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Goldrausch in Australien
Raubbau zulasten der Natur

Im westaustralischen Outback gibt es zahlreiche verlassene und aktive Goldminen. Die größte davon ist die sogenannte Super Pit im Städtchen Kalgoorlie. Das Gebiet zieht jährlich Tausende Touristen an, die sich am Einsatz chemisch-physikalischer Verfahren zur Gesteinslösung nicht zu stören scheinen. Die großen Verlierer der Goldförderung sind - neben der Natur - jedoch die Aborigines.

Von Michael Marek und Sven Weniger | 12.12.2015
    Blick über die Super Pit in Kalgoorlie, die größte australische Goldmine.
    Blick über die Super Pit in Kalgoorlie, die größte australische Goldmine. (picture-alliance / dpa - Greg Wood)
    "Gold ist geheimnisumwittert. Wenn es seinen Glanz verliert, dann sind wir einfach traurig. Als die Europäer hierher kamen und uns von unserem Land vertrieben, um nach Gold zu suchen, das war wie ein Stich mitten in unser Herz. Manche Leute lieben die Bergbauindustrie, andere hassen sie. Für uns ist das die Vergewaltigung der Natur."
    Es ist schwül und heiß. 39 Grad schon um 10 Uhr morgens. Trotzdem warten an der Hannan Street 40 Menschen geduldig auf den Tour-Bus. Sie wollen zur größten Goldmine Australiens und viertgrößten der Welt: die Super Pit. Die Mine ist das Wahrzeichen des Ortes: Kalgoorlie. Das kleine Städtchen im Südwesten Australiens, 600 Kilometer von Perth entfernt, liegt im Outback. Die Spitze der Turmuhr soll mit 20-karätigem Gold verziert sein, sagt man. Kalgoorlie lebt vom Gold, und ohne das Gold gäbe es den Ort nicht.
    150.000 Touristen kommen jedes Jahr in die australische Hauptstadt des Goldes – und fast alle wollen zur Super Pit, sagt Matt unser Fahrer. Der Enddreißiger ist stolz darauf, viele Jahre selber in der Mine gearbeitet zu haben. Heute chauffiert er Touristen an den Rand der Grube. Die Goldmine an der südöstlichen Stadtgrenze liegt hinter einem Erdwall versteckt - eine riesige Wunde in der rostroten Erde Westaustraliens. Ihre Ausmaße sind derart gewaltig, dass man sie vermutlich vom Weltall aus sehen kann, sagt Matt: 3,9 Kilometer lang, fast zwei Kilometer breit und mit über 620 Metern viermal so tief wie der Kölner Dom hoch ist.
    Es ist ein Kampf um Tonnen von Gestein – 365 Tage im Jahr, jeweils im Zweischicht-Betrieb zu je 12 Stunden. Mit der romantischen Vorstellung von Schaufel, Spitzhacke und Schüttelsieb hat das nichts zu tun. Überall sind Minenarbeiter in orangenen Overalls unterwegs, meist in Geländewagen mit roter Flagge, die sie als Mitarbeiter von KCGM ausweisen, der Kalgoorlie Consolidated Gold Mines, die die Super Pit betreiben.

    Ein Kipplaster transportiert goldhaltiges Erz aus der Super Pit.
    Ein Kipplaster transportiert goldhaltiges Erz aus der Super Pit. (picture-alliance / dpa - Greg Wood)
    "Eigentlich war es die Goldminenindustrie, die Australien zu einer Nation gemacht hat. Zwischen 1890 und 1920, während des Goldrausches, wurde hier in Westaustralien alles erschlossen. Ohne die 600 Kilometer lange Pipeline von Perth zum Beispiel gäbe es hier kein Wasser, denn wir haben nur 200 Millimeter Regen im Jahr. Und ohne Wasser keine Goldförderung. Um sich eine Vorstellung zu machen: Diese Pipeline hatte bei ihrer Fertigstellung 1902 einen kompletten Jahresetat des Staates Westaustralien verschlungen. Eine riskante Entscheidung, alles auf eine Karte zu setzen, die Goldförderung, damit Westaustralien wachsen konnte."
    Hugh Gallagher ist der Chef der Handelskammer in Kalgoorlie. Ein mittelgroßer, asketischer Mann um die 60, dem man in seinem spartanisch eingerichteten Büro nicht ansieht, dass er hier der wichtigste Vertreter des wichtigsten Wirtschaftszweigs der Region ist: der Bergbauindustrie Westaustraliens. In einer ruhigen Seitenstraße steht der schmucklose Zweckbau. Hier laufen alle Fäden zusammen, an denen gezogen wird, um in dem Gebiet von der Größe Griechenlands Gold, Nickel, Kobalt und andere wertvolle Erden zu fördern, zu verarbeiten und auf dem Weltmarkt zu verkaufen.
