichtet: Dort regnet es auf Knopfdruck Zitronen, Trauben und Orangen – die beliebteste unter rund 200 Spielvariationen pro Automat. Die Hauptsache: Sobald mehrere gleiche Symbole in einer Reihe landen, gibt’s Punkte. Meistens werden 20 Punkte pro Knopfdruck gesetzt, also 5 Cent. Kleinbeträge, die sich schnell auf- und abaddieren, Höchstsumme 80 Euro pro Stunde, das ist aus Sicherheitsgründen reguliert.
    Abgesehen von den Daddelgeräuschen und der Fahrstuhlmusik ist es ruhig hier - und das liegt nicht nur an der Tageszeit.
    "Ja, es kommen weniger Gäste. Die haben das mitbekommen und weichen aus, auf andere Spielotheken oder aufs Internet, ich weiß es nicht", sagt Alexandra Naß, eine der elf Beschäftigten.
    Das, was die Gäste mitbekommen haben, ist die Schließung der beiden anderen Räume. Von 36 Automaten sind nur 12 übrig. Mehr dürfen pro Spielstätte in Niedersachsen seit dem 1. Juli nicht mehr betrieben werden, so will es das niedersächsische Glücksspielgesetz. Außerdem muss ein Mindestabstand eingehalten werden, mindestens 100m bis zur nächsten Halle. Von 33 Spielstätten in Hameln sollen nur noch 16 bleiben dürfen.
    Schwierige Lage für bis zu 3000 Beschäftigte
    Was heißt das für die Beschäftigten? "Wir sind natürlich definitiv zu viele Mitarbeiter hier für eine Konzession", sagt Alexandra Naß. Nicht nur für die Angestellten hier, sondern für bis zu 3000 Beschäftigte der Branche in Niedersachsen ist die Lage sehr schwierig.
    In einem der stillgelegten Räume stehen Gauselmann-Pressesprecher Mario Hoffmeister und Filialleiter Jens Barthelmes beieinander. Barthelmes schüttelt den Kopf: "Man ist wütend, man ist traurig. Für mich ist es unbegreiflich, obwohl ich's mit eigenen Augen sehe."
    Noch ist hier niemand entlassen worden, noch hofft man auf positive Entscheidungen der Gerichte. Dort wehren sich die Betreiber gegen die Bestimmungen. Die seien in Niedersachsen noch weniger nachvollziehbar als in anderen Bundesländern, wie Hoffmeister erklärt: "Niedersachsen hat mit Abstand die schlechteste Regelung: Einmal, dass man dieses absurde Losverfahren eingeführt hat, wo ich sagen kann, der Staat sollte nicht würfeln ..."
    ... und zum andern, weil das Land zunächst keine Härtefallregelung vorsah. Erste Gerichts-Entscheidungen in Osnabrück oder Lüneburg sehen diese Punkte ebenfalls kritisch. Aber eine Rechtssicherheit gibt es noch nicht. Die Folge: Mal werden die bestehenden Betriebe vorläufig geduldet, mal wird geschlossen. Bis zur endgültigen Klärung aber können Monate vergehen.
    "Da muss man jetzt abwarten, wie die nächsten Instanzen – in dem Fall das OVG in Lüneburg entscheidet, und wie es danach weitergeht", sagt Sprecher Mario Hoffmeister.
    Hameln: 60.000 bis 80.000 Euro Verlust pro Halle und Jahr
    Dass es hierbei auch um viel Geld geht, zeigt die Auskunft von Janine Herrmann, Sprecherin der Stadt Hameln. Die Schließung der 16 Spielstätten könnte für die Stadt Einnahmeverluste bis zu einer Million bedeuten:
    "Man kann schon sagen, wir haben pro Spielhalle einen Verlust von 60.000 bis 80.000 Euro im Jahr. Aber wir gehen davon aus, dass es in der Peripherie von Hameln zu neuen Beantragungen kommt."
    Also erst schließen und dann ein paar Meter weiter wieder zulassen? Nicht nur in Niedersachsen, auch in anderen Bundesländern gibt es Zweifel am Sinn solcher Bestimmungen, die ja das Entstehen von Glücksspiel- und Wettsucht verhindern sollen. Was Filialleiter Jens Barthelmes von seinen Stammgästen stattdessen erfährt:
    "Meine Gäste fahren weiter nach Nordrhein-Westfalen, das ist nur zehn Kilometer entfernt, da gibt es noch durchaus Mehrfachkonzessionen, und einige Gäste gehen ins Internetspiel. Sicherlich werden auch illegale Spielstätten entstehen und ich denke, dass auch einige Gäste dorthin abwandern werden."