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Glühwein und Geschenke

Mitten in den Städten auf den Weihnachtsmärkten ist die Welt noch in Ordnung. Ungerührt von Wirtschafts- und Finanzkrise fließt der Glühwein wie eh und je, stimmt der Umsatz. Der ungebrochene Rummel interessiert sogar Sozialpsychologen.

Von Susanne Arlt | 17.12.2009
    Es nieselt leicht an diesem Montagabend in Magdeburg: Das Thermometer zeigt drei Grad Celsius, Tendenz fallend. Wer sich länger draußen aufhält, dem kriecht langsam die nasse Kälte in die Glieder. Trotzdem ist an diesem Abend der Weihnachtsmarkt in der Magdeburger Innenstadt proppenvoll. Es duftet nach gebrannten Mandeln, glasierten Äpfeln, süßer Zuckerwatte und fetter Bratwurst. Trotz Krise scheint die Kauflaune der Magdeburger ausgesprochen gut, um nicht zu sagen, gierig zu sein.

    Süße Mandeln in noch mehr Variationen. Das Angebot auf den Weihnachtsmärkten wächst von Jahr zu Jahr. Und die Wirtschaftskrise scheint die Menschen nicht davon abzuhalten, dieses Angebot auch ausgiebig zu nutzen. Vielleicht, sagt Wolfgang Heckmann, Sozialpsychologe an der Hochschule Magdeburg, sei aber auch gerade in diesen Zeiten der Drang der Menschen besonders groß, unter Gleichgesinnten zu sein - auch so etwas verlocke gewollt oder ungewollt zum Kauf:

    "Je näher man einander ist, desto ähnlicher verhält man sich auch. Gruppenverhalten ist eben so. Die sind in Cliquen hier, und der eine kauft was, und der andere kauft was. Das schließt dann keinen aus, hat der eine was, findet der andere das toll. Ja, wie viele Leute laufen hier rum mit den roten Zipfelmützen. Die taugen auch alle nicht viel. Und die sind auch teurer, als wenn man die in so einem Dekobedarfsladen kauft. Aber die sind hier lustig, die sind hier schön: Da ist man ein Held, wenn man aussieht wie ein Weihnachtsmann."

    Weihnachtsmärkte sind ein Massenphänomen. Die Menschen suchten hier Nähe, Wärme und Herzlichkeit - und in schwierigen Zeiten seien diese Gefühle womöglich noch größer als in guten Zeiten. All diese Gelüste würden auf dem Weihnachtsmarkt bedient und natürlich auch die Kaufsucht, die trotz Krise befriedigt werden will.

    "Das geht aber so nicht: Anders herum hatte ich es ja schon."

    Eine ältere Frau steht vor einem Weihnachtsstand mit Holzschnitzereien. Die klobige Fruchtbarkeitsfigur Ashanti stammt aus Westafrika, daneben liegen handgefertigte Jagd-Schnitzereien aus Peru. Wolfgang Heckmann schüttelt den Kopf:

    "Nein, praktisch nichts braucht man davon. Aber es sind halt exotische Produkte aus fernen Ländern, die sind erst einmal interessant, aber brauchen tut man die nicht."

    Die Frau nimmt eine Rassel aus Holz in die Hand. Die stammt zwar nicht aus fernen Ländern, dafür aber aus dem Erzgebirge.

    Auf die Frage, ob die Rassel für sie sei, schüttelt sie den Kopf. Der zweijährige Enkel Paul bekomme zwar schon ein rotes Plastikauto und ein Memory-Spiel, sagt sie, aber so eine kleine Rassel aus Holz könne doch nicht schaden und lächelt entschuldigend.

    Stattliche 15 Euro kostet die Rassel, nicht gerade ein Schnäppchen. Weihnachten, das Fest, seine romantische Anmutung, belebt auch den Handel, weiß Verkäufer Renée aus Erfahrung. Die Geschäfte laufen in diesem Jahr genauso gut wie in den vergangenen sieben Jahren.

    "Weihnachten und Hochzeiten sind von Krisen nicht betroffen. Meine Schwester macht Hochzeitsfotografie, und die ist wirklich teuer. Und das ist egal, die verzichten auf nichts, und Weihnachten ist genauso. Man muss schöne Sachen haben."

    Wolfgang Heckmann hat aufmerksam zugehört. Der Sozialpsychologe glaubt, dass das kaufsüchtige Verhalten zurzeit noch andere Gründe habe. So eine Finanzkrise, sagt er, verwirre die Menschen. Keiner durchschaue doch so richtig, wie diese Krise wirklich entstanden sei. Welche Auswirkungen sie womöglich noch habe. Und darauf reagiere Otto Normalverbraucher eben mit Verunsicherung.

    "Auf Verunsicherung reagieren wir erst mal so, dass wir mehr Stress haben. Wir wissen nicht, was los ist. Wir sind umtriebig, und das hat sich schon in vielen Analysen zum Kaufverhalten gezeigt, dass unter Stress mehr gekauft wird. Und wer hat den Stress? Die Angst haben müssen um ihr schmales Einkommen, die haben noch mehr Stress, und die geben dann absurderweise noch mehr aus."

    In der Psychologie umschreibt man dieses gelebte Gefühl mit der fehlenden Kohärenz. Solange sich ein Mensch mit sich selbst identisch, im Reinen fühlt, hat er auch keine Angst vor der Situation. Das aber, sagt Heckmann, setzte voraus, dass wir a) die Ereignisse durchblicken, b) wissen, wie wir die Situation auch meistern können und c) einordnen können, ob das Ganze auch einen Sinn macht.

    "In der Finanzkrise fühlen sich ganz viele Leute inkohärent. Die sind nicht mit sich selbst identisch, die wissen nicht, wo es lang geht. Die wissen weder die Situation richtig zu beurteilen noch wissen sie, was zu tun ist noch macht das irgendeinen Sinn für mein persönliches Leben."

    In Zeiten leicht durchschaubarer Krisen hat Otto Normalverbraucher früher sein Geld eher zusammengehalten und als Notgroschen beiseitegelegt. Davon ist heute nichts mehr zu spüren. Das, glaubt Heckmann, sei dieser verzwickten Finanzkrise geschuldet, die selbst er nicht mehr verstehe. Allerdings haben sich die Kaufgelüste geändert: Im Moment verschieben die Menschen lieber die großen Reisen und extravaganten Wünsche und shoppen stattdessen kleine Dinge - was vor allem den Händlern auf den Weihnachtsmärkten zugutekommt. Konsumiert zu haben, mache ja auch ein gutes Gefühl, sagt Wolfgang Heckmann und warnt vor den Folgen.

    "Wenn es denn schon so ist, dass sie Mumpitz gekauft haben, Sachen, die sie gar nicht brauchen, gekauft haben, dann geht es ihnen natürlich zu Hause schlecht, wie es Ihnen auch zuhause schlecht geht, wenn sie zu viel Glühwein getrunken haben."