    "Aus globaler Sicht bedeutet Gold immer noch Sicherheit. Es ist wirklich wichtig, obwohl es manchmal unterschätzt wird. Im Moment liegt die Unze bei ungefähr 1.200 US Dollar. Die Förderung im Bergbau unterliegt hier bei uns Kreisläufen, und im Moment zieht Gold wieder leicht an, Eisenerz und Kohle dagegen sind verdammt stark zurückgegangen."
    Jede Woche werden so gewaltige Löcher ins Gelände direkt neben Kalgoorlie gesprengt, dass in dem Städtchen die Scheiben scheppern. 15 Millionen Tonnen Gestein sind es jährlich, die von Schaufelbaggern und Lastkippern aus dem Bauch der Grube nach oben transportiert werden. Mächtige Trommeln zermahlen es zu immer kleineren Brocken. In einer Anlage aus Tanks, Röhren, Ventilen und Öfen wird das Gold schließlich in einem chemisch-physikalischen Verfahren vom Gestein gelöst und eingeschmolzen. Kritiker halten dem entgegen, dass bei diesem Prozess giftige Stoffe entstehen. Diese werden zwar leicht in der Natur zersetzt und abgebaut, dennoch können die entstehenden großen Abraumhalden und Cyanid-Stäube durch Wind und Wasser unkontrolliert in die Umwelt gelangen und ökologische Schäden verursachen. Hugh Gallagher hält das eher für Schwarzmalerei:
    "Die Umwelt zu respektieren, ist entscheidend. Alle Minen haben Umwelt- und Nachhaltigkeitsrichtlinien. Für jedes Projekt, wie zum Beispiel die neue Uranförderung 350 Kilometer nördlich von Kalgoorlie, muss eine genaue Planung über Aufbau, Betrieb und die Wiederherstellung der Umwelt nach Ende des Abbaus vorgelegt werden, den jeder einsehen und gegebenenfalls Einwände erheben kann. Umweltschutz hat höchste Priorität!"
    Touristen im Goldrausch
    Das Gold hat die Geschichte Westaustraliens geschrieben. Ende des 19. Jahrhunderts entstanden innerhalb weniger Jahre Städte aus dem Nichts. Doch der Boom währte nicht lange: Viele Minen wurden bereits Anfang, die letzten Mitte des 20. Jahrhunderts geschlossen: Das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmte nicht mehr. Die Menschen zogen weiter, Häuser zerfielen, Gruben stürzten ein. In der endlosen Weite sind Tausende Stollen geblieben, in denen man sich, wenn man zufällig hineinstolpert, noch immer alle Knochen brechen kann. Geblieben sind die Geschichten einer Epoche und die Messingtafeln, die hier und dort an die Helden jener goldenen Zeit erinnern.
    Unterwegs auf dem Golden Quest Discovery Trail – eine 965 Kilometer lange Tour durch die Eastern Goldfields. Entlang verlassener Goldfelder, Minenanlagen und Siedlungen wird die Geschichte des Goldrausches erzählt – und was davon geblieben ist. Zum Beispiel in Kookynie.
    "Das ist eine Geisterstadt! Einst war Kookynie einesehr reiche Goldgräberstadt. Tausende Menschen lebten hier. Jetzt ist davon nur noch eine Handvoll Leute übrig geblieben, von denen die meisten auch noch oft unterwegs sind, um irgendwo zu arbeiten. Mehr als fünf sind eigentlich nie hier pro Tag."
    Margaret Pusey betreibt mit ihrem Mann Kevin das Grand Hotel, ein flaches Haus aus Ziegeln, Holz und Wellblech, Herberge für Trucker und Minenarbeiter auf der Durchreise. Die zarte ältere Dame mit dem schlohweißen Haar passt so gar nicht in diese raue Umgebung:
    "Unser Hauptgeschäft kommt heute wohl von den Aborigines. Die reisen traditionell über die Nebenstraßen nach Kookynie. Das liegt meist daran, dass ihre Autos nicht zugelassen sind, sie keinen Führerschein haben und der Fahrer vielleicht nicht nüchtern ist. Außerdem mögen sie die home trains auf den Straßen nicht. Zwischen Ostern und Oktober kommen dann die Touristen. Wenn ich zu meinem Haus drüber gehe, fragen sie mich, ob ich tatsächlich hier lebe. Dann haben wir noch Minenarbeiter. Und wenn irgendwo Probebohrungen vorgenommen werden, kommen auch die Bohrleute und Geologen. Alles super Typen."
