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Glyphosat-Klage in Frankreich
Eine Familie kämpft gegen Monsanto

Eine französische Familie klagt gegen den Glyphosat-Hersteller Monsanto. Ihr elfjähriger Sohn kam mit einer schweren Fehlbildung an Speise- und Luftröhre zur Welt. Verantwortlich dafür soll der Unkrautvernichter sein. Der Mutterkonzern Bayer hält das Mittel für unschädlich.

Von Sabine Wachs | 21.11.2018
    Die Angabe "Glyphosat" steht auf der Liste der Zusammensetzung eines Unkrautvernichtungsmittels.
    Glyphosat soll auch für vorgeburtliche Fehlbildungen verantwortlich sein (imago stock&people)
    "Ca va bien"
    Es geht mir gut, sagt Théo Grataloup.
    "In der Schule ist alles super. Ich kann alles machen, außer Schwimmen und Langstreckenlauf."
    Der 11-Jährige kommt gerade aus der Schule. Er sieht aus, wie die meisten Jungen in seinem Alter: braune kurze Haare, trägt blaue Jeans, einen roten Pullover, einen weißen Schal. Einzig seine metallisch klingende Stimme verrät, dass mit Théo etwas nicht stimmt:
    "Ich weiß, dass meine Mama Glyphosat gesprüht hat, damit auf unserem Reitplatz kein Unkraut wächst. Sie wusste damals noch nicht, dass sie mit mir schwanger war. Und das hat dazu geführt, dass ich diese Behinderung habe. Eine Fehlbildung des Kehlkopfes."
    Bis zum elften Lebensjahr schon 54 Operationen
    Théo kommt mit einer sogenannten Oesophagus-Atresie zur Welt. Seine Speiseröhre mündet in seiner Luftröhre. Er kann nicht atmen, die Luft wird nicht in die Lungen, sondern in den Magen geleitet. Sofort wird er notoperiert. Weitere OPs folgen, mit drei Monaten machen die Ärzte einen Luftröhrenschnitt. Seitdem atmet Théo über ein Loch in seiner Kehle. Sein erstes Lebensjahr verbringt er im Krankenhaus:
    "Bis heute wurde Théo 53 Mal operiert", erzählt seine Mutter Sabine.
    "Seine Situation hat sich stabilisiert. Er atmet, das ist sehr gut. Er isst, das hatten wir nie zu hoffen gewagt und er spricht. Zwar mit einer komischen Stimme, aber er spricht. Das scheint sehr wenig, für uns bedeutet es aber sehr viel."
    Die Mutter kam in der Schwangerschaft mit Glyphosat in Berührung
    Dass Théos Behinderungen nicht erblich bedingt sind, sagen die Ärzte Sabine Grataloup früh. Der Arzt, der Théos erste Operation durchführt, vermutet, dass äußere Einflüsse dafür verantwortlich sind. Er tippt auf Pestizide. Théos Eltern aber schließen aus, dass sie mit Umweltgiften in Kontakt waren. Erst als Sabine Grataloup im Sommer 2008 ihren Reitplatz wieder mit dem Unkrautvernichtungsmittel Glyper behandelt, einem glyphosathaltigen Mittel des Pharmakonzerns Monsanto, wird ihr klar:
    "Wir dachten, ich wäre nicht mit Pestiziden in Kontakt gekommen, aber ich war ihnen ausgesetzt. Ich habe Glyphosat gesprüht und zwar zu einer Zeit der Schwangerschaft, in der sich die Organe ausbilden, die bei Théo fehlgebildet sind. Ich habe direkt die Behörden informiert, den Präsidenten, den Premierminister, die Minister für Gesundheit, Landwirtschaft und Umwelt. Und habe nie eine Antwort bekommen."
    Sabine Grataloup beginnt zu recherchieren, stößt auf Studien unter anderem aus Argentinien, die einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und vorgeburtlichen Fehlbildungen, wie denen von Théo herstellen. Sie will auch die Firma Monsanto warnen, glaubt, dem Pharmakonzern sei die schädliche Wirkung des Produktes nicht bekannt. Dann veröffentlicht die französische Zeitung Le Monde 2017 die sogenannten Monsanto-Papers. Interne Mails, die belegen sollen, dass der Pharmakonzern Wissenschaftler bezahlt hat, damit diese positiv über Glyphosat berichten:
    "Da wurde uns klar, dass sie nicht nichts wussten, sondern, dass sie wissentlich die Giftigkeit verschwiegen haben. Das hat uns richtig sauer gemacht und wir haben beschlossen zu klagen."
    Bayer Konzern glaubt nicht an die fortpflanzungsschädigende Wirkung des Mittels
    Sabine Grataloup will beweisen, dass Théos Behinderungen durch Glyphosat verursacht wurden, sie fordert Schadenersatz von 30.000 Euro für ihren Sohn. Das deutsche Pharmaunternehmen Bayer, das Monsanto Mitte des Jahres übernommen hat, ist seit Mai 2018 über die Klage von Familie Grataloup unterrichtet. Auf Anfrage des ARD-Studios Paris erklärt der Konzern schriftlich:
    "Wir empfinden tiefes Mitgefühl mit Théo Grataloup und seiner Familie. Glyphosat ist jedoch für seinen Gesundheitszustand nicht verantwortlich. Glyphosat-basierte Produkte werden weltweit seit über 40 Jahren angewendet und gehören zu den am intensivsten untersuchten Produkten ihrer Art. Keine Zulassungsbehörde weltweit hat Glyphosat jemals als fortpflanzungsgefährdenden Stoff qualifiziert."
    Vor Gericht will Familie Grataloup anhand von Gutachten das Gegenteil beweisen. Mit ihrer Klage hofft sie außerdem darauf, dass es eine neue Debatte über ein Glyphosatverbot geben wird. Die französische Regierung hat ein Verbot des Unkrautvernichtungsmittels erst einmal verschoben, die Europäische Union hat seine Zulassung um fünf Jahre verlängert. Das alles weiß der 11-jährige Théo.