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Götterspeise für kaputte Knie

Biotechnologie. - In München findet zurzeit die 4. Konferenz der Europäischen Gesellschaft für Tissue Engineering (ETES) statt. Tissue Engineering will künstlich hergestellte Gewebe für Transplantationen bereitstellen. Vor einigen Jahren noch wurde das euphorisch als Durchbruch der biotechnologischen Medizin gefeiert. Mittlerweile macht sich Ernüchterung in den Laboren breit: Es gibt zu viele ungelöste Probleme.

von Mirko Smiljanic | 01.09.2005
    Arthritis – der Verschleiß von Knorpelgewebe – ist äußerst schmerzhaft: Knie-, Sprung- und Hüftgelenke lassen sich im fortgeschrittenen Stadium kaum noch bewegen, konventionelle Therapien zeigen kaum durchgreifende Erfolge, es sei denn, das Gelenk wird wie bei der Hüfte komplett ausgetauscht. Warum, fragen sich Forscher seit Jahren, warum ersetzen wir die degenerierte Knorpelschicht nicht einfach durch gesundes Material? Möglich müsste dies schon deshalb sein, weil Gelenkknorpel im Vergleich zu anderen Zellen einige Besonderheiten hat.

    "”Gelenkknorpel ist ein in Anführungszeichen einmaliges Gewebe, das sich dadurch auszeichnet, dass es keine Blutversorgung hat und keine Nervenversorgung, also keine Innervation, und Gelenkknorpel ist auch nicht in der Lage, sich selbst zu regenerieren wegen der fehlenden Blutversorgung.""

    Das erleichtert erheblich das Implantieren künstlich gezüchteter Knorpel, sagt Ulrich Nöth, Leiter der Abteilung Tissue Engineering der Orthopädischen Universitätsklinik Würzburg. Tatsächlich können Wissenschaftler heute schon im Reagenzglas aus gesundem Knorpel größere Zellverbände herstellen, die aber einige Nachteile haben. Nöth:

    "”Es gibt bestimmte Anordnungen, Strukturen, arkadenförmig, die die Natur vorgegeben hat, wie diese Proteine in dem Knorpel angeordnet sind, das kriegt man im Labor nicht hin. Dann die Zusammensetzung, die verschiedenen Kollagene, den Gehalt an Kollagen 2 und anderen Kollagene, die so eine Art Cross-Linking, eine Vernetzung der Strukturen machen, auch das bekommt man nicht so hin, wie es die Natur vorgegeben hat.""

    Hinzu kommt, dass künstlicher Knorpel nach einigen Jahren ausgetauscht werden muss, das Gewebe baut sich mit der Zeit wieder ab. Aus diesem Grund nutzen einige Wissenschaftler Bioreaktoren, um etwa, so Ulrich Nöth,…

    "”…unter Durchfluss von bestimmten Wachstumsfaktoren oder Medien das ganze zu kultivieren, oder durch Kompression, um schon im Reagenzglas das nachzustellen, was ja beim Menschen passiert bei Belastung, um eine Ausbildung des Knorpelgewebes zu machen. Neuere Ansätze sind auch gentherapeutischer Natur, indem man also versucht Gene in diesen Zellen zu ändern, damit sie eben bestimmte Proteine, die man haben will, vermehrt exprimieren oder herstellen.""

    Viele Ideen, die bisher das Stadium der Grundlagenforschung noch nicht verlassen haben. Immerhin konnten die Forscher den künstlichen Knorpel schon so gestaltet, dass er sich zumindest in einigen Punkten wie sein natürliches Pendant verhält. Nöth:

    "Das müssen Sie sich vorstellen wie so Götterspeise, da ist Flüssigkeit drin, die man dann bei der Implantation durch leichte Kompression rausdrücken kann, und so passt es sich genau an den fehlenden Defekt an. Und der Vorteil ist auch, in dem Moment, wo das Gelenk wieder Gelenkflüssigkeit bildet, nimmt dieses Hydrogel wieder Flüssigkeit auf, das heißt, es ist genauso wie beim normalen Gelenkknorpel, durch Belastung nimmt die Flüssigkeit im Gelenkknorpel ab, bei Entlastung, wenn Sie liegen, nimmt der Gelenkknorpel wieder Flüssigkeit auf."

    Große Hoffnung setzt Ulrich Nöth von der Universität Würzburg auf Stammzellen, die auf der diesjährigen ETES zur Wunderwaffe mutiert sind.

    "Wir können aus Stammzellen, aus adulten Stammzellen, die sich aus dem Knochenmark gewinnen lassen, im Reagenzglas Knorpelgewebe herstellen. Allerdings sind da einige Proteine dann vorhanden, die wir sonst nicht haben, da ist noch Arbeit zu tun. Ich denke, das ist aber nur eine Frage der Zeit, möglicherweise in fünf Jahren, wo die ersten Klinischen Studien laufen, um anstatt der körpereigenen Knorpelzellen, körpereigene Stammzellen einzusetzen."

    Ähnlich zuversichtlich haben sich die Tissue-Ingenieure im Jahre 2000 geäußert. Die Ernüchterung ist heute mit Händen zu greifen!