    Die Aborigines machen sich nicht viel aus Gold
    Wie lange das Grand Hotel nach über 100 Jahren Betrieb noch bestehen wird, steht in den Sternen. Margaret und Kevin wollen jedenfalls nicht mehr lange weitermachen. Ihr Grand Hotel steht zum Verkauf:
    Bodennebel wabert durch den Busch. Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch die Eukalyptusbäume. Der Geländewagen donnert über die wellige Piste auf dem Weg nach Ora Bandas. "Das ist eine Kneipe. Wir sind hier mitten im Busch, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, eine Geisterstadt! 15 Menschen leben hier, aber die Kneipe kennt jeder in der Gegend. Um uns herum ist alles friedlich und ruhig", sagt Kiri Lucas. Die resolute Mittdreißigerin mit den langen braunen Haaren ist Inhaberin des Ora Band Inn. Abenteurer pilgern ebenso hierher wie Hochzeitsreisende, Backpacker und Bewohner von Kalgoorlie für einen Wochenendausflug – meist mit Metalldetektor im Gepäck. Wer nach Gold suchen möchte, muss umgerechnet 20 Euro in die Hand nehmen, in das Büro der staatlichen Minenaufsicht in Kalgoorlie marschieren, seinen Pass vorlegen und bekommt dann eine Schürflizenz. Das Miner's Right ist auf Lebenszeit gültig – für Touristen ebenso wie für Rhonda und Kiri Lucas. Eine kleine Investition zum Reichwerden.
    "Einige Leute graben mit Schürflizenz, andere sind illegal unterwegs. Manchmal bist du draußen im Busch und weißt gar nicht, auf wessen Gebiet du nach Gold suchst. Dafür haben wir eine Sondereinheit der Polizei. Wenn jemand zum Beispiel auf meinem Pachtgelände nach Gold sucht, dann bitte ich die Polizei um Hilfe. Die kümmert sich um die Kerle. : Wenn sie die kriegen, und wenn die Kerle ein Auto dabei haben, einen Detektor oder ein Wohnmobil, dann wird das konfisziert. Die verlieren alles!"

    Goldbarren in unterschiedlichen Größen
    Goldbarren in unterschiedlichen Größen (picture alliance / dpa - Sven Hoppe )
    Überall in Westaustralien erheben sich Steinhaufen und Erdplateaus, die von weitem wie Hügel aussehen. Beim Näherkommen zeigt sich, dass hier schon jemand den Boden umgewühlt hat – auf der Suche nach Gold oder anderen Bodenschätzen. Die einzigen, die sich vom Schein des Edelmetalls nicht blenden lassen, sind die Aborigines, die Ureinwohner Australiens:
    "Es waren die Europäer, die Ende des 18. Jahrhunderts nach Australien kamen, für die das Edelmetall einen Wert besaß. Die Aborigines haben Gold nur benutzt, um bei den Weißen für Essen und Alltagsgegenstände zu bezahlen. Sie kennen die Orte, wo Gold liegt. Sie waren es, die die Goldgräber an die Orte brachten, wo es Gold gab", sagt Gary Ross.Der kleine, untersetzte Rentner arbeitet hier im Hoover House. Hier in Gwalia stieg Herbert Hoover rasch zum bestbezahltesten Angestellten auf – weltweit versteht sich, bevor er 1929 Präsident der USA wurde.
    Die Ureinwohner sind die großen Verlierer der Goldförderung, damals wie heute. Sie wurden vom Ansturm der Goldsucher geradezu überrannt: Unterdrückung, Rassismus, Benachteiligung, Zwangsadoption und soziale und kulturelle Entwurzelung waren die Folge nach der Ankunft des weißen Mannes. Heute wird ihr Leben vom Staat subventioniert. Ihnen, die ihr Land für heilig und daher für unantastbar halten, wird so ihr Stillhalten beim Raubbau abgekauft. Selbst in den kleinen Gemeinden bekommt man sie kaum zu Gesicht:
    "Schauen Sie, es schockiert mich, deshalb engagiere ich mich auf dem Gebiet. In den frühen 1980er-Jahren ging es mir persönlich schon recht gut. Ich hatte eine gute Ausbildung in Sydney gemacht und dachte: klasse, wenn es allen so geht. Dann kam ich nach zehn Jahren zurück in die Gemeinschaft, aus der ich stamme, und reiste auch in andere Communities. Und da musste ich erkennen, dass alles schlimmer geworden war als vorher."
    Wenn es um die Interessen der australischen Ureinwohner geht, dann gibt es im ganzen Land niemanden, der sie so kompetent und einflussreich vertritt wie Warren Mundine. Der 59-jährige Katholik vom Clan der Bundjalung ist Politiker, Berater mehrerer Premierminister seines Landes, Wirtschaftsexperte, Gründer und Aushängeschild diverser Hilfsorganisationen. Wir treffen den Lobbyisten seines Volkes in Sydney, am Sitz von NyunggaBlack, einer Gruppe, die sich als Vermittler im Netzwerk der australischen Wirtschaft versteht:
    "In den 1990er-Jahren waren die Zustände unter den Aborigines schockierend: Armut, Ghettoisierung, Gewalt, Alkoholismus, Drogen. Die Leute hatten riesige soziale Probleme, die daher rührten, dass sie umgesiedelt und vom Rest der Gesellschaft getrennt worden waren. Und das alles zu einer Zeit, als australische Regierungen Milliarden Dollar für deren Unterstützung ausgaben. Doch pro Dollar kamen im Schnitt nur vier Cent bei den Leuten an. Das wirft ein Schlaglicht auf die blamable Verschwendung dieser Gelder innerhalb des Förderungssystems, auf die Versäumnisse, obwohl wir doch eigentlich Gutes hätten tun sollen."
    "Komplett unterschiedliche Vorstellungen von der Erde"
    Wer den Konflikt verstehen will zwischen weißen Siedlern und Goldsuchern auf der einen und der australischen Urbevölkerung auf der anderen Seite, der muss sich vor allem eines vergegenwärtigen: Beide Seiten haben bis heute eine diametral entgegengesetzte Einstellung dem Land gegenüber, das die einen seit 60.000 Jahren bewohnen, die anderen hingegen erst seit gut 200, im Bereich der Goldfelder sogar erst seit Ende des 19. Jahrhunderts. Warren Mundine:
    "Da gibt es gar keinen Zweifel. Als die Briten hier ankamen und später die Siedler, hatten sie eine simple Vorstellung vom Land: dass es dazu da war erobert und ausgebeutet zu werden. Während das Land für die Aborigines vor allem eines ist: heiliges Land. Es ist für uns wie eine Mutter, die uns gehütet und ernährt hat seit Tausenden Jahren. Wir haben dort zeremonielle Stätten, die die Erschaffung der Welt repräsentieren. Es ist fast unmöglich, es anderen zu erklären. Es ist so, als käme der eine vom Mars, der andere von der Venus. Es sind einfach komplett unterschiedliche Vorstellungen von der Erde."
    Seit der Zeit der Kolonialisierung taten australische Regierungen alles dafür, sich dieses Problems zu entledigen. Der Aboriginal Protection Act von 1869 übertrug dem Staat das Recht, zum Beispiel über Aufenthaltsort und Arbeitserlaubnis der Ureinwohner zu entscheiden. Gemischtrassige Kinder wurden aus indigenen Gemeinschaften entfernt und in kirchlichen Missionen aufgezogen. Familien wurden zerrissen. Erst 100 Jahre später wurde das Gesetz aufgehoben. Doch Mundine beklagt, dass die australische Variante der Apartheid bis heute fatale Auswirkungen hat. Nun versuche der Staat, sich die Aborigines mit Geld vom Leib zu halten und ruhigzustellen. Stichwort: Sit-down-money, also 'Geld fürs Nichtstun'.
    "Sit-down-money ist der Ausdruck, den unsere Altvorderen in den 1970er Jahren dafür fanden, als wir zum ersten Mal Sozialhilfe bekamen. Als diese Mittel eintrafen, sahen die Ältesten, dass diese die Gemeinschaften zerstören würden, da du zum Leben nicht mehr arbeiten musst. Aber das führt auch dazu, dass du dann das Geld für Grog ausgibst. Das ist Slang für Alkohol. Und bis heute sieht man das Resultat dieses sozialen Fehlverhaltens."
    Tatsächlich trifft man im westaustralischen Outback, egal, ob dort Bergbau betrieben wird oder nicht, so gut wie nie auf die australischen Ureinwohner. In Kalgoorlie sieht man sie gelegentlich auf Bänken, in Parkanlagen, hinter Supermärkten – und zumeist angetrunken. Warren Mundine ist davon überzeugt, dass beide Welten zusammenkommen müssen, und davon, dass Aborigines ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen sollten.